14. Februar 2025 - Kategorie(n): Podcast-Folgen
Was haben die französische Revolution und die Guillotine mit der Haute Cuisine zu tun? Warum erfindet ausgerechnet ein Reifen-Hersteller die Sterne, die bis heute für herausragende Kochkunst stehen? Was unterscheidet die Haute von der Nouvelle Cousine? Und wieso musste Eckart Witzigmann unbedingt in Paris auf dem Wochenmarkt einkaufen, um in München zu kochen?
Witzigmann gelang es als erstem, für sein Restaurant „Aubergine“ drei Sterne nach Deutschland zu holen. Die höchsten Weihen, die ein Restaurant erreichen kann! Aber wie kam ein Bauunternehmer dazu, Witzigmann nach Deutschland zu locken? Und was um Himmels Willen ist Rübstiel? Diese und noch viel mehr Fragen werden Martin Herzog und Marko Rösseler von ihrer Kollegin Andrea Klasen erklärt. Lecker!
Ebenfalls zu Wort kommen in dieser Folge: Die Sterneköchin und Buch-Autorin Léa Linster und Madeleine Jakits, langjährige Journalistin beim Fach-Magazin „Der Feinschmecker“.
Wichtige Links zu dieser Folge:
Das Zeitzeichen, das Andrea Klasen über Witzigmann produzierte findet ihr hier: 19.11.1979 Dritter Stern für das Restaurant „Aubergine“.
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Transkript: Die Guillotine und der Koch
Martin Ein Schafott, eine Guillotine, wer war das?
Marko Das war Ludwig XVI bzw. sein Kopf.
Martin Noch einer?
Marko Marie -Antoinette, kurze Zeit später, glaube ich. Was das Ganze mit der Sterneküche zu tun hat, das wird uns Andrea Klasen verraten.
Andrea Weil ohne die französische Revolution hätten wir keine Sterne in den Küchen.
Martin Liberté, Égalité, Flambé.
Andrea Genau.
Marko Herzlich willkommen bei … Die
Titel Geschichtsmacher. Von Autorinnen und Autoren des Zeitzeichens.
Marko Wir reden heute über das Kochen. Ein ungewöhnliches Thema für die Geschichtsmacher. Historisches Kochen?
Andrea Historisches Kochen. Es fängt an in der französischen Revolution.
Marko Was gibt es da?
Andrea Da gab es schon sehr, sehr leckere Sachen.
Marko Andrea Claßen ist unsere Kollegin beim Zeitzeichen, die ich jetzt gar nicht unbedingt mit Kulinarik in Verbindung gebracht hätte. Aber du interessierst dich in der Tat für leckere Dinge.
Andrea Ja, ich gehe nicht in Sternerestaurants, obwohl ich schon mal bei einer Sterneköchin und in einem Sternerestaurant gegessen habe. Aber da hatte ich eine Privataudienz. Das kann ich euch später erzählen. Ich esse gerne gesund, sage ich mal so. Ich bin immer so ein bisschen schockiert mit was für schlechten Lebensmitteln die Deutschen zufrieden sind.
Marko Ist das so?
Andrea Ich habe den Eindruck.
Martin Und deswegen hast du dich auf ein Zeitzeichen beworben. Das muss man immer beim Zeitzeichen, da bewirbt man sich auf Themen, wo es um die Spitzengastronomie geht. Ganz konkret um Eckart Witzigmann. Der eine oder andere wird ihn kennen, Spitzenkoch in Deutschland. Aber was hat der mit dem Zeitzeichen zu tun?
Andrea Eckart Witzigmann war der erste Koch, der in Deutschland 3 Sterne für sein Restaurant bekommen hat. Das war ein Restaurant in München, die Aubergine.
Martin Muss man dazu sagen, 3 Sterne? Es gibt 1, 2, 3 Sterne, mehr gibt es nicht. Also manche Leute sagen ja auch, sie wären schon mal in einem 5 -Sternerestaurant gewesen.
Martin Das gibt es nicht.
Andrea Es gibt 5 Sterne Hotels. Und wenn die noch, noch, noch besser sind als 5 Sterne, sind es ja Superieur -Hotels. Das wissen wir ja alle.
Marko Was verkreisen du? Du sich so bewegst. Ich bin total begeistert.
Andrea Ich habe quasi noch so ein Doppelleben.
Marko Das ist schön. Das freut mich sehr. Aber beim Kochen sind 3 Sterne das Ende der Fahnenstange.
Andrea Das ist das Ende der Fahnenstange.
Marko Und der Herr Witzigmann war der erste, der diese 3 Sterne erreicht hat?
Andrea In Deutschland.
Marko Und darüber hast du das Zeitzeichen gemacht.
Andrea Darüber habe ich das Zeitzeichen gemacht. Und was ich vor allem wollte in diesem Zeitzeichen, das war, gedanklich wieder nach Frankreich zu reisen. Ich liebe dieses Land. Ich bin da mit 19 das erste Mal gewesen. Ich bin nach dem Abitur. Da habe ich auf einem Pferdehof gearbeitet. Das war körperlich sehr harte Arbeit. Und viele Einsteller hatten ja ihre Pferde dort in dem Stall. Und ich war am Wochenende. Die mochten mich. Und ich mochte sie. Da war sofort eine Sympathie. Und die haben mich oft am Wochenende eingeladen. Und ich durfte an diesen legendären Sonntagsessen der Franzosen teilnehmen.
Marko Die haben dich durchgefüttert.
Andrea Im Grunde schon. Weil auf dem Hof gab es keine guten Sachen. Man hat mir immer so eine Kiste mit Brot vor die Tür gestellt. Da war ich nicht so gut versorgt. Aber am Wochenende habe ich alles nachgeholt.
Martin Wie muss man sich das vorstellen? So lange Tafel, alle kommen. Und dann wird von Mittags bis in den Abend reingeschmaust.
Andrea Ja, jeder bringt was mit. Oder man macht vor Ort irgendwas, kleine Sachen. Es wird den ganzen Tag gegessen. Und manchmal fing es dann an zu regnen. Dann wurde einfach das verbeulte Auto aus der Garage gefahren. Und der lange Tisch wurde von allen reingetragen. Und dann haben wir da weiter gegessen.
Marko Also, wie in diesen Werbeprospekten muss man sagen.
Andrea Im Grunde schon. Man sitzt unter alten Bäumen. Die Sonne geht unter, ganz langsam. Dass man es lange genießen kann. Und dann isst man zusammen.
Martin Und redet übers Essen. Ich glaube, das ist dann auch ganz wichtig. Das hat mich immer bei den Franzosen so angenehm überrascht. Dass die von morgens bis abends am Tisch sitzen können, essen, und dann übers Essen reden.
Andrea Ja, die unterhalten sich wirklich übers Essen. Und was mich in Deutschland immer so stört. Ich muss wirklich immer auf die Deutschen draufhauen. Wenn die irgendwie aus dem Urlaub kommen, erzählen die nicht, wie gut das Essen war. Vielleicht haben sie ja auch nichts Gutes gegessen. Aber sie erzählen, wie teuer das war. Und können sich noch genau an die einzelnen Preise erinnern. Und ob das Steak wirklich 300 Gramm hatte. Anstatt zu sagen, wie hat die Luft gerochen? Wie war der Mond? Wie haben die Speisen geschmeckt? Was habe ich da gelernt? Was kann ich in meiner eigenen Küche anders machen? So bin ich halt unterwegs.
Martin Und Eckart Witzigmann hat zu denen gehört, die im Prinzip dieses Gefühl auch so ein bisschen versucht haben, nach Deutschland zu importieren.
Andrea Ja, also der Mann ist ja gebürtiger Österreicher. 1941 in Vorarlberg geboren. Und dann in Bad Gastein aufgewachsen. Und da hat er schon in einem sehr guten Hotel bei Ludwig Scheibenflug gelernt. Ihm war klar, wenn ich Spitzenkoch, einer der besten der Welt werden möchte, muss ich nach Frankreich. Weil die Franzosen sind einfach mit die besten Köche.
Marko Und das hat was mit der französischen Revolution zu tun, um darauf wieder zurückzukommen. Wir werden also heute den langen Bogen von der französischen Revolution bis zur Aubergine von Herrn Witzigmann spannen.
Martin Aubergine ist das Restaurant?
Andrea Ja, aber die Form der Aubergine hat ja auch was Bogenartiges, das ist so ein schönes Bild.
Martin Ein Spannungsbogen, eine Spannungsaubergine heute. Okay, sehr schön.
Marko Also, wenn wir heute über Haute Cuisine reden, es hat ja schon ein bisschen was Elitäres.
Andrea Marko, wir müssen da die Begrifflichkeiten auseinanderhalten.
Marko Ja, bitte doch drum.
Andrea Ich glaube, also es entstand ja ab ungefähr 1955 die Nouvel Cuisine, die neue Küche. Und da wollte man sich abheben von der Haute Cuisine und der Grand Cuisine.
Martin Jetzt wird es kompliziert.
Andrea Ich bin da auch kein Fachmann. Ich habe da ein bisschen was drüber gelesen und mit zwei Damen darüber gesprochen.
Marko Du hast dir Expertenrat geholt.
Andrea Genau, ich habe mir Expertenrat geholt. Und es ging eben darum, ein bisschen weniger Butter, weniger Crème double. Die hat den doppelten Fettgehalt als Crème fraîche. Es schmeckt ja auch wundervoll.
Martin Geschmacksträger, sagt man ja auch.
Andrea Ja, Fett ist Geschmacksträger Nummer eins. Aber man wollte eben die Gerichte ein bisschen leichter machen. Und was man vor allem wollte, war den Eigengeschmack bestimmter Lebensmittel einfach inszenieren.
Marko Das ist die Nouvel Cuisine.
Andrea Ja.
Marko Okay.
Martin Also nicht alles zugleistern mit Sahne.
Andrea Mit Butter und Bechamel -Soße und so weiter. Sauce Bernaise oder so. Sondern man möchte frische Produkte verwenden und die auch nicht zerkochen. Und möglichst bei regionalen Erzeugern einkaufen. Dass man einfach die Region auch ein bisschen vorstellt, in der man sich bewegt.
Marko Und das ist seit 1955 der Fall.
Andrea Ungefähr.
Marko Mitte der 50er -Jahre beginnen die Leute, über eine neue Küche irgendwie nachzudenken.
Andrea Ja, genau.
Marko Aber davor gab es die Haute Cuisine.
Andrea Ja, und die Grande Cuisine. Also das ist beides eine sehr schwere Küche. Mit viel Butter, mit viel Fett, mit viel Sahne. Crème double, Crème fraîche. Und alles so ein bisschen mit Soßen übertüncht vielleicht. So würde ich sagen.
Marko Die Haute Cuisine, die war sozusagen zuerst da?
Andrea Ja, genau.
Marko Also wenn wir jetzt zurückgehen in die Zeit der französischen Revolution, wo Marie Antoinette geköpft wurde, dann hat sie vorher nochmal was Leckeres gekriegt aus der Haute Cuisine.
Andrea Ich hoffe, sie hat vorher noch gut gegessen. Das macht man auch glaube ich so. Die Henkers Mahlzeit.
Marko Dann war das Haute Cuisine. Haute heißt einfach nur hoch.
Andrea Ja, die hohe Küche.
Marko Die hohe Küche.
Andrea Ja, wahrscheinlich war es die Haute Cuisine.
Marko Danach die Grande Cuisine, das ist die breite Küche?
Andrea Genau, nach einem Umzug ist die Küche größer.
Marko Aber Haute Cuisine hieß letztendlich schon, dass man aus Lebensmitteln etwas ganz Besonderes macht.
Andrea Ja, und das konnten die Franzosen, weil sie eben auch schon vor der französischen Revolution haben ja am Hofe, vor allem auch am Königshof, die besten Köche des Landes gekocht. Und die besten Patissiers waren ja auch dort, um eben große Essen zu organisieren und auch gutes tägliches Essen. Während man in Deutschland irgendwie nur Kartoffeln und Heringe zum Beispiel gegessen hat. Und da hat man wirklich opulent gespeist.
Marko Aber ich meine, der deutsche Adel hat doch wahrscheinlich auch ganz lecker gegessen.
Andrea Ich glaube nicht so gut wie die Franzosen. Weil die einfach bessere Lebensmittel haben.
Martin Woher kommt das? Was denkst du? Was ist der Grund dafür, dass die Lebensmittel, also ich kenne das auch, wenn man nach Frankreich fährt und da auf den Markt geht, das ist einfach nochmal eine ganz andere Qualität. Ob das Obst ist, ob das Käse ist, ob das Fleisch ist, Fisch, was auch immer, das springt einen richtig an. Und im Vergleich zu hier, da gibt es auch nette Markte. Aber das ist doch nochmal eine ganz andere Abteilung.
Andrea Ich glaube, Frankreich ist immer Agrarland gewesen. Wenn man durch Frankreich fährt, fährt man durch unendliche Landschaften. Also die haben sehr viel Platz. Dass eben auch Nutztierrassen auf Wiesen grasen können. Und wir wissen alle, dann schmeckt die Milch besser, dann schmeckt die Butter besser, dann schmeckt die Sahne besser, der Käse sowieso. Und hier in Deutschland gibt es ja eigentlich mehr so Tierfabriken. Die wird es in Frankreich sicherlich auch geben. Aber trotzdem gibt es da auch noch Weidetiere. Und es gibt bestimmte Rassen, alte Rassen, die man wieder oder die man weiterkultiviert oder wieder züchtet, um sie vor dem Aussterben zu retten. Und das sind häufig, so wie das Le Cochon Noir, das schwarze Schwein aus der Gascogne zum Beispiel. Oder Scheroller Rinder, das sind ja reine Fleischrinder. Es gibt aber auch noch viele andere alte Rassen, die französische Bauern wiederentdeckt haben und wieder ins Leben gerufen haben. Und die eignen sich häufig nicht für Mastbetriebe. Also die kann man nur in kleinen Gruppen draußen halten. Dass die einfach leben und später dann ihren Körper hergeben für gutes Essen.
Marko Das heißt, der Franzose hat vor 250 Jahren da schon Unterschiede gemacht?
Andrea Ich würde sagen, und vor allem das Land ist ja so vielfältig. Du hast die Atlantiküste, du hast die Mittelmeerküste, du hast die Alpen, da hast du Kräuterwiesen, da hast du eine bessere Milch. Also die einzelnen Regionen bringen spezielle Lebensmittel einfach hervor. Durch andere Böden, die Böden unterscheiden sich. Also kannst du andere Sachen da anbauen. Die Erde ist fruchtbar, das wird alles was. Das ist nicht so wie in meiner Heimat Wittgenstein, wo nur Kartoffeln wachsen.
Martin Aber es ist natürlich, in Frankreich ist es ja… – klar, damals gab es da freilaufende Hühner und Schweine und keine Ahnung was. Aber die gab es ja hier auch. Ich glaube, da muss noch irgendwas anderes sein. Ist es das, was du eben schon mal angesprochen hast, da darf alles nichts kosten, diese Geiz ist geil-Mentalität, die es vor 300 Jahren schon gegeben hat. Vielleicht auch, weil es nicht anders ging, weil es so arm war. Ich weiß es nicht, keine Ahnung.
Andrea Das kann sein. Also ich habe gelesen, dass nach dem Dreißigjährigen Krieg keine guten Zeiten geherrscht haben.
Marko Währenddessen auch nicht.
Andrea Währenddessen auch nicht. Aber es ist halt so eine Arme-Leute-Küche vielleicht eher entstanden. Und Franzosen haben, glaube ich, immer Wert auf gutes Essen gelegt.
Marko Oder war es der französische Hof? Also letztendlich natürlich seit Ludwig dem Vierzehnten wissen wir, dass der Sonnenkönig natürlich alles dafür gegeben hat. Und dass er sich dann möglichst repräsentativ leckere Dinge wahrscheinlich auch auf den Tisch zu bringen.
Martin Ja, und unrepräsentativ. Also möglichst außergewöhnliches Zeug auch. Also was man heute vielleicht auch nicht mehr essen würde. Irgendwelches Wildgeflügel aus seltsamsten… also Störche. Brat mir einer einen Storch. ..
Marko Wenn wir die Zeit zurückdrehen: Im Römischen Reich war der Römische Kaiser auch dafür berühmt, dass er eigentlich Dinge gegessen hat. Macht nicht nur Caligula, die haben alle Dinge gegessen.
Andrea Der hat aber sein Pferd mit Hähnchen gefüttert.
Marko Essen Pferde Hähnchen?
Andrea Nein, aber er hat es versucht.
Marko Caligula?
Marko Na ja gut, der war auch verrückt ein bisschen.
Marko Also ein bisschen ist gut. Stiefelchen, na egal. Also der Römische Kaiser konnte sich natürlich Otternasen leisten. Das kennen wir schon von Brian. Das Leben des Brian: „Otternasen, Otternasen!“ – kennen wir. Und dann war es vielleicht in Frankreich auch so, weil dieser Hof ein so absolutistischer war, dass er alles, was exzeptionell war, an sich herangezogen hat. Könnte das der Grund sein?
Andrea Ganz bestimmt, weil man will ja auch seine Gäste beeindrucken. Es muss ja immer noch mehr und noch höher und noch weiter sein. Und als dann die Guillotinen fielen, standen ja die Köche, die am Hof gearbeitet haben, oder auch die Konditoren, die Patissiers. Wo sollten die denn jetzt kochen?
Marko Das waren nicht zwei oder drei, sondern das waren wahrscheinlich Hunderte.
Andrea Ja, das waren viele. Und die besten Köche und Patissiers des Landes haben ja am Hof gekocht. Oder für hochstehende Adelige. Und die mussten sich jetzt was anderes suchen und haben Restaurants aufgemacht. Das war die Geburtsstunde der Restaurants. Und so konnte dann die Bourgeoisie und das gehobene Bürgertum, hatte dann die Möglichkeit, da auch essen zu gehen. Und so hat sich diese Esskultur, diese Restaurantkultur entwickelt.
Martin Also das heißt, es gab vorher auch schon, ich sage mal, Restaurants nicht, aber Unterkünfte, wo man in der Etappe irgendwo halt gemacht hat, übernachtet hat, und dann gab es da auch was zu essen. Also insofern gab es ja Restaurants schon. Aber das, was wir als wirkliches Ereignis – ich gehe irgendwo hin ausessen, weil man da gut isst – das ist etwas, was dann quasi erst mit der französischen Revolution aufgekommen ist.
Andrea Ja, dass eben diese guten Köche und Patissiers dem Volk zur Verfügung standen, und die das genießen konnten.
Marko Denen zumindest, die sich das leisten konnten.
Andrea Genau, klar. Die Bauern hatten ja eigene, die konnten sich ja selbst versorgen. Ich kann mir vorstellen, dass die auch wussten, wo Trüffel in der Erde sind. Und haben dann vielleicht damit ihre Gerichte verfeinert. Dieses Land hat ja viel. Also in der Erde schlummern ja die ganzen Schätze. Wie Trüffel. Ein Königreich für einen Trüffel.
Marko Der Franzose macht es sich halt eher lecker und nett.
Andrea Würde ich sagen.
Martin Also und auch jenseits des Bürgertums. Ich habe so ein bisschen das Gefühl eben, wenn man sagt, der Franzose mag das. Das kann man in dem Fall tatsächlich auch verallgemeinern. Also Franzosen haben schon einen Hang im Allgemeinen, egal, ob man jetzt nur Fürst oder Bürger oder einfacher Landmann ist.
Andrea Ja, ich denke auch, dass die Bäuerinnen einfach die Sachen, die sie angebaut haben, gut verarbeitet hat. Und dass die auch eine feine Küche hatten. Für sich und ihre Angestellten.
Marko Aber der Bauer macht auch nicht Grand Cuisine,
Marko sondern der macht irgendwie Landkost.
Martin Französische Landküche. Ja, eigentlich eher ja.
Martin Und das ist ja großartig. Also wenn ich an solche Gerichte wie Cassoulet oder sowas denke, was ja eigentlich noch nur so ein Resteessen ist. Also Bohnen mit allen Fleischresten, die so irgendwie übrig geblieben sind. Großartige Küche, total lecker. Wird heute in Sterne -Restaurants serviert.
Andrea Ja oder Fischsuppe, ne? Die haben zwei große Küsten, die Franzosen. Also ich denke mir, ja. Dass da auch in einfachen Häusern fein gekocht wurde. Von Fischersfrauen oder von Bäuerinnen.
Martin Auf die Spitze getrieben wurde das aber dann natürlich eben in diesen Restaurants, die dann nach der französischen Revolution eröffnet worden sind. Und die, ja, sich dann entwickelt haben. Wohin? Also ist das immer weitergegangen? Ist das immer, ich sag mal verdrehter geworden? Oder wie muss man sich das vorstellen?
Andrea Verdreht, vielleicht kann man auch sagen verfeinert. Dass man sich immer weiter übertreffen wollte. Und wenn man merkt, dass man gut ist, will man noch besser werden. Und dass man einfach gemerkt hat, dass man immer noch was draufsetzen kann auf den Genuss. Das macht doch super Spaß. Ich hab mir vorgenommen, so ich bleib bodenständig heute in meiner Küche, aber ich möchte was Besonderes haben. Da muss ich mich doch erstmal fragen, wo kriege ich den guten Stilmus her? Und wo kriege ich die guten Kartoffeln her? Oder die gute Butter, um die Zwiebeln darin zu dünsten.
Marko Was ist Stilmus?
Andrea Stilmus, das ist ein Gemüse, lieber Marko, das auch in heimischen Gärten wächst.
Marko Hat das noch einen anderen Namen?
Andrea Wie ich gelernt hab, Rübstil. Das ist nicht Rübezahl, sondern Rübstil.
Marko So, und sowas isst du?
Andrea Ja, ich esse aber lieber Stilmus. Dann schmeckt es mir irgendwie besser.
Marko Wie schmeckt das denn? Wo kriegst du es her?
Andrea Das schmeckt gemüsig. Das schmeckt gemüsig, das schmeckt bodenständig, das schmeckt nach Erde irgendwie im besten Sinne. Ich mag das, weil ich mit einem großen Garten aufgewachsen bin. Meine Eltern hatten zwei große Parzellen. Eine nur für dicke Bohnen, die auch noch einen anderen Namen haben.
Marko Dicke Bohnen.
Andrea Und das andere, da hatten wir so verschiedene Gemüsearten. Und natürlich Obststräucher. Johannesbeeren, Himbeeren, viele Erdbeeren. Damit bin ich aufgewachsen und so habe ich Stilmus kennengelernt. Und ich finde, das ist ein sehr gesundes Gericht, das man sehr schnell zubereiten kann.
Marko Aber wo kriegt man es denn?
Andrea Ich kriege es über meine Abo -Kiste. Über die ich Bioprodukte per Abo, donnerstags…
Marko Mit Stilmus.
Andrea Wenn ich das dazu bestelle.
Marko Alles klar. Jetzt haben wir Stilmus geklärt. Ich glaube, der normale, weiß ich nicht, die meisten Menschen kennen es nicht, oder?
Martin Weiß ich nicht, keine Ahnung.
Marko Hast du es gekannt?
Martin Nein, ich kenne das Gemüse, Rübstil, ja. Stilmus sagte mir auch nichts. Aber es ist auch nichts, was ich täglich oder wöchentlich bestellen oder essen würde.
Andrea Das gibt es auch nicht immer. Es ist ja saisonal.
Martin Okay, aber wir waren eben bei der Qualität der Zutaten. Und das sagst du, ist halt eben in Frankreich eine ganz andere Abteilung.
Andrea Ja, natürlich. Das fängt ja bei der Butter an. Also ich kaufe hier, es ist kaum noch zu bezahlen, irische Butter am liebsten. Weil die besser schmeckt. Und auch die Biobutter schmeckt mir nicht unbedingt besser. Ich war neulich in Belgien. Und da habe ich mir natürlich sofort fünf Kilo Butter gekauft.
Marko Fünf Kilo?
Andrea Ja. Und ich bin jetzt erstmal versorgt. Und das gibt mir ein sicheres Gefühl.
Martin So, jetzt müssen wir auch von der deutschen Butter oder der irischen Butter in dem Fall müssen wir dann jetzt mal wieder nach Frankreich kommen. Vielleicht zu den Sternen kommen. Also zu den Sternen des Guide Michelin. Und da ist jetzt natürlich erstmal die Frage, wieso eigentlich Guide Michelin? Michelin, das sind doch die, das Michelin -Männchen hat man früher immer gesagt.
Andrea Genau.
Martin Die mit den Reifen. So, was haben die jetzt mit der Spitzenküche zu tun?
Andrea Das fing alles ganz anders an, nämlich mit Reifen. Und das weiß Madeleine Jakitz. Die hat mir das erzählt.
Martin Wer ist das?
Andrea Madeleine Jakitz ist auch Journalistin. Und sie hat 32 Jahre für den Feinschmecker gearbeitet.
Martin Also diese Fachzeitschrift.
Andrea Das ist ein Gourmet -Magazin sozusagen. Und sie hat 22 Jahre lang die Chefredaktion auch geführt für dieses Magazin. Und die hat mir erzählt, wie aus dem GuideMichelin, der eigentlich ein Tankstellenführer war, die Rote Bibel wurde.
O-Ton Madelaine Jakitz Also es waren gar nicht in dem Sinne zunächst Restaurant -Tester, die dieses Buch aufgelegt haben, sondern ein Industrieunternehmen, das ein Interesse daran hatte, immer mehr Reifen zu verkaufen für PKW und für Fahrräder. Zu der Zeit, nämlich um 1900, als das erste Büchlein erschien zur Weltausstellung in Paris, waren gerade mal knapp 3000 private Autos angemeldet in Frankreich. Und für diese Menschen hat der Guide-Michelin-Verlag dann eine Broschüre herausgebracht, ein kleines rotes Heft, 35 .000 Stück Auflage. Das gab es gratis und darin standen Adressen für Reifenwerkstätten, Tankstellen, aber auch Tutorials wie Wechsel ich einen Reifen oder Tipps für Übernachtungsmöglichkeiten und sogar für Gastronomie. Der Guide Michelin hat immer mehr Aufsehen erregt. Vor allem wegen der Restaurant -Tipps, das war interessant. Man begann also dann schon in den 20er Jahren anonyme Tester zu beschäftigen, die sogenannten Inspektoren, wie sie bis heute heißen. Es waren Leute aus der Gastronomiebranche im weitesten Sinne, also Hoteliers, professionelle Köche, Lebensmittel -Experten und so weiter. Und 1926 wird der Michelin-Stern eingeführt, der wie ein Blümchen aussieht und nicht wie ein Stern. Manche nennen dieses Symbol auch ein Macaron, eine Makrone, weil es so aussieht. Dieser Ratgeber für Autofahrer zum renommierten Restaurant – und Hotelführer werden zu lassen, war eine geniale Idee, weil nun eine ganze Branche, die ganze Gastronomie, plötzlich das wichtigste Thema in diesem Buch wurde. Die Differenzierung der Bewertung gab es ab 1931. Da gab es jetzt Restaurants ohne Stern. Dann gab es Restaurants mit einem Stern oder mit zwei Sternen oder mit maximal drei Sternen. Ein Stern bedeutete finessenreiche Küche, lohnt ein Besuch. Zwei Sterne hingegen, exzellente Küche, lohnt einen Umweg. Und drei Sterne, einzigartige, herausragende Küche, dieses Restaurant ist sogar eine eigene Reise wert.
Martin Ja, es gibt nicht nur die Sterne-Restaurants, die empfohlen werden vom GuideMichelin, also ein Stern, zwei Stern, drei Stern, sondern es gibt auch einfache Restaurants, die empfohlen werden. Ich habe da mal geguckt, ich glaube das wird damit Bestecken gekennzeichnet. Ein Besteck, zwei Besteck, drei Bestecke und dann gibt es noch den Bib Gourmand, wo dann besonders günstig und gut gegessen werden kann. Also Guide Michelin heißt nicht irgendwie nur Sterneküche, nur ganz weit oben.
Andrea Nein, nein. Also da ist für jeden Geldbeutel was dabei und für jeden Geschmack.
Marko Und so fährt man mit seinem Auto durch die Gegend, nutzt die Reifen ab und geht essen.
Andrea So würde ich das sagen. Das ist doch sehr sympathisch.
Marko Na ja, sagen wir mal so im Zeichen des Klimawandels heute wahrscheinlich nicht mehr. Vielleicht sollte man lieber wandern, aber egal. Also so entsteht das auf jeden Fall mit diesen Sternchen.
Martin Und ich habe auch mal vor langer Zeit was über die Sterneküche gemacht und den Guide Michelin und hatte sogar mal einen Nachdruck von diesem ersten Heft in der Hand. Und es ist wirklich erstaunlich, wie wenig da drin steht. Da steht dann halt irgendwie, kommst du nach Köln, da sind dann irgendwie drei oder vier Restaurants aufgeführt und dann steht da nur irgendwie eine Zeile ausgezeichnetes Hämmchen, sage ich jetzt mal, kann man da essen. Also es gibt nur ganz, ganz knappe Bewertungen. Also keine ausführlichen Berichte, Seitenweise, wie denn jetzt das Interieur ist und wie man bedient wird und was es da alles Gutes zu essen gibt, sondern es gibt da nur so ein paar Zeilen dazu und dann muss es auch gut sein. Und dann darf man sich darauf verlassen, was der Guide Michelin sagt und empfiehlt und dann geht man da hin und dann ist auch gut.
Andrea Ja, also ich denke man kann ihm vertrauen. Heute gibt es ja auch Internetseiten, wo man sich das Restaurant vorher schon anschauen kann. Auch die Speisekarten sind da abgebildet.
Martin Aber viel länger geworden sind die Beschreibungen auch nicht.
Andrea Nein, nein, das ist kurz und knapp und einfach eine Empfehlung, der man, so denke ich, vertrauen kann.
Marko Nun beschäftigt dieses Unternehmen ja offenbar Kulinariker, die es in die Welt hinaussendet und die dann diese Sterne vergeben dürfen. Wärst du da auch gerne?
Andrea Nein, also ich kann nicht so viel essen. Ich habe zwar meine fünf Kilo Butter im Kühlschrank, aber da werde ich lange dran hamstern. Ich weiß nicht, ob ich das, könntet ihr das?
Marko Nee, ich könnte das sowieso nicht. Ich würde sagen, lecker.
Andrea Ich bin satt geworden.
Martin Ja, das ist ja auch so ein Klischee, dass man da nie satt wird. Das sind ja so eh winzige Portionen, also insofern wäre das ja kein Problem mit deinem, ich kann nicht viel essen, weil man da auch einen riesigen Teller kriegt und nur eine ganz winzige Portion in der Mitte. Oder ist das ein Klischee? Ich weiß nicht.
Andrea Dazu hat Madeleine Jakitz was sehr Schönes gesagt. Sie spricht nämlich über gefüllte Schnittlauchröllchen.
O-Ton Madelaine Jakitz Die Nouvelle Cuisine hat sich ja damals den Spott zugezogen. Da haben Leute gelästert über gefüllte Schnittlauchröllchen und so weiter. Das lag daran, dass die Portionen sehr klein waren. Aber warum waren sie so klein? Weil sie eigentlich gedacht waren für die Spitzen-Gastronomie, wo man acht, neun, zehn, elf gängige Menüs serviert hat. Das ging ja nicht darum, die Leute auszuhungern und ihnen viel Geld abzuknüpfen. Ich meine, bei manchen vielleicht schon. Aber die Idee war, dass man möglichst viel probieren kann. Und dafür hat man sehr kleine Portionen auf ziemlich großen Tellern angerichtet. Das hat nicht jedem gefallen, das muss man schon sagen.
Martin Ja, das ist natürlich vor allen Dingen für den Deutschen ein Problem, wenn er eben am liebsten nachmisst, wie groß denn das Steak ist und wie schwer es ist und ob es auch wirklich die richtige Größe gehabt hat. Da ist ja auch eher das Tellergericht die Maßgabe. Das heißt, man kriegt da einen großen Teller mit meistens dann doch Fleisch, Beilage und Gemüse und vielleicht noch ein Salat dabei. Und dann isst man den leer und gut ist. Das ist ja natürlich ein etwas anderes Konzept als ich habe zwölf Gänge und immer nur ein Häppchen.
Andrea Ja, weil man einfach diese unterschiedlichen Geschmäcker ausprobieren soll. Und das macht ja auch großen Spaß. Also ich habe mir eine Karte damals gekauft, 2014 war das, für die Rohrmeisterei in Schwerte. Und da hat Lea Linster gekocht. Und da haben wir ein Vier -Gänge -Menü bekommen. Ich bin satt geworden und die anderen glaube ich auch, die sehr viel größer waren als ich. Und das ist einfach sehr angenehm, finde ich, was sehr geschmackvoll ist zu essen, was gut schmeckt. Das war ein sehr schönes Erlebnis.
Marko Und Lea Linster ist auch eine solche Spitzenköchin.
Andrea Ist sie immer noch, aber sie hat ihr Restaurant in Friesange in Luxemburg an den Sohn Louis übergeben, 2019. Und sie kocht jetzt nur noch zum Spaß und sagt, sie genießt. Ich hatte ein Interview mit ihr geführt für dieses Zeitzeichen über die Aubergine von Witzigmann. Lea Linster kommt aus einer Gastronomenfamilie. Ihr Vater war Konditor, ihre Mutter eine ausgezeichnete Köchin, die wohl auch sehr gut würzen konnte, die also mit der Hand in so einen Topf gegriffen hat und das in den Topf geworfen hat, so hat sie es mir erzählt. Und das passte immer. Ich versuche das seither auch.
Martin Und klappt?
Andrea Na ja, also es ist so viel.
Marko Triffst immer die Wand.
Andrea Genau, die ist schon currygelb. Nein, und sie hatten eine Tankstelle kurz vor der Grenze zu Frankreich und da wollten alle vorbei. Also das war immer Durchgangsverkehr.
Marko Also so wird ein Schuh draus, mit dem geht es mir schön nahe. Also eine Tanke haben und dann noch Essen anbieten.
Andrea Perfekt. Und das hat sie eben gesehen und hat dann zu ihrem Vater gesagt oder zur Mutter, ich glaube der Vater ist früh gestorben, hat sie gesagt, ich möchte das umbauen zu einem Spitzenrestaurant. Das hat sie irgendwie in sich gespürt, dass sie diesen Gaumen hat und diese Liebe zum Essen. Und daraus hat sie dann eben ihr Restaurant gemacht, das dann einen Stern, 1987, da war sie ja noch eine junge Köchin, hat sie den ersten Michelin-Stern bekommen. Und zwei Jahre später den Preis Bocuse d ‚Or, also den goldenen Bocuse, als einzige Frau bisher. Das hat nie wieder eine Köchin geschafft. Das war ein Preis, den Paul Bocuse, der berühmte französische Koch, den sie gut kannte. Sie hat nicht bei ihm gelernt, da müssen wir mal mit aufräumen. Eckart Witzigmann hat bei dem gelernt.
Marko Jetzt sind wieder ganz viele Namen gefallen. Herr Bocuse kennt man vielleicht noch so ein bisschen.
Martin Ich glaube, das ist so dunkle Kindheitserinnerung, der hat im Fernsehen dann oft gekocht.
Andrea Ja, auch dazu habe ich ein Zeitzeichen gemacht, fällt mir ein.
Marko Zu Herrn Bocuse.
Andrea Nein, über Hans J. Bayerlein. Das war ein Fernsehmanager, der Udo Jürgens gemanagt hat. Und der war gourmet, dieser Mann. Der ist also auch immer nach Frankreich, um gut zu essen. Und wollte dann den Deutschen einfach sagen, Leute, es gibt noch mehr als Leberkäs und Kassler oder Sauerbraten. Und hat dann Fernsehsendungen etabliert und geschrieben, in denen eben Paul Bocuse dann auch gekocht hat und aufgetreten ist. Und so haben die Deutschen so einen leichten Schimmer bekommen, dass man eben auch anders essen kann.
Marko Also Paul Bocuse war, glaube ich, damals der Starkoch.
Andrea Das ist er irgendwie immer noch, finde ich. der lebt nciht mehr. Und zu seinem Begräbnis sind 1500 Köche aus aller Welt in eine französische Kathedrale gekommen. Das muss sehr bewegend gewesen sein. In ihren weißen Kochschürzen oder Anzügen mit ihren Hauben und haben ihm dann das letzte Geleit gegeben. Ja, das war einer der berühmtesten Köche Frankreichs. Der wusste sich auch gut zu vermarkten. Er hatte ja immer diese Toque, diese hohe Kochhaube aufgehabt. Und mit diesem Konterfei hat er eben seine Produkte auch verkauft. Der hat Terrinen angeboten, Konserven, Marmeladen, Konfitüren. Und der war sehr berühmt. Der wusste sich in Szene zu setzen.
Martin Was hat ihn so zu dieser Ikone gemacht? Warum war der so berühmt? Hat er eine neue Kochkultur etabliert oder wie muss man sich das vorstellen?
Andrea Der konnte einfach gut kochen. Ja, so einfach ist es. Der kam aus Lyon und hat bei einer Eugénie Brasier gelernt. Also einer Frau, obwohl der Typ wirklich auch so ein bisschen machohaft und so war. So hat man es mir erzählt. Aber er hat bei einer Frau gelernt. Und da gibt es einen sehr schönen O-Ton von Léa Linster dazu.
O-Ton Léa Linster Er hat seine Lehre bei der Mère Brasier gemacht. Also bei einer von diesen Müttern, wie man sie genannt hat, les Mères Cuisinières von Lyon. Und da hat er seine Lehre gemacht. Und ich glaube, das hat ihm mit Sicherheit auch so Feinheiten beigebracht. Also es mit diesen Feinheiten, die Frauen eigentlich nur empfinden können, auch groß geworden. Er war sehr empfindsam. Auf der anderen Seite war er natürlich auch ein bisschen macho. Aber dieser Mixtur hat es gemacht. Er war Quelq’un. Also er war ein großer Mann. Und er wusste das auch zu bedienen. Er hatte übrigens, was interessant war, dieses Restaurant Paul Bocuse, hatte sein Vater aus irgendeinem Grund irgendwann einmal verkauft. Er hat das zurückgekauft, damit es wieder in der Familie sei. Das ist auch etwas, was mich sehr berührt hat, weil ich finde, diese Häuser, die so in einer Familie, mit der Familie wachsen und die Familie wächst mit dem Haus, dass das sehr wichtig ist, dass das auch so bleibt. Wie bei uns zu Hause ist das auch. Ich war die vierte Generation, die darin die Karriere gemacht hat, das Métier gemacht hat. Und jetzt ist Louis da und er die fünfte. Und das ist für mich wirklich fantastisch.
Martin Also Tradition spielt offensichtlich auch eine große Rolle. Und es ist wichtig, wer bei wem gelernt hat, wer bei wem gekocht hat.
Andrea Ja, also du musst einfach, wenn du ein Spitzenkoch werden möchtest, musst du neben einem französischen Koch gelernt haben. Und Eckart Witzigmann zum Beispiel wusste das sehr früh. Und er hat in großen Häusern, in Grand Hotels gekocht, aber er wusste, ich muss nach Frankreich. Und da hatte er eine ganz tolle Begegnung, also zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Er hat nämlich einen Meisterkoch beim Skifahren getroffen. Das hat mir Madeleine Jakitz erzählt.
O-Ton Madelaine Jakitz Eines Tages am Skilift in der Schweiz steht neben ihm ein Herr, der offensichtlich Elsässer ist. Und sie nicken sich zu und sprechen zwei, drei Worte. Und dann fährt jeder auf seinem Tellerlift nach oben. Und ein paar Tage später stehen sie wieder beide in der Schlange am selben Skilift. Und sie kommen ins Gespräch. Und es stellt sich heraus, dass dieser Mann, den Eckart Witzigmann da neben sich hat, der berühmte Paul Häberlin ist. Also das Glück war auf Witzigmanns Seite, muss man wirklich sagen. Paul Häberlin war der Spitzenkoch Frankreichs, den alle bewundert haben. Er kommt aus der Familie Häberlin, die einen Familienbetrieb auch hatten in Illhäusern. Haben sie ja heute noch. Und Monsieur Paul war damals eine ganz große Nummer in der Kochszene. Und er war ein freundlicher Mann, ein netter Mann, kein Herrischer, der mit Bratpfannen um sich warf, sondern sehr zivilisiert. Und er wollte dann von Eckart Witzigmann wissen, wer er denn sei und was er so machte. Und dann erfuhr er, ah, sie sind Koch. Ja, dann kommen sie doch zu mir. Wir suchen noch jemanden. Das muss man sich mal vorstellen. Also das war die große Karte, die Eckart Witzigmann durch Zufall da gezogen hat.
Marko Jetzt befinden wir uns ungefähr wann?
Andrea Das war Mitte der 60er Jahre. Da hat Eckart Witzigmann, das war der Lottogewinn quasi.
Martin Da war der noch jung.
Andrea Da war der noch jung. Wie alt war er denn? Er war 24, 41 geboren. 65 ist er zu den Heberlins gekommen, ins Elsass gegangen. Er hat also seine Koffer gepackt. Und die mochten diesen jungen Österreicher sehr. Und dann hat er auch bei ihnen im Haus gewohnt. Also er hat vom Frühstück bis zum Nachtmahl alles mitbekommen, was sie essen. Und hat natürlich tagsüber bei Paul Heberlin in der Küche gestanden und ist eingeweiht worden in die Nouvelle-Cuisine, die zu der Zeit schon gekocht wurde.
Marko Also die sich abgrenzt von der Haute Cuisine, indem sie weniger fettig ist.
Andrea Genau. Sie ist frischer.
Marko Okay. Jetzt gibt es zu diesem Zeitpunkt in Deutschland schon Sterne-Restaurants?
Andrea Nein. In 1966 ist glaube ich der erste Stern in Deutschland vergeben worden. Früher gab es Michelin -Sterne nur in den Benelux-Ländern in Spanien und Italien. Deutschland hatte man da noch nicht auf der Karte, weil man gedacht hatte, na ja, da interessiert sich niemand für so gutes Essen, für hohe Kochkunst.
Martin Was ja auch ein bisschen stimmte.
Andrea Was natürlich stimmte, aber durch das Wirtschaftswunder war ja Geld da. Und irgendwie bekamen Menschen, die sich das leisten konnten, mit, dass man in Frankreich ganz gut essen konnte oder in Luxemburg und Belgien. Und viele sind dann rübergefahren, um eben gut zu essen. Und ja, wie das so ist, es entwickelt sich dann was. Und auf einmal war so ein Bedarf da, so gute Restaurants doch auch in Deutschland zu haben oder es zu versuchen. Und da hat Eckart Witzigmann natürlich maßgeblich mitgeholfen. Also, Eckart Witzigmann, nach der Zeit bei den Häberlins, war er natürlich ein gefragter Mann, der mit dem Kochlöffel umzugehen wusste.
Marko Das ist dann schon so. Wenn du eine gewisse Weile bei so einem Spitzenkoch warst, dann hast du sozusagen schon den Ruf weg und dann bist du ein begehrter Mensch auf dem Spitzenkoch -Arbeitsmarkt.
Andrea Ja, wenn du Trüffel um dich hast, Bresshühner, 420 Sorten Käse, die Frankreich hervorbringt, Creme Double auch. Man tut das ja manchmal doch irgendwo rein. Vielleicht in eine Suppe. Wenn du weißt, wie man ein Consomé glasklar bekommt und es trotzdem seine wunderschöne goldbraune Farbe hat, dann bist du ein gefragter Mann. Dann möchte jeder bei dir auch ein Spiegelei essen. Machen Sie mir nur ein Spiegelei, Herr Witzigmann. Das wird mir schon reichen.
Martin Okay, ein bisschen Trüffel darüber? Ja, danke schön.
Andrea Weiße Trüffel. Ja, er hat dann gekocht in Stockholm. Wo war er denn noch? In Washington. Und da sollte gerade irgendwas Neues entstehen, wo man ihn auch einbinden wollte. Man war ja froh, dass er weit weg von Europa war und dass man jetzt so einen tollen Koch bei sich hatte. Aber dann kam Fritz Eichbauer und machte ihm ein unmoralisches Angebot.
Marko Wer ist Fritz Eichbauer?
Andrea Das war ein Münchner Bauunternehmer mit großem Portemonnaie, ein Gourmet, der einfach das Klima schonen wollte und nicht immer nach Frankreich fahren wollte. Und er wollte jetzt sein eigenes Restaurant bauen.
Marko Das glaube ich doch nicht, dass er das Klima schützen wollte in den 60er -Jahren.
Martin Ach komm, Marko, doch.
Marko Nee, ist klar. So ein Baulöwe, der das Klima schützen will.
Andrea Ja, ja.
Marko Also ich glaube, du verklärst es ein bisschen.
Andrea Das kann sein.
Martin Anstatt das Klima zu versauen und nach Frankreich zu fahren, ist er nach Washington gefahren.
Andrea Vielleicht hat er auch nur angerufen.
Martin Und hat den Witzigmann gefragt, willst du nicht bei mir? Oder wie ist das gelaufen?
Andrea Ich denke, so ist das gelaufen. Das weiß Madeleine Jakitz, die hat ja Eckart Witzigmann gekannt. Und die erzählt jetzt mal, wie diese beiden Männer zusammengekommen sind.
O-Ton Madelaine Jakitz Fritz Eichbauer ist in München erfolgreicher Bauunternehmer, aber er ist vor allen Dingen auch ein hingebungsvoller Gourmet und fährt mit seiner Frau regelmäßig nach Frankreich zum Essen. Und er ist bitter enttäuscht, dass er zu Hause in Deutschland nichts Vergleichbares findet. Nichts, absolut nichts. Er muss also weiterhin nach Frankreich. Also beschließt er, ich mache selber ein Restaurant. Und baut das Tantris, das berühmte Tantris. Was ihm noch fehlt, ist ein Küchenchef. Und eines Tages sitzt er bei bewusstem Paul Häberlin im Restaurant. Und beim Digestiv hinterher unterhalten sich die beiden. Und Herr Eichbauer erzählt, was er vorhat und dass er sucht. Woraufhin Paul Häberlin sagt, da habe ich jemanden für Sie. Eckart Witzigmann, der ist fantastisch, der wäre genau das Richtige für Sie. Eckart Witzigmann ist aber inzwischen in Washington DC im Jockey Club. Nachdem er auch übrigens in Stockholm und in London noch gekocht hatte unterwegs. Er ist im Jockey Club tätig in Washington DC. Und dann taucht Herr Eichbauer bei ihm auf und bietet ihm an, mit ihm zusammen das Tantris zu eröffnen. Das ist ein tolles Angebot, das ist Witzigmann wohl klar. Aber als er die Pläne sieht, nach denen die Küche gebaut wird, sagt er, nein, also das mache ich nicht. Die Küche war herkömmlich angeordnet an den Wänden des Raumes. Da waren also die ganzen Arbeitsstationen. Und Eckart Witzigmann sagte, nein, das will ich nicht. Ich möchte in der Mitte des Raumes einen großen Block haben. Das ist das Zentrum, wo gekocht wird. Und vorbereitet wird an den Rändern. Sonst komme ich nicht. Das war für Eichbauer jetzt blöd, aber er hat sich darauf eingelassen. Alles musste nochmal stopp, stopp, nochmal von vorn die Küche planen. Aber er hat es gemacht. Und so ist es gekommen, dass Eckart Witzigmann Amerika verlassen hat mit seiner Familie und nach München gezogen ist. Und Ende 71 das Tantris mit Fritz Eichbauer eröffnet hat.
Marko So und dieser Witzigmann, was ist das für ein Typ? Also wenn man sich von so’n Mäzen kaufen lässt, er hat ja tausend andere Jobangebote, ist es jetzt nicht so, dass der devot da sitzt und sagt, ja ja, lieber Baulöwe, ich mach dir das leckere Omelette. Sondern der sagt ihm ja noch, wie er die Küche neu zu bauen hat. Und dann reißt er das alles wieder ein. Ich meine, es ist ja ein Baulöwe, der kann das ja wieder aufbauen. Das ist gar kein Problem. Aber das sind ja schon nochmal seltsame Allüren.
Andrea Ja, aber man fühlt sich natürlich auch geschmeichelt, wenn man aus Washington irgendwie freigekauft wird und darf dann so ein Restaurant etablieren. Und ich glaube, Witzigmann hatte ja auch die Idee, eine gehobene Küche, die Nouvelle Cuisine, die französische, klassische Küche nach Deutschland zu bringen. Also er wollte ja auch sagen, Leute, schaut doch mal, was es sonst noch so gibt, außer Schnitzel und Erbsensuppe.
Marko Nein, vorher war er in den USA, dann wollte er denen die Hamburger austreiben.
Andrea Wahrscheinlich. Der muss gelitten haben da. Also er hat das durchsetzen können, dass ein Küchenblock eingebaut wird, dass er eben so arbeiten kann wie bei den Häberlins, stelle ich mir vor. Aber was er nicht geschafft hat, war, dieser Fritz Eichbauer, der hatte noch einen Grill in dieser Küche, weil er offenbar auch gerne irgendwie Gegrilltes gegessen hat.
Martin Ja, ist ja auch nicht falsch.
Andrea Ja, aber wenn du was Gegrilltes haben willst, musst du halt zum Jugoslawen gehen. Aber Witzigmann wollte halt eine gehobene Küche anbieten, aber die meisten haben Steak bestellt. Und Niki Lauda zum Beispiel war dort auch öfters zu Gast, hat dann, er wollte ihm was Gutes tun, ins Gästebuch geschrieben, das beste Steakhaus der Welt. Und die Leute…
Martin War er beleidigt, der Witzigmann.
Andrea Ja, und die haben sich sogar Ketchup reichen lassen. Das geht doch nicht. Das geht nicht.
Marko Stimmt, der Jugoslawe nimmt Ajvar.
Martin Also ein Affront auf jeden Fall. Also ja, gut, Ketchup zum Steak ist auch schon ziemlich komisch, aber in einem Spitzenrestaurant, das macht man nicht.
Andrea Er hat sich missverstanden gefühlt.
Martin Auf der anderen Seite, wenn es schmeckt.
Andrea Naja, die anderen Sachen schmecken ja auch. Und er wollte ja endlich, dass die Menschheit mal so gut zubereitete Speisen einfach essen kann. Aber das Münchner Publikum damals war einfach auch überfordert. Und die haben dann Speisen zurückgehen lassen, die in ihren Augen, wenn der Fisch glasig war, war der nicht durch. Und das ist gefährlich, wie wir wissen. Aber das war auf den Punkt einfach gegart. Also die Leute waren schlichtweg überfordert. Die wollten Durchgebratenes haben. Die wollten kein rosa Steak, wenn überhaupt Steak.
Martin Gemüse schön weich.
Andrea Gemüse schön durchgekocht, dass man nicht so viel kauen muss. Vielleicht sogar noch püriert, Stilmus eintopf. Aber er ist da fast verzweifelt. Und ein anderes Problem war, dass er diese Zutaten nicht bekommen hat. Und er ist zuerst zweimal die Woche nach Paris gefahren, auf den Großmarkt.
Martin Also er selber ist ins Auto gestiegen nach Paris und München aus.
Andrea Ja. Und dann hat er aber noch eine andere Möglichkeit gefunden. Aber er war schon sehr verzweifelt. In einem Interview hat er das mal erzählt, wie schwierig das war, zum Beispiel gute Butter zu bekommen. Oder dass es in Deutschland noch kein Crème fraîche gab, nur Sahne. Aber er brauchte einfach andere Fettstufen, um das Essen gut hinzubekommen. Und es gab keinen Hummer, es gab keine Trüffel. Es gab nicht diese Vielfalt an Käsesorten oder auch an Weinen. Und er hat das alles einfliegen lassen, erzählte er. Zuerst ist er auf die Großmärkte zweimal die Woche nach Paris gefahren von München. Das war aber dann doch zu aufwendig. Und dann hat er sich die Ware einfliegen lassen. Also ich denke, dann ist einer von seinen jungen Köchen zum Flughafen gefahren und hat das da alles abgeholt.
Martin Teuer, ne?
Andrea Das ist richtig teuer, ja. Sternerestaurants zu unterhalten, ist teuer. Und das hat Madeleine Jakitz auch gesagt. Häufig sind die angegliedert an Grand Hotels, dass man also mit was anderem sein Geld verdient als Hotelier oder Restaurantbesitzer. Und, das hat Eckartt Witzigmann auch mal in einem Interview gesagt, dass man natürlich auch viele Reste in der Sterneküche hat. Hochwertige Reste. Und damit man die nicht wegschmeißen muss, was ja wirklich schlimm wäre, hat man gerne noch ein Bistro zum Beispiel angegliedert an dieses Sternerestaurants.
Martin Ach, die Bistros, die sind dann immer die Resterampe für die Gourmet-Restaurants.
Andrea Genau, Ein-Euro-Gerichte. Nein, aber da kann man zum Beispiel, weil die Sterneküche einfach die Spitzenprodukte braucht, mit absoluter Frische, die sind natürlich auch noch frisch in dem Bistro, aber man verwertet im Grunde auf hohem Niveau Reste, so kann man es sagen.
Martin Und diese Angliederung an die Hotels, an diese Grand-Hotels, das ist so ein bisschen auch, heute ist es auch mal modern, glaube ich, Cross-Promotion. Also das Restaurant, das bekannte Restaurant, das sorgt dafür, dass die Leute dann irgendwie ins Hotel gehen, um da zu essen. Und damit belegt man die Betten, verdient das Geld damit, und so finanziert sich das quasi gegenseitig.
Andrea Genau so ist das, ja. Weil ein Sternerestaurant, das können nur wenige, glaube ich, das so zu führen, dass es sich wirtschaftlich auch lohnt. Und Eckart Witzigmann zum Beispiel, der war Künstler. Der hat unglaublich intuitiv gekocht und hat manchmal auch, so hat es mir Madeleine Jakitz erzählt, manchmal erst mittags festgelegt, was es abends gibt, weil ihm danach war.
Martin Ach du lieber Himmel, da schlägt wahrscheinlich jeder, der als Koch eine Kalkulation machen muss, die Hände über den Kopf zusammen.
Andrea Ja, und sie hat mir auch erzählt, sie hat ein Buch produziert damals mit ihm, Junges Gemüse, und dafür haben sie in seiner Wohnung in München fotografiert. Und der Mann war vorher auf dem Viktualienmarkt gewesen, die Wohnung war voll, da hättest du riesige Truppen von ernähren können. Aber er wollte halt aus diesen 75 Pfifferlingen die fünf schönsten haben. Und so, das ist natürlich nicht wirtschaftlich, wie wir uns das vorstellen können.
Martin Also muss schon ein bisschen irre sein, ne, dafür auch.
Andrea Ich denke, also es gibt bestimmt auch Köche, die sehr strukturiert sind, aber die Künstler, es ist ja auch sehr angenehm, bei einem Künstler zu essen.
Marko So, und jetzt hat dieser Witzigmann diese Nouvelle-Cuisine irgendwie nach Deutschland gebracht, das heißt, findet er jetzt bald Nachahmer, geht das dann durch die Decke, weil das so toll ist, in München bei ihm da zu essen?
Andrea Ja, es hat sich schon rumgesprochen, das ist auch, wenn man sich die Internetseite vom Tantris mal ansieht, es ist toll.
Martin Das gibt es heute noch, das Tantris.
Andrea Das gibt es heute noch, es sieht so gemütlich aus, man will da sofort rein. Man will da sofort rein. Aber es ist natürlich der Preis, der einen dann abschreckt.
Marko Ja, reden wir mal über das Geld. Also ich meine, das ist offenbar ja nicht für jeden was.
Andrea Wir können ja mal, wenn du über Preise reden möchtest, lieber Marco,
Marko Müssen wir doch mal.
Andrea Müssen wir.
Marko Ich meine, wenn wir die ganze Zeit über teures Essen reden, dann müssen wir doch mal darüber reden, was das denn wirklich kostet.
Andrea Dann machen wir das doch mal am Beispiel eines ganz neuen, oder eines Restaurants, das jetzt im letzten Jahr ganz frisch den dritten Stern bekommen hat.
Marko Okay.
Andrea Das ist Essense. Ess, Doppelpunkt, Sense.
Martin Ja, ja auch ein Wortspiel.
Andrea Natürlich.
Marko Hintergründig.
Andrea Hintergründig. Der Chefkoch, Chef de Cuisine, heißt Edip Siegel. Und das Hotel liegt am Chiemsee. Also auch eine Gegend, wo durchaus Menschen mit Geld leben. Und da kannst du zum Beispiel ein 6 -Gänge -Menü für 235 Euro bekommen, plus 130 Euro Weinbegleitung.
Martin Das heißt, wenn man da zu zweit essen geht, ist man 800 Euro los. 800 Euro los, weil wir gerade kurz vor 1000 sind wir noch nicht, aber so weit ist es auch nicht mehr entfernt.
Andrea Nein, und wenn du 8 Gänge nimmst, bist du bei 330 plus 150 Euro.
Martin Da sind wir bei 1000 zu zweit.
Andrea Da sind wir bei 1000 zu zweit.
Martin Für Mittagessen.
Andrea Ich denke, das bieten die abends an. Also mittags kann man glaube ich immer ein bisschen günstiger in diesen Häusern essen. Weiß ich aber auch nicht. Aber sobald Trüffel, Hummer, diese Sachen ins Spiel kommen, wird es hochpreisig. Das muss man wollen.
Martin Ja und muss man auch können.
Andrea Das muss man können. Ich würde es ja wollen, aber ich könnte es auch nicht.
Marko Wenn es da draußen jemanden gibt, der unsere liebreizende Kollegin zum 1, 2, 3 Sterne -Essen einladen will, bitte melden.
Andrea Ich habe Hunger.
Marko Also 3 Sterne hat dann Herr Witzigmann bekommen?
Marko In der Tat?
Andrea Ja, du musst aber erst 1 Stern haben, dann 2 und dann kann aufgestockt werden auf 3.
Marko Aber man kann sich nicht nur hocharbeiten.
Andrea Man muss dich hochkochen.
Marko So und dann kommen immer diese komischen, wie hießen die Dementoren?
Martin Nein, Inspektoren.
Marko Inspektoren.
Marko So die kommen dann sozusagen über dein Restaurant und kreisen da drumherum, essen dir die Küche leer und sagen dann, na hat nicht gereicht Herr Witzigmann oder was?
Martin Sie sind glaube ich anonym. Die offenbaren sich nicht. Und wenn ich das richtig in Erinnerung habe, dann bezahlen die auch immer. Also es ist nicht so, dass die sich da einladen lassen.
Andrea Ja und die bezahlen in bar, dass man auf der Karte, die sie ja dann abgeben würden, ihre EC -Karte oder Kreditkarte, würde ja der Name stehen. Und man kennt ja, also man ist ja eigentlich immer auf der Hut wie ein Reh vor dem Jäger, dass, also man weiß es ja nicht, ob ein Inspekteur gerade im Restaurant ist. Und ich glaube deswegen testen auch keine Frauen, weil es ist immer noch ungewöhnlich, dass Frauen alleine vier Gänge oder acht Gänge essen und sich dabei immer Notizen machen. Ich glaube, das ist sehr auffällig. Und diese Inspektoren, die dürfen auch keine Fürstentümer bilden. Also, dass man die kennt und sich dann besondere Mühe gibt.
Martin Also der ist immer für die Region Elsass zuständig oder der immer für Saarland oder so?
Andrea Genau, das darf eben nicht sein. Also die wechseln immer, das sind Leute, die 200 mal im Jahr essen gehen. Diese Inspektoren müssen ja auch ausgebildet werden. Und das fand ich ganz interessant, weil die gehen dann mit einem …
Martin Also essen, gehen, kann man lernen.
Andrea Das kann man lernen. Also man kann die Definition von Geschmäckern lernen. Man muss es ja auch beschreiben können. Man muss wissen, was ist absolute Spitzenklasse.
Martin Also man kriegt auch ein Vokabular beigebracht.
Andrea Ich denke schon, dass die sich eben miteinander unterhalten können. Und man geht dann mit einem langjährigen Mitarbeiter, mit dem Chefredakteur des Guide Michelin Deutschland zum Beispiel, essen, isst dasselbe und tauscht sich dann darüber aus. Und dann merkt ja der Alteingesessene, ob der Junge oder Neue sich irgendwie eignet, ob der ein Gespür dafür hat, einen Geschmack dafür hat. Dann tauscht man sich aus. Was auch interessant ist, das hat mir Madeleine Jakitz auch erzählt, in Deutschland testen deutsche Inspektoren, in Frankreich französische und so weiter. Und Guide Michelin Deutschland sitzt ja in Karlsruhe. Und Gastronome werden sehr nervös, wenn Autos mit Karlsruher Kennzeichen auf dem Parkplatz stehen.
Marko Dann gibt es nicht doppelt Mühe.
Andrea Da sind schon Sachen angebrannt, weil die ganze Brigade nach draußen gelaufen ist. Um Himmels willen, Karlsruhe, Himmels, wer ist das? Ja, da sind schon Sachen angebrannt.
Martin Der Guide Michelin kommt voller Deckung.
Andrea Ja, und als Eckart Witzigmann dann seine drei Sterne bekommen hat.
Marko Wann war das?
Andrea Das war 1979.
Marko Oh, aber ging ja dann relativ fix.
Andrea Ja gut.
Marko Von 1971 bis Ende der 70er hat er es geschafft.
Andrea Ja.
Martin Wenn man sich hocharbeiten will, ein Stern, zwei Stern, das geht ja von Jahr auf Jahr, könnte man es theoretisch schaffen.
Andrea Ja, und du musst es natürlich versuchen zu halten. Den Stern bekommt ja das Restaurant, nicht der Koch. Selbst wenn Witzigmann weggegangen wäre, so wie im Tantris, hat ja der Nachfolger zwei Sterne übernommen. Aber du musst das Niveau halten. Und Lea Linster hat auch gesagt, so ein Stern kann dich auch umbringen.
Marko So, und der Witzigmann, dann war er im Tantris, in diesem Ding von diesem Bauunternehmer, und dann hat er da drei Sterne geholt?
Andrea Zwei.
Marko Ah, nur zwei, okay.
Andrea 1973 und 1974.
Marko Und dann war auch Schluss.
Andrea Na ja, du suchst dir nach neuen Herausforderungen. Und was er noch nicht gehabt hat in seiner Laufbahn, seiner erfolgreichen, das war ein eigenes Restaurant. Und dann hat er sich in München, da hatte er ja schon auch ein Stammpublikum jetzt, hat er dann die Aubergine gegründet, aufgemacht.
Marko So, das heißt, da fing er dann aber an ohne Stern.
Martin Du musst ja dann wieder von vorne anfangen.
Andrea Du fängst wieder von vorne an. Das Restaurant hat ja den Stern, nicht der Koch.
Marko Und das Tantris ist dann, hat er mit zwei Sternen zurückgelassen und hat dann die Aubergine gegründet. Erstmal hat er natürlich den Namen als Koch. Aber das Restaurant hat erst mal gar keinen Namen und auch noch keinen Stern. Weil die Sterne darf er nicht mitnehmen.
Andrea Genau.
Marko Ah ja, habe ich es richtig verstanden.
Andrea Du fängst bei Null an.
Marko Dann hat er sich da hoch gebrutzelt.
Andrea Der hat sich hoch gebrutzelt. Und ja, ich denke, der arme Mann hat bestimmt 20 -Stunden-Tage gemacht und gehabt. Aber es hat sich gelohnt. Und die Aubergine hat das Tantris nochmal überholt. Und hat dann 1979 den dritten Stern bekommen. Und das testen dann Franzosen. Also wenn es um Stern 3 geht, dann kommen die Monsieur selber hoch, höchstpersönlich.
Marko Da gibt es kein Karlsruher Kennzeichen mehr. Da gibt es nur…
Andrea Nein, La France.
Marko Das französische Kennzeichen. Und dann wird aber alle Mann Deckung. Und doch, jetzt aber auch.
Andrea Ja, oh la la.
Martin Das kann ich mir auch gut vorstellen. Denn du hast das Zeitzeichen ja zum Thema gemacht: Eckart Witzigmann bekommt mit seiner Aubergine als erstes deutsches Restaurant die drei Sterne. Also wenn es vorher noch gar keinen gab, da können wir gut vorstellen, dass die aus Frankreich dann eingeflogen kommen.
Andrea Das ist aber heute noch so. Also wenn es um Stern 3 geht, wenn das diskutiert und geschmeckt werden muss, das machen die Franzosen selber.
Martin Das tut die Deutschen gar nicht. Da darf keiner ran sonst.
Andrea Da kommt keiner ran.
Martin Und das ist dann auch egal, weil ich meine mittlerweile gibt es ja den Guide Michelin weltweit. Also wenn das irgendwo in Bangkok ist, dann fliegen da auch die Franzosen hin.
Andrea Fliegen die da hin. Natürlich. Und essen. Wollt ihr wissen, von was die so begeistert waren?
Martin Für drei Sterne ja auf jeden Fall.
Andrea Ja, das hat mir Lea Linster erzählt. Die war nämlich dort als junge Köchin auch zu Gast und wollte sich inspirieren lassen. Und da erzählt sie was und da läuft einem das Wasser im Munde zusammen.
O-Ton Léa Linster Was mir sehr gut gefallen hat an Eckartt Witzigmann, er konnte einfache Sachen dahin bringen, wo du gedacht hast, oh mein Gott, so gut habe ich das im Leben noch nie gegessen. Und ich kann mich erinnern, da gab es eine kleine Entrée. Das war eine so eine ganz fantastische Brühe. Und darin hatte er Nocken mit Gries drin. Gries ist ja jetzt natürlich ein emotionales deutsches Produkt. Wenn du fragst, die Deutschen, das ist dein Lieblingsgericht, dann sagen die immer, Griesbrei, wie meine Oma ihn gemacht hat. Und ich glaube, der Eckartt hat gedacht, jetzt nehme ich sie mal mit den Emotionen. Und das war nicht nur gut, das war auch schön. Das war von der Textur perfekt. Das musste er halten in dieser Brühe. Das durfte die Brühe nicht trüben. Und er hatte noch so Gemüse dabei. Also ich war hingerissen von diesen einfachen Zutaten, die so nobel gemacht worden sind von ihm. Man konnte den Mehrwert des Chefs erkennen allein in der Suppe. Und das hat mich sehr froh gemacht.
Martin Der Mehrwert des Chefs in der Suppe, das ist ein sehr schöner Satz. Griesnockerl, das ist natürlich so ein österreichisches Rezept. Das würde man jetzt nicht erwarten, drei Sterne und dann Griesnockerl.
Andrea Aber das ist ja gerade das. Der hat auch immer gesagt, ich habe eine bodenständige Küche, ich will nicht abgehoben kochen. Und er hat auch immer eine Referenz an sein Heimatland Österreich gehabt.
Marko Lass mir über die Zutaten aus Frankreich einfliegen, weil ich so bodenständig bin, das glaube ich alles nicht. Das ist doch Chichi.
Marko Das ist doch Chichi, sagt Marko.
Marko Aber man kann das doch nicht als bodenständig verkaufen, wenn man sich die Rezepte einfliegen lässt.
Andrea Inzwischen gab es ja auch Anbieter in Deutschland, die vielleicht hochwertiges Fleisch produziert haben. Aber man hat sich letztendlich … Klar, das wird aus aller Welt eingeflogen. Ich glaube, auf Sylt wachsen Austern. Da kannst du Austern züchten, aber sonst auch in Deutschland wahrscheinlich nirgendswo. Diese Bänke stehen ja da in der Blitzelbucht. Ja, das ist halt der Hintergrund einer Sterneküche, dass man eben exklusive Gerichte oder Zutaten in aller Welt kaufen muss. Deswegen heißt das auf den Speisekarten auch oft around the world, dass man eine Rundreise, während man die 12 Gänge isst, macht.
Marko Aber bodenständig.
Martin Ich sehe, Marko ist nicht überzeugt.
Marko Ich finde das ja im Prinzip gut.
Andrea Er hat ja Recht.
Marko Ich finde, zu einer höchsten Kunst zu bringen, eigentlich erst mal nicht schlecht. Aber man muss natürlich auch klar sagen, was der Preis dafür ist. Und zu sagen, ein Bauunternehmer will nicht so weit fahren, das kann man verstehen, aber nicht aus ökologischen Gründen, weil die Sachen lässt er sich ja einfliegen. Wahrscheinlich, wenn die die Nasen von irgendwelchen Tieren essen können, die lecker sind, dann ist es denen egal, wenn die aussterben.
Andrea Nein, das glaube ich nicht. Ich sage das jetzt mal so ganz plakativ, aber ich glaube, für die Sterneküche – vielleicht leiden die Tiere weniger, weil es eben Rassen sind, die sich nicht für die Massenproduktion, Mastproduktion, eignen. Sondern das sind Tiere, die draußen leben müssen, die frische Luft atmen dürfen, die Licht ans Fell kriegen, die gutes Gras essen, die man gut füttern muss, um einfach dieses schön marmorierte Fleisch zum Beispiel zu bekommen, bei den Cheroulet -Rindern.
Marko Die halt nichts für die Masse sind, weil die sich das nicht leisten können. Aber wenn es lecker ist, stopft man auch die Gans.
Andrea So ist es, aber das kann ja jeder für sich entscheiden.
Marko Ich will das ja gar nicht verurteilen. Ich will nur einfach sagen, so ist es doch auch. Wenn es lecker ist, dann gibt es halt Stopfleber.
Andrea Das verurteile ich auch. Das finde ich nicht gut. Das ist auch verboten. Frankreich hat das umgangen, indem es das zum gastronomischen Kulturerbe erklärt hat. Und somit dürfen sie weiter stopfen. Es gibt inzwischen vegane Varianten mit roter Beete. Also da könnte man ja auch drüber nachdenken. Aber es ist auf sehr vielen Speisekarten von Sterne -Restaurants drauf.
Marko Du bist Vegetarierin.
Andrea Ich bin Vegetarier. Deswegen müsste ich in ein Sterne -Restaurant gehen, die eben auch vegetarische Gerichte anbieten.
Martin Ich glaube, das ist immer noch relativ schwierig. Aber du erzählst trotzdem mit Begeisterung von marmoriertem Fleisch. Also, du kannst das schon verstehen.
Andrea Ich kann das verstehen. Meine Eltern haben auch immer gutes Fleisch gekauft. Dann gibt es halt nicht so oft welches. Das wollte ich gerade auch noch sagen.
Marko Das finde ich auch in Ordnung.
Andrea Ich kann auch Kartoffeln mit Quark essen. Wenn ich einen schönen Quark habe und ein gutes Leinöl, dann geht es mir auch gut. Ich muss ja nicht jeden Tag Truthahn oder See-Teufel essen. Aber wenn, dann würde ich, wenn ich Fleisch essen würde, würde ich gutes Fleisch kaufen, bei dem ich weiß, die Tiere sind vielleicht sogar am Hof geschlachtet worden, haben ein gutes Leben vorher gehabt. Ich finde, dann kann man das rechtfertigen.
Martin Ich glaube, es gibt einfach dieses Spektrum, wie es in allen Bereichen ein Spektrum gibt. Weil du gesagt hast, wenn es dann Stopfleber gibt, dann isst man das auch. Da gibt es auch solche Leute, die das machen, denen das völlig egal ist. Hauptsache, es schmeckt. Und andere, die schon Wert darauf legen, zu wissen, wo das herkommt. Und dass das Tier, wenn es denn ein Tier gewesen ist, dann vorher ein halbwegs vernünftiges Leben gelebt hat und nicht aus einer Massentierhaltung kommt.
Andrea Das kann man alles auf den Seiten von den Sternen -Restaurants nachlesen. Da stehen auch oft die Erzeuger und wie die quasi ihr Fleisch erzeugen oder ihr Gemüse.
Marko Man muss sich nur darüber klarmachen, wenn man auf dieser elitären Ebene unterwegs ist, so kann das nicht für jedermann eine Lösung sein. Bodenständig finde ich es nicht, wenn man den Scheiß einfliegen lässt.
Andrea Das ist klar. Aber von den Rezepten her meint er es bodenständig. Wenn er alles in einen Strudelteig packt, hat das ja was Bodenständiges. Das ist ein österreichisches Gericht, das du herstellen kannst aus Strudelteig. Bodenständig ist das alles nicht. Das ist völlig klar. Auch wenn einer sagt, er sei ein bodenständiger Sternekoch. Aber damit meint er ganz bestimmt, dass er Rezepte aus seiner Kindheit aus seinem Land nimmt und daraus die Hochküche macht. So würde ich es verstehen.
Marko Herr Witzigman lebt noch. Als Person hat er für die Küche hier in Deutschland einen großen Stellenwert gehabt. Damit ist die Nouvelle-Cuisine auch in Deutschland angekommen. Wie lebt er heute? Was macht er? Er ist ein alter Mann.
Andrea Ja, der ist jetzt über 80. Ich glaube, der ist letztes Jahr 83 geworden. Der hat Herausragendes geleistet für die deutsche Kochkunst oder für Kochkunst in Deutschland. Er hat nämlich viele Schüler hervorgebracht. Harald Wohlfahrt, Christian Henze. Viele seiner Schüler sind Sterneköche und können auf diesem Niveau kochen. Das ist gefragt auch in Deutschland. Die haben quasi diese Idee der gehobenen Küche weiterentwickelt. Und was er macht, das war ein einzigartiges Konzept. Er wohnt in der Nähe von Salzburg. Da gibt es ja auch einen Flughafen mit einem Restaurant, Hangar 7 heißt das. Und da hat er das Konzept entwickelt, jeden Monat einen Gastkoch einzuladen, der dann einen Monat kocht und die Küchenbrigade quasi für sich arbeiten lässt. Es war wohl sehr neuartig, als er das erfunden hat.
Martin Ich würde noch gerne einmal zurück zur Sterneküche. Du hast eben gesagt, so ein Stern kann einem Gastronom auch das Kreuz brechen.
Andrea Ja.
Martin Was hast du damit gemeint?
Andrea Das hat mir Lea Linster erzählt. Sie hatte wohl mal, als sie den Stern frisch hatte, ein Gericht auf der Karte, vor dem die gesamte Küche irgendwie Angst hatte. Da hatte man immer so Bedenken. Und dann hat sie, ob das gut geht, ob das was wird, ob es gut ist, ob es angenommen, mein Magen knurrt, ob es angenommen wird. Und dann hat sie gesagt zu ihrem Küchenteam, ich hab keine Lust, Angst vor meiner eigenen Küche zu haben, wir nehmen das raus und nehmen was anderes dafür. Und damit waren die wohl alle ganz glücklich. Und der Stern, dass der Stern einen umbringt. Man darf nicht daran verzweifeln, dass man jetzt sagt, ich muss dieses Niveau halten. Sondern sie hat gesagt, man muss sich damit auseinandersetzen, was mache ich, wenn mir der Stern wieder weggenommen wird. Darauf muss man vorbereitet sein, hat sie gesagt.
Martin Mir hat mal ein Sternekoch so was Ähnliches gesagt. Der hatte auch dann irgendwann zwei Sterne. Und er sagt, das Erkochen eines Sterns, das ist das eine. Aber das Halten, das ist noch mal eine ganz andere Geschichte. Und das wird dann von Stern zu Stern noch mal exponentiell schwieriger. Weil da eben dann es auch nicht nur aufs Essen ankommt, sondern auch auf das Interieur, auf die Gedecke, auf das Besteck, auf die Toiletten, wie die ausgestaltet sind, wie der Service ist usw. usf. Und da wird es dann richtig schwer und dann auch teuer. Weil er sagte, im Prinzip musst du, wenn du zwei Sterne hast, erst mal dein Servicepersonal rausschmeißen, weil die gar nicht auf dem Niveau servieren können. Und du musst deine keramische Abteilung komplett neu gestalten, weil erwartet wird, dass man eben auch ein anderes Niveau hat. Und dann wird es schwer und dann wird es teuer. Und dann ist es, glaube ich, auch nicht überraschend, dass wenn man mehrere Sterne hat, dann man so jemanden braucht wie vielleicht einen Baulöwen, der sagt, gönne ich mir.
Marko Witzigmann, wie lange ging das denn mit den drei Sternen gut?
Andrea Von 79, 14 Jahre, ne? 79 bis 93.
Marko Und dann hat er aufgehört zu kochen?
Andrea Na ja, er hat dann gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen und ist dann zu einer 2 -jährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Und die Stadt München hat ihm dann die Konzession für sein Restaurant entzogen. Und somit stand er ohne Restaurant da.
Martin Also von drei Sternen auf null?
Andrea Auf null. Er hat die Aubergine geschlossen. Und hat sich dann auf das Schreiben von Kochbüchern berufen, hat Dinnerevents organisiert und eben dieses Gastkochkonzept für den Salzburger Hangar 7.
Marko Und bist du eigentlich eine große Bewundererin von ihm, oder?
Andrea Nein. Das kann ich nicht sagen, nein. Ich bewundere niemanden, das muss ich so sagen. Aber ich bewundere es, dass wenn jemand gut kochen kann. Ich esse gerne gut. Aber das muss nicht in einem 3 -Sterne-Restaurant sein. Mir genügt es, wenn ich ein gutes Ei… Wenn ich weiß, die Hühner leben gut, die kriegen gutes Essen, und ich schlage das Ei auf. Es ist ein dunkler Dotter. Und ich weiß, damit mache ich mir jetzt ein fantastisches Spiegelei, auch ohne Trüffel. Das macht mich glücklich.
Martin Spitzengastronomie von der Guillotine bis zur Aubergine, könnte man sagen, ganz herzlichen Dank, Andrea Klasen, dass du uns von dieser Geschichte erzählt hast und von Eckart Witzigmann. Ich weiß nicht, wie es euch geht, ich habe Hunger.
Marko Wenn euch diese Folge der Geschichtsmacher gefallen hat, dann kocht auf jeden Fall was für Andrea Klasen und ladet sie ein.
Martin Verbreitet die Kunde von diesem Podcast an allen Frittenbuden dieser Welt.
Marko Wenn es euch aber nicht gefallen hat, dann sagt es uns. Aber bitte auch wirklich nur uns unter…
Martin www .diegeschichtsmacher .de Da findet ihr alle Informationen zu diesem kleinen Podcast, auch wie ihr mit uns in Kontakt treten könnt und wie ihr uns unterstützen könnt bei Steady. Da brauchen wir noch finanzstarke Mitglieder. Wir brauchen auch Mäzene, nicht nur Spitzenköche, sondern wir auch. Da könnt ihr für 6 oder 12 Euro kleiner oder großer Geschichtsmacher, kleine oder große Geschichtsmacherin werden. Wenn ihr das tut, sorgt ihr dafür, dass es auch uns weiter gibt.
Marko In diesem Sinne, tschüss.
Martin Und guten Appetit, tschüss.
Andrea Bon Appetit.
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