4. Juli 2025 - Kategorie(n): Allgemein, Podcast-Folgen
Oben, auf einem wackligen Holzgerüst, 21 Meter über der Donau, steht der Schneider Albrecht Ludwig Berblinger. Er trägt einen seltsamen Apparat mit Flügeln. Unten stehen der König und die versammelte Einwohnerschaft von Ulm. Gleich wird er abspringen – und wir wissen, wie es ausgeht – oder? Bei Berthold Brecht und seinem Gedicht über den Schneider von Ulm endet der Versuch tödlich. Die historische Wahrheit war eine ganz andere, wenn auch kaum weniger schrecklich.
Hört in dieser Folge unseres Podcasts die Geschichte vom Schneider von Ulm, der für die einen ein Scharlatan, für die anderen einer der ersten Flugpioniere der Geschichte ist.
Mit von der Partie beim Flugversuch über die Donau ist Michael Wettengel, der Leiter des Stadtarchivs von Ulm.
Wichtige Links:
Das Zeitzeichen von Marko über den Geburtstag des Schneidesr von Ulm am 24. Juni 1770 findet ihr hier.
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Die Geschichtsmacher sagen: Danke!
GM der Schneider von Ulm (gekürzt).mp3
[00:00:00] Marko liest Brecht »Bischof, ich kann fliegen«, sagte der Schneider zum Bischof. »Pass auf, wie ich’s mach!« Und er stieg mit so’nen Dingen, die aussahen wie Schwingen, auf das große, große Kirchendach.
[00:00:12] Martin Lyrik bei den Geschichtsmachern, Berthold Brecht. Aber den Schneider, den hat’s wirklich gegeben.
[00:00:19] Marko Den hat es gegeben…
[00:00:19] Martin Aber den Bischof nicht?
[00:00:20] Marko Den Bischof nicht es ist eine vertrackte Geschichte mit diesem Flugpionier, diesem Schneider von Ulm.
[00:00:27] Martin Dann heben wir heute mal ab in die Lüfte, hoffentlich stürzt wir nicht ab.
[00:00:31] Marko Herzlich Willkommen bei…
[00:00:32] Intro Die Geschichtsmacher. Von Autorinnen und Autoren des Zeitzeichens.
[00:00:46] Marko Nun hatten wir ja vor einigen Wochen die Karte des Piri Reis und seitdem wissen wir ja, dass die Griechen bereits fliegen konnten.
[00:00:57] Martin So hört man ja.
[00:00:58] Marko Daedalus und Ikarus, die Geschichte kennt jeder. Die ist übrigens bei noch einer Folge von uns vorgekommen.
[00:01:03] Martin Daedalus und Ikarus, ach, das war die Geschichte auf Knossos.
[00:01:07] Marko Das Labyrinth der Unzucht also wenn ihr da noch mal ein bisschen reinhören wollt: Es sei euch herzlich empfohlen, ne. Aber heute geht es ein wenig mehr in die Moderne wir schreiben nämlich das Jahr 1811.
[00:01:20] Martin Und da gibt es einen Schneider, den Schneider von Ulm, gehört hat man das, glaube ich, schon mal irgendwie, dass es da einen Verrückten gegeben hat in Ulm der versucht hat, sich mit Schwingen in die Luft zu begeben, so ein bisschen wie Ikarus das in der Antike auch gemacht haben.
[00:01:35] Marko Man nennt ihn auch den Ikarus von Ulm.
[00:01:38] Martin Tatsächlich.
[00:01:39] Marko Es gibt sogar ein Lied, das so heißt. Und das besingt diesen Schneider. Der hat natürlich auch einen bürgerlichen Namen. Der heißt Albrecht Ludwig Berblinger. Für die einen ist der heute ein Held, für die anderen eher so eine Art Looser und Hochstapler. Wie man den so betrachtet, das hängt halt ein bisschen davon ab, wie man auf seine Geschichte guckt. Mit der habe ich mich beschäftigt.
[00:02:00] Martin Ja, und da muss ich sagen, Du und Flugthemen, Luft- und Raumfahrt, das ist ja eigentlich so gar nicht dein Metier, da wäre ich ja eigentlich für zuständig.
[00:02:07] Marko Ich wollte gerade sagen, eigentlich ist der Martin bei sowas sehr eifersüchtig, weil alles, was Flügelt hat, ist seins, ja.
[00:02:17] Martin Feste Flügel oder auch sich drehende Flüge, das ist egal.
[00:02:20] Marko Und alles was schwimmt, eher so meins, aber nun gut, also in diesem Fall sind die Rollen halt mal vertauscht, ja.
[00:02:27] Martin Ja. Und gibt es dann einen Grund, weswegen du dich gemeldet hast für dieses Thema? Warum also der Schneider von Ulm? Deine Großmutter, weiß ich, war Schneiderin. Aber das kann ja nicht der Grund gewesen sein.
[00:02:39] Marko Nö, das war sicherlich nicht der Grund. Also der Grund war in der Tat das Brecht-Gedicht. Also ich kannte das Gedicht von Berthold Brecht. Ich wusste aber gar nicht, dass diese Geschichte im frühen 19. Jahrhundert spielt, denn das Gedicht von Berthold Brech ist überschrieben mit den Worten „Ulm 1592“. Also Lyrik und, ich sag mal, Lyrik, und Dichtung, und Wahrheit, das sind schon unterschiedliche Dinge.
[00:03:02] Martin Das ist schon viel künstlerische Freiheit, die sich der Herr Brecht da genommen hat. Aber in der Tat: Ich war auch so ein bisschen überrascht, dass es eben 1800, wie viel hast du gesagt, war das?
[00:03:13] Marko 1811 war der Flugversuch.
[00:03:14] Martin 1811 gewesen ist, weil ich auch im Hinterkopf gehabt habe, dass das viel früher gewesen ist. Mittelalter tatsächlich.
[00:03:19] Marko Nee, nee, ist es nicht. Also wir sind tatsächlich in der Neuzeit. Geboren wird er 1770, tatsächlich auch in Ulm. Und ja, da beginnt seine Geschichte. Und das ist eine Geschichte, die ist nicht ganz einfach. Also sein Vater, der war ein sogenannter Amtsknecht. Er hat sich als städtischer Angestellter um die Waffenkammer der freien Stadt Ulm gekümmert, um das Zeughaus. Und da hat er seinen Dienst versehen. Und es heißt, dass dieser junge Berblinger, dieser Sohn, der da zur Welt gekommen ist, dass er sich schon in früher Jugend so für Technik interessiert haben soll. Also alles, was so Gelenke hatte oder vielleicht so ein bisschen mit Rädern dran, das fand er wohl immer super.
[00:04:01] Martin Naja, und das war zu der Zeit auch sehr stark dann eben Waffentechnik. Also da, wo Technik stattgefunden hat, das war eben oft in der Waffenkammer.
[00:04:10] Marko Das ist richtig, weil wir befinden uns natürlich auch kurz vor, sagen wir mal, der industriellen Revolution. Das heißt, Maschinen werden in der Zukunft sehr, sehr wichtig werden. Vielleicht ahnt man das 1770 noch nicht. Nun gut, also der junge Berblinger hat aber eine gar nicht so einfache Jugend, weil der Vater stirbt sehr früh. Also da ist der Junge gerade mal so 13 Jahre und da bleibt nur die Mutter übrig. Die Mutter hat aber acht Kinder. Und Und das ist jetzt ein Problem, weil die muss jetzt sozusagen sich um diese acht Kinder alleine kümmern und kommt damit offenbar nicht ganz klar. Und wie das Schicksal dieses Jungen dann weitergeht, damit hat sich, ja der Stadtarchivar von Ulm, darum hat er sich gekümmert. Und den habe ich mal dann kontaktiert und habe gefragt, kennen Sie sich aus mit dem Schneider von Ulm? Oder kennen Sie jemanden, der sich mit dem auskennt? Er sagte, ja, gut, das ist meine Profession. Also wenn ich in Ulm das Stadtarchiv betreue, dann muss ich mich mit diesen Berblinger auseinander setzen.
[00:05:10] Martin Ist das so ein bisschen das Maskottchen der Stadt oder wie muss man sich das vorstellen?
[00:05:14] Marko Ja, für die einen ist es das Maskottchen. Für die anderen ist er der Held der Stadt. Die einen sehen in ihm tatsächlich einen Flugpionier und die anderen sehen in ihm einen Hochstapler. Und warum das so ist, da kommen wir jetzt dann vielleicht auch gleich drauf. Michael Wettengel, schöner Name finde ich, Wett-Engel.
[00:05:31] Martin Das ist der Archivar von Ulm?
[00:05:33] Marko Das ist er Chef des Stadtarchivs von Ulm. Ja, Michael Wettengel hat dann erst mal geguckt, ja, warum wurde der eigentlich, was war mit dem Jungen eigentlich? Und was war mit dieser Mutter? Die Mutter hat acht Kinder, aber sie beschließt, sie nicht selbst zu erziehen, sondern sie gibt sie ins städtische Waisenhaus.
[00:05:54] Michael Wettengel Ja, sie war überfordert, in der Tat. Und ja, der Berblinger kam in dieses Waisenhaus, wobei diese Sozialeinrichtungen in Reichsstätten relativ gut waren. Also vergleicht man es mit Fürstenstaaten, und er hat dort die Möglichkeit gehabt, sich ein bisschen was anzusparen, aus Spenden vor allen Dingen, aus Stiftungsmitteln. Sozusagen Startkapital für das Leben. Und eine Ausbildung hat er gekriegt. Zum Schneider. Geworhen wäre er gerne etwas anderes. Sein Herz schlug für die Mechanik. Das hat er auch selbst so formuliert. Er wäre gerne Mechanikus geworden.
[00:06:38] Martin Mechanikus wäre er gerne geworden, schönes Wort. Aber Schneider, gut das ist jetzt natürlich nicht nur sehr weit weg von einem Mechaniker, sondern es ist natürlich auch ein sehr uneinträgliches Handwerk, weil es sprichwörtlich heißt es ja „arm wie ein Schneider“. Also Geld verdienen konnte man damit nicht wirklich.
[00:06:57] Marko In der Tat, aber Mechanikus ist eigentlich gar kein richtiger Beruf. Also es gibt den Beruf des Mechanikers damals doch nicht. Also als die ersten Dampfmaschinen zum Beispiel aus England nach Europa exportiert worden sind, ist da meist derjenige, der das Ding bedienen sollte, mitgeliefert worden. Also man hat eine Dampf-Maschine gekauft und hat den Mechanikuss gleich mit eingekauft. Und Mechanikus war kein Lehrberuf oder so irgendwie sowas, sondern und das gab es auch nicht als Studiengang. Sondern das war learning by doing, aber das war nix für einen Waisenjungen aus Ulm. Also die haben nicht in solchen Kategorien gedacht. Dabei ist es in der Tat so, dadurch dass die industrielle Revolution jetzt langsam anfängt irgendwann zu greifen, so 1780er Jahre, ist das im Prinzip der heiße Scheiß damals, Mechaniker werden.
[00:07:46] Martin Deutschland war ja da deutlich hinten dran. Da war eben, wie du gesagt hast, England ja weit vorne. Das war ja dann schon in den 1750er Jahren, wo das angefangen hat. Da sitzen wir da irgendwie 30 Jahre, 40 Jahre später. Und da war natürlich klar, das war Hightech, könnte man sagen.
[00:08:04] Marko Wäre er mal Mechaniker geworden.
[00:08:06] Intro Ja.
[00:08:07] Michael Wettengel Richtig, richtig, genau das, ja, und Spezialisten dafür gefragt ohne Ende, während das Handwerk oder alle Handwerke damals in der schweren Krise sich befanden, also Überbesetzung, zu viele, zu geringer Verdienst, das galt insbesondere für Schneider. Schneider, Schuster, Zimmerer, das waren die Massenhandwerke, das war die Armut, das waren auch die Berufe, aus denen sich später übrigens die Arbeiterbewegung rekrutierte.
[00:08:39] Marko Also wie man’s macht, macht man’s falsch. Wir wissen ja auch nicht oder wir wussten ja auch nicht, als wir unseren Beruf ergriffen, ob das mal erfolgreich werden würde oder nicht. Bei ihm war es offensichtlich eine Fehlentscheidung, aber vielleicht auch nicht. Also man muss jetzt sagen, was man als Schneiderlein aus seinem Leben macht. Das ist ja schon seit dem Märchen der Brüder Grimm.
[00:09:02] Martin Das tapfere Schneiderlein.
[00:09:03] Marko Ja, aber in der Tat, das Schneiderlein ist natürlich im Märchen, spielt es natürlich die Rolle: Das Schneiderlein kriegt hinterher die Königstochter. Ja, das ist sozusagen der riesen soziale Aufstieg, das stimmt schon. Der Schneider selbst gilt als total armer Mensch, der sozusagen immer am Existenzminimum mindestens 14 Stunden im Schneidersitz auf seinem Tisch sitzen muss und näht. Aber man muss sagen, der Berblinger war so einer nicht.
[00:09:31] Martin Was hat er anders gemacht?
[00:09:33] Marko Der absolvierte in der Tat erstmal seine Ausbildung, also er kam offenbar aus diesem Waisenhaus raus und war wohl sau-ehrgeizig. Der hat die Schneider-Lehre in der Hälfte der Gesellenzeit gemacht. Er ist mit 21 Jahren Schneidermeister. Und es wird gesagt, er hätte nur die Hälte der sonst üblichen Zeit gebraucht. Ins Waisennhaus ist er mit 13 gekommen. Wann jetzt da die Lehre begonnen hat, ich kann es dir nicht sagen, aber alle sind offenbar darüber verwundert, in welch unheimlich kurzer Zeit es dieser Junge schafft, mit bereits dann 21 Jahren zum Schneidermeister zu werden, und er macht sich dann auch sofort selbstständig. Also er geht nicht irgendwie zu einem anderen Schneider und schneidet für den, sondern der macht sich selbstständige und kurze Zeit später, mit 22, heiratet er auch schon. Was heißt, der muss also auch in der Lage gewesen sein, eine Familie zu ernähren. Und er muss in der Lage gewesen sein, danach kurz sich auch schon ein Haus zu kaufen. Das hat er nämlich getan. Mit 22 kauft er sich sein erstes eigenes Haus. Und wenn ich sage, sein erstes….
[00:10:36] Martin Da kommen noch ein paar.
[00:10:39] Marko Und in der Tat, also dieser früh verheiratete Schneider macht eine Wahnsinnskarriere und ist bald der Leiter eines florierenden Betriebes.
[00:10:49] Michael Wettengel Sehr erfolgreich, hat mehrere Gesellen gehabt, mindestens zwei, möglicherweise auch vier, dazu Lehrlinge, also das war ein Betrieb gewesen. Ob er damit jetzt überall sich Freunde geschaffen hat? Sehen Sie, in einer kleinen, überschaubaren Gesellschaft und dann kommt jemand aus dem Waisenhaus und macht in Rekordzeit seinen Handwerksmeister und ist auch noch beruflich erfolgreich. Ja, der kam aus keiner der traditionellen Handwerksfamilien, also ich denke, vielleicht hat er auch Schwierigkeiten gehabt und das hat manches auch später erklärt.
[00:11:44] Martin Kleine Gemeinschaft, sagt der Stadtarchivar da, wie groß war Ulm damals?
[00:11:51] Marko Man geht so davon aus, dass etwa 12.000 Menschen damals in Ulm gelebt haben.
[00:11:55] Martin Also, schon groß für die damalige Zeit, aber…
[00:11:58] Marko Aber für Ulm relativ klein. In der Tat, also die Stadt hat einen Niedergang erlebt in der Zeit. Also es sind Leute weggewandert von Ulm. Sie war vorher größer die Stadt und das war sozusagen auf dem tiefsten Punkt. Danach ging es wieder bergauf, aber 12.000 Einwohner in etwa schätzt man, 12- bis 13.000 schätzt man.
[00:12:18] Martin Aber eben eine Größe, wo man sich untereinander auch noch kennt, auf jeden Fall.
[00:12:22] Marko Genau. Und du kennst diesen Spruch: „Schuster bleib bei deinen Leisten“. Das haben sicherlich all die irgendwie vielleicht sich auch überlegt, die auf diesen Schneider mit Neid geguckt haben. Das macht er aber nicht. Er bleibt nicht bei seiner Schneiderei. Er erinnert sich sozusagen an seinen alten Berufswunsch. Und in Ulm gibt es 1801 bereits eine Zeitung. Das ist so ein neues Medium, so ein schickes Ding. Und da schaltet er nämlich jetzt anzeigen. Und er verkauft nämlich jetzt plötzlich nicht nur Selbstgeschneidertes, sondern bald auch – Zitat – „gut konditionierte Kinderchaisen“.
[00:12:58] Martin Chaisen?
[00:12:59] Marko Chaisen – Kinderwagen. Der verkauft Kinderwagen, der baut Kinderwagen also irgendwas mit Mechanik, Rädern dran. Vielleicht, ob die zum Zusammenklappen waren, man weiß es nicht, aber die verkauft er und zwei bis viersitzige Chaiseschlitten.
[00:13:15] Martin Ja, das ist aber wirklich weit weg von der Schneiderei.
[00:13:18] Marko Ja, vielleicht haben die so einen Stoffüberzug, wo man drauf sitzen kann, das weiß man nicht, was so ein Sattler vielleicht auch machen kann, aber irgendwie der guckt sich schon um. Und es wird vermutet, dass er diese Dinge zusammen mit seinen Brüdern hergestellt hat. Er war ja das achte Kind. Wie viele dieser Brüder damals noch lebten, weiß man nicht, aber von zweien weiß man die Berufe. Der eine war nämlich Fassbinder, das heißt, er kann Holz biegen.
[00:13:41] Martin Für den Schlitten super.
[00:13:42] Marko Für den Schlitten super, für die Kinderchaise vielleicht auch. Der andere war Nagelschmied, also kann Metall verarbeiten, das ist vielleicht auch nicht ganz unpraktisch. Aber der Clou kommt noch, er macht nämlich solche Dinger hier, schau es dir an Martin.
[00:13:59] Martin Ei. Das sieht aus wie eine Beinprothese, also eine Bein-Mechanik, also ein Oberschenkel, so an das Stück, was man dann sozusagen an den Oberschenkelstumpf ansetzen kann. Dann ein Scharnier und den Unterschenkel und dann wieder Scharniere, wo dann eben Fuß und so, da glaube ich, die Zehen sind sogar auch beweglich. Also relativ ausgefuchst – also mechanisch offensichtlich schon ziemlich weit entwickelt. Und es sieht aus tatsächlich wie ein echtes Bein. Ist also nicht einfach nur so ein Stumpf à la Ahab. der dann irgendwie übers Deck klappert.
[00:14:32] Marko Genau. Also das ist das, was wir ja so aus der Zeit kennen. Captain Ahab bei Moby-Dick, dem der Wal das Bein abgerissen hat. Der hat ein Holzbein, aber es sieht halt nicht aus wie ein Bein.
[00:14:42] Martin Nee, das ist im Prinzip ein Tischbein.
[00:14:44] Marko Und diese technische Konstruktionszeichnung, die wir jetzt hier sehen, die sich auch im Stadtarchiv befindet, die ist in der Tat einem natürlichen Bein nachempfunden und soll es auch ersetzen.
[00:14:56] Martin Genau. Was sitzt da hinten? Das sieht aus wie so was wie Federn oder so?
[00:15:01] Marko Genau, das sind Federmechanismen, das heißt, da kann man offenbar das Knie bewegen und man kann den unteren Fuß bewegen.
[00:15:09] Martin Ja, nicht nur bewegen, sondern es federt dann quasi, wenn man den wieder anhebt, dann federt es zurück.
[00:15:13] Marko Dann federt das irgendwie zurück. Man soll mit diesen künstlichen Beinen, die der Berblinger gebaut hat, in der Tat, das soll man nicht erkannt haben auf den ersten Blick, dass da jemand ein Beinamputierter war. Nun, warum war das wichtig? Also wir sind, als er diese Dinger baut, im Jahre 1808 und da sind eine Menge Leute ohne Beine unterwegs, denn wir haben gerade die Napoleonischen Kriege.
[00:15:39] Martin Richtig, ja.
[00:15:40] Marko Und die Kriege haben unglaublich viele Kriegsversehrte mit sich gebracht. Da hat er sich überlegt, na ja, so ein Holzbein ist wirklich nicht schön. Und der Berblinge baut dann diese Maschinen da. Er nennt das übrigens künstliche Fußmaschine. Eine Maschine, welche dem Unglücklichen wie mit einem natürlichen Fuß zu gehen gestattet.
[00:16:01] Martin Ja…
[00:16:01] Marko So schreibt er es.
[00:16:03] Martin Das sieht aber auch ziemlich teuer aus. Also, das ist nichts, was sich jeder Fußsoldat … Fußsoldat ist jetzt ein blöder Begriff in dem Zusammenhang. Nicht jeder fußlose Soldat …
[00:16:14] Marko Nicht jeder fußlose Fußsoldat konnte sich das leisten – in der Tat und damit lässt sich offenbar auch Geld verdienen. Und die Ärzte, die es im Ulmer Krankenhaus auch schon gab und die natürlich auch mit solchen Kriegsversehrten zu tun hatten, die haben in der Tat diesen Berblinger gefeiert, die haben gesagt, der ist ein Künstler – super. Was der da gebaut hat. das ist richtig, richtig gut und es war vor allem neu.
[00:16:40] Martin Noch mal zu der Zeichnung: Ist das eine Zeichnungen, die er selber angefertigt hat, hier von diesen Prothesen, von diesen Bein-Prothesen, ist die von ihm?
[00:16:46] Marko Ich glaube, ja. Ich glaube, ja. Vielleicht hat es aber auch einer der Ärzte im Ulmer Krankenhaus gemacht. Ich weiß es nicht. Aber in der Tat, das ist etwas absolut Neues für die damalige Zeit und ich glaube, er hat auch eine große Kundschaft damit erreicht.
[00:17:02] Martin Ging das über Ulm hinaus, weißt du das?
[00:17:05] Marko Die Leute sind wohl offenbar auch nach Ulm gekommen, um sich vom Berblinger Beine bauen zu lassen.
[00:17:10] Martin Ah, ja.
[00:17:10] Marko So ist es wohl. Aber mit dem Laufen gibt es sich bald schon nicht mehr zufrieden. Nein, nein, nein. Der ganz heiße Scheiß ist natürlich damals Fliegen.
[00:17:22] Martin Ja, noch ein bisschen früh dafür eigentlich, ne? Also man hat, ja, du hast die Mongolfieren, also das fliegen leichter mit Luft. Ballons, ja. Aber so richtig mit Flügeln ist damals so weit ich weiß noch keiner unterwegs.
[00:17:38] Marko Aber die Mongolfieren, die gibt es natürlich schon. Also die ersten Versuche mit Fallschirmen, übrigens auch die Gebrüder Mongolfier aus Frankreich, das war 1777. Und einer der Brüder ist vom elterlichen Haus mit einem Fallschirm runtergesprungen und er hat überlebt.
[00:17:55] Martin Ganz gut, da ist die Frage, wie hoch ist das Haus, aber, ähm…
[00:17:59] Marko Offenbar je höher, je besser, glaube ich, aber ja. Also das war wohl so und 1782 beginnen die ersten Flugversuche mit diesen Mongolfieren. Du hast es ja gerade schon angedeutet, die funktionieren ganz anders als ein Flugzeug. Sondern sie funktionieren mit heißer Luft oder zumindest mit einem Gas, was leichter ist als Luft.
[00:18:19] Martin Das ist ja diese klassische Unterscheidung. Erstmal grundsätzlich fliegen, schwerer als Luft, mit etwas, was sich eben dynamisch durch die Luft bewegen muss, um Auftrieb zu erzeugen und dann im Gegensatz dazu dann eben die Ballons, sei es nun Gas oder heiße Luft, die dann das Gesamtsystem leichter machen als die umgebende Luft.
[00:18:37] Marko So, aber 1783 gibt es die ersten Flugversuche mit dieser Mongolfiere und das ist natürlich auch, das geht schon rum. Da wird viel drüber geredet. 1783 fliegen die ersten Tiere: ein Hammel, eine Ente und ein Hahn. Die werden in die Luft geschickt und fliegen acht Minuten lang in einer Mongolfiere vor den Augen des französischen Königs. Und der sagt dann, OK, offenbar ist das Ganze so sicher, jetzt gebe ich euch die Starterlaubnisse für Menschen. Und die ersten Menschen, die dann geflogen sind. Also wenn man nicht von Ikarus und Daedalus mal absieht, ja. Das waren am 15. Oktober 1783 ein Physiker namens Jean-François Pilatre de Rozier und ein, ich glaube, ein Offizier der französischen Armee, den er mitgenommen hat, und dieser Rozier ist auf 26 Meter hoch gestiegen. Allerdings, da war der Ballon dann fest gebunden und beim nächsten Mal, dann sind sie zehn Kilometer weit geflogen. Und das war dann schon der erste bemannte Flug, wo also wirklich 25 Minuten das Ding in der Luft war und dann erfolgreich irgendwo landete. Dieser Rozier ist übrigens später berühmt geworden. Der war nämlich der erste der Tote der Luftfahrtgeschichte.
[00:20:02] Martin Was für eine Ehre, weiß ich nicht, sehr zweifelhafter Ehre, würde ich sagen.
[00:20:05] Marko Der wollte den Ärmelkanal überqueren, ist von Frankreich aus gestartet, mit einer Roziere, so hieß das Ding, also keine Mongolfiere, eine RoZiere. Weil sie mit einem Gas, ich weiß nicht mehr welchem gefüllt war, aber ich glaube es war Helium, aber ich bin mir nicht sicher. Das Ding hat Feuer gefangen und das war natürlich das Problem bei Heißluftballonen.
[00:20:29] Martin Helium kann es dann nicht gewesen sein, weil Helium nicht brennbar ist und als Element auch gar noch nicht entdeckt wurde.
[00:20:34] Martin Das war 100 Jahre später.
[00:20:36] Marko Dann war es vielleicht Wasserstoff. Ich habe keine Ahnung. Irgendein Gas war es. Ich kann ja mal gucken, was eine Roziere tankt.
[00:20:45] Martin Heißluft, würde ich mir denken, war es gewiss – ich weiß nicht, ob das Gas…
[00:20:49] Marko Roziere ist eine Kombination aus Gasballon und Heißluftballon, benannt und erfunden von Rozier, einem Luftfahrtpionier. Erst mittels Rozieren gelangen ab 1999 bemannte Weltumrundungen per Ballon.
[00:21:04] Marko 1999, echt da haben die das in so einer Mischung gemacht.
[00:21:08] Marko Ja, offenbar. Wasserstoff war da drin.
[00:21:11] Martin Wasserstoff.
[00:21:12] Marko Heute nimmt man allerdings für eine Roziere Helium. So, das ist dann nicht mehr brennbar.
[00:21:17] Martin Genau.
[00:21:19] Marko Aber Rozier hat dann offenbar den Fehler gemacht, dass er Wasserstoff genommen hat und ist dann über den Ärmelkanal in 900 Metern abgestürzt und dann war er tot, ne. Der erste Tote der Luftfahrtgeschichte. Also mit einem Ballon fährt man ja auch und fliegt nicht.
[00:21:36] Martin Deswegen, ja, die ersten Flugversuche ist dann halt auch so ein begrifflich ein bisschen schwierig, weil es eben Ballonfahren heißt. Aber das kann auch sein, dass das ein moderner Begriff ist, dass man da keinen großen Unterschied damals gemacht hat.
[00:21:47] Marko Na, der Berblinge auf jeden Fall, der wollte nicht mit einem Ballon fahren, der wollte in der Tat fliegen. Und es gibt ein schönes Buch mit dem noch viel schöneren Titel: „Die Kunst zu fliegen in der Art der Vögel.“ So, und geschrieben hat dieses Buch ein gewisser Carl Friedrich Meerwein. Ich hab den Namen vorher nie gehört.
[00:22:09] Martin Ich gestehe ja, ich auch nicht. Der war Markgräflicher Badischer Landbaumeister. Also eigentlich ein Baumeister, der sozusagen für öffentliche Gebäude zuständig war, wenn er eine Brücke haben wolltest, dann hat er das konstruiert. Aber der hatte offenbar Spaß auch an Mechanik und hat einen „Ornithopter“ erfunden. Weißt du, was ein Ornithopter ist?
[00:22:28] Martin Na ja, gut, also Ornithologie, Vogelkunde.
[00:22:34] Marko Sehr gut, sehr gut!
[00:22:36] Martin Ornithopter oder Kopter, was hast du gesagt?
[00:22:37] Marko Ornithopter.
[00:22:37] Intro Thopter, ja, weiß ich nicht, also dann irgendwas, was wahrscheinlich wie ein Vogel mit den Flügeln schlägt.
[00:22:44] Marko Genau, genau. Also Ornithopter nennt man in der Tat Versuche mit, meistens diese frühen Versuche, wo letztendlich zwei Tragflächen sind und man bewegt die irgendwie und dann schlägt man mit den Flügeln. Der Mensch hat sich halt gedacht, man macht es wie die Vögel.
[00:22:58] Martin Wie die Vögeln, ja, ist ja nicht da auch nah.
[00:23:00] Marko Und so sah er aus, der Ornithopter.
[00:23:05] Martin Okay, also das sieht jetzt eher aus wie so ein überdimensioniertes Lindenblatt, wo so jemand dann quer drunter hängt mit einer langen Querstange. Das sind wahrscheinlich die Dinger, in der Mitte ist das zusammen irgendwie über Scharniere, also es ist geteilt dieses Linden Blatt in der Mitte. Und mit diesen langen Stangen macht man so Flügelschlagbewegungen oder sowas in der Art.
[00:23:29] Marko Ja, also wahrscheinlich ist es so gedacht. Aber man weiß nicht, ob dieses Ding jemals gebaut wurde. Man weiß auch nicht, ob es jemal geflogen ist. Nur dieser Carl Friedrich-Meerwein, der scheint mir jemand zu sein, der zumindest theoretisch sich sehr, sehr gut damit auseinandergesetzt hat. In seinem Buch schreibt er übrigens über die Mongolfieren Folgendes, Lies mal!
[00:23:52] Martin Der Herren Montgolfiers Methode ist mehr ein Schwimmen in der Luft nach der Art der Fische im Wasser als ein Fliegen nach der Art der Vögel zu nennen.
[00:24:01] Marko Genau so. Und er glaubt jetzt, mit so einem Ding könnte er fliegen. Ob das jemals geklappt hat, man weiß es nicht.
[00:24:08] Martin Nach der Illustration zu urteilen, hätte ich da große Zweifel dran.
[00:24:11] Marko Aber es ist doch schön, dass man ein Buch schreibt mit dem Titel „Die Kunst zu fliegen in der Art der Vögel“ zu einem Zeitpunkt, wo das noch gar nicht möglich ist.
[00:24:20] Martin Wo er das noch gar nicht wissen kann.
[00:24:21] Marko Ich finde es super. Also der Berblinger fand es wohl auch super, denn er hat offenbar dieses Buch gelesen, wie er überhaupt sehr viel gelesen haben muss. Er hat aber auch Vögel beobachtet, vor allem Eulen, so wird berichtet.
[00:24:36] Martin Eulen?
[00:24:37] Marko Die ja bekanntlich lautlos fliegen.
[00:24:44] Martin Ja.
[00:24:44] Marko Ja, ja, die fliegen lautlos, damit die Maus die Eule bei Nacht nicht hört. Und die hat er sich angeguckt und hat gesehen, dass wenn die Eube sozusagen die Maus jagt, dass sie dann das letzte Stück gleitet. Und da hat er sich überlegt: Hm… Gleiten – vielleicht gar nicht mit den Flügeln schlagen.
[00:25:02] Martin Schlau.
[00:25:04] Marko Schlau. Nun hatte er ein Vorbild. Es gab nämlich zu der Zeit, als der Berblinger sich darüber Gedanken gemacht hat, also 1808 so rum, hat er sich ja die Beinprothesen ausgedacht. Und um diese Zeit gibt es einen Schweizer, der auch schon Flugversuche macht. Und zwar heißt dieser Mann Jakob Degen. Hast du von dem schon mal was gehört?
[00:25:28] Martin Jakob Degen – ne, ich glaube nicht.
[00:25:31] Marko Also ich habe von ihm auch noch nie etwas gehört, aber der Mann ist wohl in der Schweiz geboren, war ursprünglich auch ein Handwerker, nämlich ein Weber, ein Bandweber, also jemand der Bänder und Gurte webt. Und der hat dann später das Uhrmacherhandwerk, also auch was Mechanisches gelernt. Und der konstruiert 1807 einen Flugapparat, einen sogenannten Schwingenflügler nennt er das. Das ist zwar immer noch ein Flieger, wo er glaubt, dass er mit den Flügeln schlagen muss, aber der ähnelt schon mehr einem Gleiter als einem wirklichen, ja, diesem komischen Lindenblatt ähnlichen Ding, was da eben sich in diesem lustigen Buch befand. Und dem gelingt es tatsächlich, sich mit diesem Ding in die Luft zu erheben.
[00:26:22] Martin Aha, OK.
[00:26:22] Marko Hier ist ein Zitat aus der Augsburgischen Ordinari-Postzeitung Nummer 118 vom Dienstag, dem 17. Mai 1808. Lies mal, Martin.
[00:26:34] Martin liest aus der historischen Zeitung Der geschickte, hiesige Uhrmacher Degen hat vor kurzem im hiesigen Reithause mit dem gelungensten Erfolg gezeigt, dass er die von ihm erfundene und schon im vorigen Jahr glücklich versuchte Kunst, ohne Luftballon wie ein Vogel durch die Luft zu fliegen, seitdem sehr vervollkommnet hat. An seinem Leib sind zwei besonders künstliche Flügel angebracht, die aus kleinen, mit der feinsten Seide zusammengefügten Stückchen Papier bestehen. Durch das Schwingen dieser Flügel hebt er sich sowohl in senkrechter als schiefer Linie rasch und leicht von der Erde bis auf eine Höhe von 54 Fuß. Wie viel ist das?
[00:27:15] Marko Etwa 17 Meter.
[00:27:16] Martin 17, ja so durch drei, ne? Ja, genau. 17 Meter, also wirklich, das ist durch die Luft.
[00:27:23] Martin liest aus der historischen Zeitung Es war ein überraschender Anblick, der den zahlreichen Anwesenden einen unwillkürlichen Freudensausruf entlockte, als dieser wackere deutsche Künstler, ich dachte der wäre Schweizer…
[00:27:34] Marko Naja, gut.
[00:27:34] Martin liest aus der historischen Zeitung Egal, als dieser wackere deutsche Künstler sich von der Erde bis an die Decke des Gebäudes erhob.
[00:27:41] Martin Also er hat das innen gemacht, in diesem Gebäude, ah ja.
[00:27:45] Martin liest aus der historischen Zeitung Und bald hoch, bald niedrig in verschiedenen Richtungen herumflogen. Bei dem Fluge in schiefer Richtung braucht er zur Zeit noch eine besondere Vorrichtung, ein Gegengewicht, welches aber nur eine Zugkraft von 40 Pfund hat, sodass, folglich er selbst 140 Pfund wiegt, seine Flügel doch noch eine Last von 100 Pfund heben. Er hat zwar seine Kunst noch nicht zur Vollkommenheit gebracht, die er ihr aber bald noch zu geben hofft. Indessen hat er doch schon jetzt den großen Vorzug vor allen Aerostaten, dass die Richtung des Fluges ganz von ihm abhängt, wenn nicht im Freien sich Hindernisse zeigen.
[00:28:23] Martin Also der konnte nicht nur gleiten, sondern er konnte auch die Richtung bestimmen, also sich da irgendwie so bewegen, dass er die Richtung des Fluges bestimmen konnte.
[00:28:36] Marko Der konnte halt so ein bisschen rumflattern, wenn er sozusagen mit einem Gegengewicht, das dann ihn ein bisschen in die Höhe zog, dann konnte er ein bisschen so tun, als könnte er fliegen. Also das war nicht wirklich fliegen, aber immerhin konnte er schon eine gewisse Last mit seinem komischen Apparat in die Höhe heben.
[00:28:55] Martin Ja.
[00:28:57] Marko Es gibt dann richtige Flugshows mit diesem Mann.
[00:29:00] Martin Aha.
[00:29:00] Marko Und dieser Degen hat das richtig angeboten und ist dann durch die Gegend getingelt, der war auch sogar ein bis in Paris. Und die Zuschauer beschreiben das immer so als einen ganz sanften Flug. Und dann müssen so Blasinstrumente eingesetzt haben. Und dann ist er so zur Blasmusik ist er dann durch die Gegend geflogen. Und dann wurden Flugblätter verteilt – im wahrsten Sinne des Wortes. Und die sahen so aus. Also hier siehst du, siehst Du diesen Flugapparat…
[00:29:29] Martin Diese Zeichnung habe ich schon mal gesehen, diesen Flugapparat, ja, das kommt mir bekannt vor. Aber trotzdem wundert es mich, denn eigentlich kann das nicht wirklich als echtes Fliegen bezeichnet werden, weil nach meiner Erinnerung, so wie ich das immer gelernt und wirklich eingebimst bekommen habe, war Otto Lilienthal derjenige, welcher zuerst geflogen ist, und das war in den 1890er Jahren. Und vorher gab es eben nur Versuche, aber keinen, der wirklich geflogen ist. Also was soll das genau gewesen sein? Weiß man das?
[00:30:03] Marko Na ja, es war erst mal sehr publikumswirksam und es sah so ein bisschen aus, als könnte er fliegen. Und wahrscheinlich hat er auch mit seinen Schwingen, indem er so gepumpt hat, du siehst ja hier so ein Gestänge, hat er sich ein wenig in die Luft erhoben, wenn dieses Gegengewicht da dran war. Aber in der Tat zum wirklichen Fliegen hat das mit dem Ding nicht gereicht.
[00:30:24] Martin Kann es auch ehrlich gesagt nicht, weil wenn du mit den, das ist das Grundproblem dieser Apparate, dieser, wie hat das Ornithopter…?
[00:30:30] Marko Ja.
[00:30:32] Martin Das ist grundsätzlich immer das Problem, wenn du nur die Schwingen auf und runter schwingst, dann drückst du die Luft nach unten und dann drückst du sie anschließend wieder nach oben.
[00:30:46] Marko Da hatte er sich was ausgedacht. Also angeblich hatte dieses Ding Löcher, die in eine Richtung sozusagen dicht machten und in die andere Richtung Luft durchließen.
[00:30:56] Martin Und damit konnte er sich so ein bißchen anheben.
[00:30:56] Marko Das kann man aber hier nicht erkennen. Es muss sehr aufwendig gebaut sein, aber in der Tat: Wirklich alleine fliegen konnte er damit trotzdem nicht – einfach die Muskelkraft eines Menschen reicht dafür auch nicht aus. Wir sind einfach keine Vögel. Und deshalb waren einige Shows von ihm, die er auch gemacht hat, tatsächlich auch mit Ballon. Das heißt, er hat sich an einen Ballon gebunden und dann dadrunter sozusagen sein komisches Ding da, seine Flugmaschine und ist dann so – wieder ein Stich – in der Tat durch die Luft geflogen. Also oben ein Ballon dran. An dem Ballon hängt hier der Degen und mit seinem Fluggerät und kann sozusagen durch das Flügelschlagen so ein bisschen die Richtung steuern. In die eine Richtung rudern, in die andere, vielleicht wenn es windstill ist. Und das hat aber schon natürlich gereicht. Das war ein Großes…
[00:31:47] Martin Sensationell…
[00:31:47] Marko Ja das war natürlich toll.
[00:31:49] Martin Mhm, mhm.
[00:31:50] Marko So, und diese Flugversuche muss der Berblinger auch gekannt haben. Er hat halt, wie gesagt, viel gelesen. Und er hat dann irgendwann gesagt, ja, ich baue mir eine eigene Flugmaschine. Und am 24. April 1811 kündigt der Berblinger in Ulm wieder über die Zeitung an, auch er sei jetzt sozusagen flugbereit. Im Ulmer Intelligenzblatt steht folgendes zu lesen:
[00:32:19] Martin Im Ulmer Intelligenzblatt.
[00:32:21] Marko So ist es.
[00:32:21] Martin Ich bin gespannt.
[00:32:22] Martin Ulm den 24. April. Neue Flugmaschine. Nach einer unsäglichen Mühe in der Zeit mehrerer Monate mit der Aufopferung einer sehr beträchtlichen Geldsumme und mit Anwendung eines rastlosen Studiums der Mechanik hat der Unterzeichnete es dahin gebracht, eine Flugmaschine zu erfinden, mit der er in einigen Tagen hier in Ulm seinen ersten Versuch machen wird, an dessen gelingen er, bestärkt durch die Stimme mehrerer Kunstverständiger, nicht im Geringsten zu zweifeln zu dürfen glaubt. Von heute an ist die Maschine bis an den Tag des Versuchs, der nebst der Stunde in diesen Blättern vorher genau angezeigt werden wird, hier im Saale des Gasthofs zum Goldenen Kreuz, jedem zur Ansicht und zur Prüfung ausgestellt. Berblinger.
[00:33:13] Marko Genau
[00:33:14] Martin So, der macht eine Show draus.
[00:33:18] Marko Genau wie der Degen, du kannst jetzt Eintritt zahlen…
[00:33:18] Martin Ich wollte gerade sagen, aber da muss man doch wahrscheinlich bezahlen, um das Ding anzugucken…
[00:33:23] Marko Jetzt guck mal, wie das Ding aussieht.
[00:33:25] Martin Ja, das sieht, ich will mal sagen, das ist eine 1 zu 1 Kopie von dem guten Schweizer. Das ist sogar, also die Flächen sind sogar so mit so weiß-roten oder weiß-blauen Streifen Es ist weiß-Rot.
[00:33:39] Marko Es ist weiß-rot, es gibt auch so auch kolorierte Stiche und da ist es weiß-rot und genauso beim Schweizer Degen, also bei Herrn Degen ist es auch weiß-rot und das sieht eins zu eins aus wie dieses Ding. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wer hat da von wem abgeguckt?
[00:33:57] Michael Wettengel Es gibt tatsächlich nur dieses Flugblatt, wobei dieses Flugblatt den Berblinger mit seinem Flugapparat darstellen soll und so auch angegeben wurde, aber sehr große Ähnlichkeiten mit dem Flugblat von ein Jahr vorher besitzt, das den Degen in Wien zeigt. So dass die Frage ist, ob diese Vorlage des Flugplattes von Degen von einem findigen Menschen genommen wurden, also von dem Johannes Hans, der das gezeichnet hat, bekannter Maler in Ulm und praktisch abgekupfert wurde sozusagen.
[00:34:41] Marko Also die Frage ist, wer hat hier eigentlich kopiert. Hat sozusagen der Kupferstecher kopiert, weil es einmal eine Flugmaschine gab und die hat sich prima verkauft in Wien, also nehme ich doch dasselbe Bild und klaue das im Prinzip und tu jetzt so, das ist die Flugmaschinen vom Berblinger. Oder hat der Berblinger in der Tat die Flugmaschine von Degen kopiert? Man weiß es nicht. Man weiß über dieses Flugzeug oder diese Flugmaschinene, die der Berblinger gebaut hat, reichlich wenig.
[00:35:10] Martin Es gibt es auch keine zeitgenössischen Beschreibungen oder ich meine der Berblinger muss ja sowas wie Konstruktionszeichnungen vermutlich gemacht haben.
[00:35:17] Marko Sind aber nicht erhalten. In der Tat dieses Flugblatt ist die einzige Abbildung, die es von diesem Ding gibt. Es gibt spätere Abbildungen, die dann aber schon so in die Richtung gehen: Guckt mal da, der lächerliche Schneider mit so zwei kleinen doofen flügeln, der dann in die Donau stürzt aber…
[00:35:35] Martin Das heißt, es gibt dieses Flugblatt und die Flugmaschine mag so ausgesehen haben oder auch ganz anders.
[00:35:40] Marko Genau. Also was beschrieben wird, ist die Spannweite. Es soll etwa 6,5 Meter Spannweite gehabt haben. Und es war ja ausgestellt in dieser Gastwirtschaft. Also irgendwie da gibt es so Angaben. Aber es gibt ansonsten keine Bilder davon. Aber es gibt Augenzeugenberichte, wie dieser Berblinger mit diesem Ding umgeschnallt tatsächlich geflogen sein soll.
[00:36:07] Michael Wettengel Berblinger hat, da gibt es Augenzeugenberichte, diesen Flugapparat ausprobiert an einem Berghang. Das ist der sogenannte Michelsberg, das ist der Ulmer Hausberg. Dort stehen solche Häuschen, Gartenhäuschen. Und von den Gartenhäuschen aus hat er an dem Gleithang Flugversuch unternommen. Und es wird beschrieben, er sei – Zitat auch wieder: „Wie ein Vogel von Gartenhaus zu Garten Haus gehüpft.“
[00:36:43] Martin Von Gartenhaus zu Gartenhaus, ja. Und irgendwie offensichtlich eleganter, als wenn man es ohne Schwingen tut.
[00:36:51] Marko Offensichtlich, also er kommt sogar bei seinen Versuchen zu so einer Art, ich glaube bei Flugzeugen nennt man das Gleitverhältnis, ne.
[00:36:58] Martin Also, ja, Gleitzahl oder Gleitverhältnis, genau, ja.
[00:37:02] Marko Und es ist so, wenn er aus einem Meter Höhe abspringt, schafft er zwei.
[00:37:07] Martin 1 zu 2. Ja, das ist sehr übersichtlich. Also ich sage mal, so ein Fallschirm hat ein deutlich besseres Gleitverhältnis und ein Jumbojet, wenn alle Triebwerke ausfallen, auch, der hat… Ein Jumbotjet, der hat sowas von 1 zu 18 – und das ist schon sehr schäbig. Also 1 zu 2, ja das ist ein verlangsamter Sturz.
[00:37:29] Marko Na gut.
[00:37:30] Martin Aber immerhin ja, also er fliegt jedenfalls, er fällt nicht senkrecht runter, sondern er gleitet immerhin doppelt so weit, als er tief fällt.
[00:37:39] Marko Eigentlich will der Berblinger an seiner Maschine auch noch so ein bisschen basteln und will auch noch gar nicht starten. Aber dann ergibt sich etwas, nämlich der König kommt zu Besuch nach Ulm. Der kommt jetzt nicht, das wird oft so dargestellt, der kommt jetzt um den Berblinger zu gucken.
[00:37:54] Martin Also der König von Baden ist das dann gewesen, oder?
[00:37:56] Marko Das ist der der König von Württemberg. König Friedrich I. Von Würtemberg, der ist auch noch gar nicht so lange König von Württemberg – und er ist vor allem nicht König in Ulm gewesen, weil das war ja eine freie Reichsstadt lange Zeit. Aber 1810 ist sie es nicht mehr.
[00:38:12] Michael Wettengel Es ist ein feierlicher Anlass. 1810 ist Ulm Württembergisch geworden und man wollte beim ersten Besuch des Königs 1811 ein besonderes Ereignis machen. Eigentlich wollte Berblinger seinen Flug später machen. Er wollte eigentlich erst danach, nach dem Besuch des Königs seinen Flug machen, aber er ist beredet worden. An diesem Tag, am 30. Mai 1811, doch als besonderes Ereignis dem König auch was vorzuführen. Das heißt im Umkehrschluss, die Ulmerinnen und Ulmer waren der Überzeugung, der Berblinger packt das und wir können dem König jetzt was richtig, richtig Tolles vorführen.
[00:39:04] Martin Also das heißt, es muss genug Leute auch gegeben haben, die den nicht für einen kompletten Spinner gehalten haben, sondern gesagt haben, das ist ein tolles Ding, also der kann nicht nur tolle Prothesen bauen, sondern der ist auch sonst super drauf und der hat da ein Fluggerät gebaut, was man dann dem König, wenn er zu Besuch kommt, auch als Ereignis vorführen kann. Also es scheint ja da genug Leute gegeben zu haben, die der Meinung waren, das könnte klappen.
[00:39:29] Marko Genau. Und nun muss man sagen, man hat ihn ja offenbar auch gesehen am Michelsberg. Also es wurde ja darüber gesprochen, dass er von Haus zu Haus gehüpft ist. Also so ein bisschen muss ja auch dran gewesen sein. Und nun gibt es aber natürlich am Michelsberg so was wie Thermik, dir als Segelflieger sagt das was: Wenn sich so ein Hang erhitzt, dann steigt die Luft darüber auf.
[00:39:52] Martin Ja, Thermik kann sein, ist eher unwahrscheinlich. Was es auf jeden Fall da gegeben haben dürfte, ist Hangaufwind. Also ganz simpel, wenn ein Wind gegen einen Hang weht, dann kann die Luft nirgendwo anders hin als nach oben. So, die Luft strömt nach oben und dann erzeugt das ein Luv auf der Luv-Seite, auf der windzugewandten Seite und auf der anderen Seite geht es dann schnell bergab. Aber diese Luft, diesen Hangaufwind, den kann man auch nutzen. Machen wir heute auch an kleineren Hängen, wo dann keine Thermik ist, an Tagen, da kann man dann eben Hangaufwind manchmal fliegen. Hier am Teutoburger Wald geht das zum Beispiel. Oder eben auch in in Süddeutschland, auf der Schwäbischen Alb, da gibt es diverse Hänge, wo man Hangaufwind machen kann. Eigentlich überall, wo der Wind weht.
[00:40:34] Marko So oder so, der Michelsberg wäre vielleicht ein guter Ort gewesen, um zu starten, wenn man denn mit diesem seltsamen Fluggerät irgendwas reißen will. Aber der Michelsberg hat einen unschönen Nachteil. Er liegt nämlich außerhalb der Stadt. Und den Weg dahin will man dem Friedrich, dem König Friedrich, nicht zumuten, denn Friedrich hat ein Handycap…
[00:40:55] Michael Wettengel Der dicke Friedrich, ja. Der war richtig dick. Man brauchte ein spezielles Pferd für ihn, das ihn tragen konnte. Und wenn Sie mal im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart sind, da ist seine Hose ausgestellt. Und das ist beachtlich. Man sagt, er hätte auf einen Sitz ein Kalb verzehren können.
[00:41:17] Marko So, dem dicken Friedrich will man jetzt nicht zumuten, da zum Michelsberg irgendwie zu reiten mit seinem Pferd, auf das man ihn nur schwierig draufbuxieren konnte oder so eine Kutsche…
[00:41:29] Martin Es wäre sonst zusammengebrochen.
[00:41:29] Marko Es sollte sozusagen irgendwas am Ort sein. Ja, es musste also sowas wie ein Absprungort gefunden werden, wo der Berblinger jetzt sein Kunststück da vollführt. Und da gibt es in Ulm die sogenannte Adlerbastei. Das ist ein Teil der Stadtmauer von Ulm. Unten fließt die Donau. Und das ist ja gar nicht so schlecht, denn aus dem eben schon zitierten Buch „Die Kunst zu fliegen in der Art der Vögel“ gibt es folgenden, wie ich finde, sehr, sehr guten Tipp. Da steht der schon drin.
[00:42:03] Martin liest aus „Die Kunst zu fliegen“ Die sicherste Gegend, ohne Lebensgefahr den ersten Versuch zu starten, wäre ein tiefes Gewässer unmittelbar unter einer beträchtlichen Anhöhe. Denn wer in ein tiefs Wasser fällt, der bricht weder Hals noch Bein.
[00:42:17] Martin Ja, ist doch ein toller Ratschlag.
[00:42:18] Marko Ich finde, man muss sich dieses Buch dringend mal besorgen.
[00:42:23] Martin Hast du was vor?
[00:42:24] Marko Ich finde, ich finde dieses Buch, die Tipps da sind super. Also auf jeden Fall, es wird dann offenbar diese Adlerbastei. Und von dieser Adlerbastei soll das starten.
[00:42:36] Michael Wettengel Diese Adlerbastei, von der er aus diesen Versuch machte, die ist ungefähr 14 Meter hoch. Und dann hat er nochmal sich ein Gerüst bauen lassen, das 7 Meter hoch war, ein Holzgerüst. Und von diesem Holzgerüst aus hat er das versucht. Und man muss wissen, die Donau ist an der Stelle ungefähr 40 Meter breit, sodass wir auch wieder dieses Verhältnis haben von 1 zu 2. Das heißt, er hat es so ausgerechnet, von seinen Erfahrungen vom Michelsberg aus müsste das ausreichen.
[00:43:11] Martin Ich bin auf 21 Meter Höhe, die Donau ist 40 Meter breit. Bei einem Gleitverhältnis von 1 zu 2 komme ich am anderen Ufer an. Das hat er sich so überlegt.
[00:43:21] Marko Hat er sich überlegt? Ein mutiger Mann.
[00:43:25] Martin Das kann man so sagen, ja.
[00:43:26] Marko Also 21 meter ist jetzt nicht ganz ohne also das lässt einem schon die Knie schlottern. Und wenn das so ein kleines Holzgerüst ist: Heute steht in Ulm ein Turm an der Stelle, wo er abgesprungen ist, der also genau an der Stelle auf 21 Meter dich hochführt, da kannst du also hochklettern, also auf 21 Metern, genau weiß ich nicht, aber wo du also auch hochsteigen kannst, eine Wendeltreppe, die Wendel-Treppe ist übrigens genau wie der Flugapparat von Berblinger rot-weiß gestrichen, ist der Berblinger-Turm, da kannste hochsteigern und es gibt ein paar Menschen, die haben offenbar Höhenangst, die trauen sich da nicht hoch.
[00:44:02] Martin Ja, ich glaube, ich hätte da auch meine Probleme.
[00:44:04] Marko Ich auch. Also ich gucke auch nicht gern in die Tiefe, aber der Berblinger, der scheint das wohl zu machen. Der König kommt zu seinem Staatsbesuch und der Berblinger ist sozusagen angekündigt und da steht er da auf 21 Meter Höhe. Aber er merkt offenbar, also mit seinem Fluggerät, aber er merken offenbar: Es ist irgendwie was anders. Es ist nicht wie an seinem Michelsberg. Später wird er sowas sagen, wie die Flugwinde fehlten. Oder die Flugluft war nicht da. Aber er weiß ja noch nicht, was das ist. Er weiß nichts von Aufwinden. Er weiß nix von Thermik. Er weiß, das ist ja alles noch völlig unerforscht. Aber irgendwie ist klar, irgendwie ist da was nicht in Ordnung.
[00:44:48] Martin Je nachdem, wie da der Wind geweht hat, mag da ein Lee gewesen sein, gerade an der Stelle, dann hat das, hat man, egal mit welchem Fluggerät, schlechte Karten.
[00:44:57] Marko Und man muss ja auch sagen, die Donau ist eher kalt. Wir sind ja im Mai und über einem kalten Gewässer.
[00:45:05] Martin Nö, da gibt’s definitiv nichts.
[00:45:06] Marko Ist schlecht, also da gibt es Abwinde, da geht es runter und das hat er wohl gemerkt, hat da oben gestanden und hat natürlich jetzt richtig schlottrige Knie offenbar gekriegt und hat den Flugversuch tatsächlich abgebrochen.
[00:45:22] Michael Wettengel Er erklärte dann, am Flügel sei etwas defekt. Ich glaube, das war eine Schutzbehauptung. Der wollte da weg, der hat das Gefühl gehabt, das klappt nicht. Er ist dann weg. Der König hat eben gleichwohl eine Gratifikation zukommen lassen, also einen Geldbetrag, dass er weiter daran forschen solle. Na, 20 Louis d’Or ist schon … also für einen Schwaben ist das sehr viel Geld.
[00:45:57] Martin Ja, wahrscheinlich damals nicht nur für einen Schwaben. Louis d’Or, also Goldmünzen sind das gewesen.
[00:46:02] Marko Das war im Gegenwert schon, ja, mehr als ein Jahresgehalt von einem normalen Handwerker. Das ist schon ganz ordentlich.
[00:46:10] Martin Das ist ordentlich. Und man muss sagen, eigentlich schlau von dem Berblinger, da eben nicht sich – und da war ja wahrscheinlich nicht nur der König anwesend, sondern die halbe Stadt – und dann steht man da oben und soll dann eben vorführen und dann zu sagen, nee, irgendwas stimmt hier nicht, egal ob es jetzt nun was am Fluggerät gewesen ist oder ob die Flugwinde gefehlt haben oder was auch immer, aber dann zu Sagen, ne mache ich nicht, das erfordert ja fast mehr Mut, als da runter zu springen.
[00:46:37] Marko Eigentlich ja, aber er macht einen Fehler. Er kündigt nämlich seinen Flugversuch für den nächsten Tag an.
[00:46:43] Martin Okay, von der gleichen Stelle.
[00:46:45] Marko Von der gleichen Stelle. Er hofft sozusagen darauf, dass sich die Flugwinde ändern. Man weiß es nicht. Vielleicht haben auch die 20 Louis d’Or was dazu getan. So oder so, der König reist ab, der guckt sich das nicht mehr an, aber sein Bruder, der bleibt da, das ist der Prinz Heinrich und der hat so eine, der hat in Ulm was zu sagen, ist schon ein hohes Tier. Also auch so ein Prinz ist ja nix Kleines. Der bleibt und will sich das in der Tat angucken. Aber über das, was dann am nächsten Tag geschieht, gibt es dann in der Tat ein Spottgedicht.
[00:47:16] Martin Das muss ich jetzt lesen.
[00:47:17] Marko Das musst du wieder lesen!
[00:47:19] Martin liest Spottgedicht Er steigt nun wieder aufs Gerüst. Geduld! Nunmehr beginnt der Flug! Ach, wenn man es nur besser wüsst, er kann es nicht. Das ist genug.
[00:47:31] Marko Das heißt, da wird ihm schon unterstellt, er kann gar nicht fliegen. Böse eigentlich. Und tatsächlich, wie es das Spottgedicht will, das natürlich nach diesem Flugversuch entstanden ist, er fällt natürlich ins Wasser und das Spottgedicht endet mit den Zeilen.
[00:47:47] Martin liest Spottgedicht So endete die Kunst zu fliegen, der Berg gebar nur eine Maus. Oh, schick den Meister im Betrügen nach Ludwigsburg ins Narrenhaus.
[00:47:58] Martin Tja, das ist klar. Wer den Schaden hat, braucht für den Sport nicht zu sorgen, der kommt hier in Gedichtform.
[00:48:05] Marko Nein, man muss wirklich sagen, in diesem Moment, wo der da abspringt, ist aus dem erfolgreichen Handwerker und Prothesenerfinder, dem ja, Waisenknaben, der es wirklich zu was gebracht hat in der Stadt, übern Nacht der Depp geworden der Nation.
[00:48:24] Michael Wettengel In dem Moment, wo er ins Wasser gefallen ist, war er ja eine Spottfigur. Und statt im Grunde genommen mit ihm angeben zu können, in ihm praktisch ein Vorbild zu haben, ist er ja, mehr oder minder hat er seine Stadt blamiert. Und dann sind sehr viele Geschichten drumherum gekommen, unendlich viele. Und für uns ist es immer sehr schwierig, festzustellen, was ist plausibel, was ist authentisch. Und was ist später erfunden?
[00:48:56] Marko So gibt es zum Beispiel eine Geschichte, dass der Polizeidiener den Berblinger runtergeschubst haben soll. Also unten stand die johlende Menge und der Polizeideiner hat gesagt, ja Schluss jetzt hier und hat ihn einmal gestoßen. Und dann hat er sozusagen nicht Anlauf genommen, sondern ist einfach ins Wasser geplumpst.
[00:49:12] Martin Ja, nochmal dazu. Also, gibt es da Berichte dazu, was genau passiert ist? Also, ich mein, überlebt hat er?
[00:49:20] Marko Überlebt hat er, in der Tat. Er kommt – also 21 Meter ist ja auch für einen Sturz ins Wasser jetzt nicht ganz ohne – aber offenbar hat ihn die Flugmaschine schon ein bisschen getragen, aber nicht lange, sondern es ging dann relativ zügig runter ins Wasser und unten standen auch schon Kähne, Fischerkähne, die haben ihn dann aufgesammelt und dann haben sie ihn aus dem Wasser gezogen. Davon gibt es Bilder, aber keine zeigenössischen – die sind also alle später entstanden und da ist er auch immer als der Depp dargestellt. Also wie dieser Berblinger lange Zeit als der Depp sozusagen dastand. Und nach diesem Flugversuch hat er eigentlich auch gar kein Bein mehr an den Boden gekriegt. Also das ist – auch ein blödes Bild, er hat kein Beine an den Bodengekrieg – aber nein, also er hat es nicht mehr geschafft. Also erst einmal ist er abgehauen, ganz schnell.
[00:50:08] Martin Okay, aus Ulm verschwunden?
[00:50:08] Marko Ja, aber nur für ein paar Wochen. Und dann war aber auch klar, okay, das ist alles scheiße. Ich habe ja Familie da wohnen, ich muss auch wieder Geld verdienen. Er hatte auch Kinder. Und dann ist er wieder zurückgekehrt und hat versucht, als Schneider wieder zu arbeiten. Aber er hatte da schon diesen Ruf der blöde Betrüger zu sein. Der blöde Betrüger, der sozusagen eine Gratifikation vom König erschlichen hat, indem er da den Affen gemacht hat. Und da ist keiner mehr gekommen. Und in der Tat ist das weitere Schicksal vom Berblinger ein sehr trauriges. Michael Wettengel, der Stadtarchivar von Ulm, hat in der Tat auch aus seinem späteren Leben noch Notizen gefunden. Eine ist aus dem Jahr 1816. Da wird bereits erwähnt, dass der Berblinger spielsüchtig und Alkoholiker sei.
[00:50:58] Michael Wettengel Da war er schon so verschuldet, dass er sein Haus versteigern musste. Seine Frau ist ja in dieser Zeit auch zum Ulmer Rat gegangen und hat um Hilfe gebeten, weil ihr Mann einfach das Vermögen durchbringt mit seinen Süchten. Und dann ist er einbestellt worden und ihm gedroht. Also der Ulmer Rat hat sich der Sache angenommen und hat ihn verhört und ihm eingetrichtert, er möge doch sich um seine Familie kümmern und nicht sein Vermögen durchbringen. Und das hat gute Wirkung gehabt. Er hat sich dann auch wieder berappelt, eine Zeit lang schien es wieder aufwärts zu gehen. Er hat dann auch wieder inserviert, dass er nicht nur zu Schneiderarbeiten, sondern auch zu anderen Arbeiten bereit sei. Insofern war da wieder eine positive Entwicklung bei ihm.
[00:52:00] Martin Also letztendlich erst mal ein dreifacher Absturz, muss man sagen: Also erst in die Donau, dann der gesellschaftliche Absturz als Spottfigur der Ulmer Bürgerschaft, und dann der wirtschaftliche Abstürz auch noch. Als vierter vielleicht auch der gesundheitliche Absturz, der kam auch noch dazu, aber er hat sich wieder berappelt.
[00:52:20] Marko Er hat sich wieder berappelt, aber nicht wirklich richtig. Und 1820 stirbt seine Frau und er fängt wieder mit dem Saufen und auch wieder mit dem Spielen an, heiratet zwar nochmal, aber mit 58 Jahren stirbt er dann tatsächlich 1829 im Hospital, völlig verarmt und mittellos. Man sagt an Auszehrung, so steht das in Akten, wahrscheinlich ist damit Tuberkulose gemeint.
[00:52:48] Martin OK:.
[00:52:48] Marko Naja, und in der Folgezeit sozusagen spielt dieser Flugversuch des Berblingers eigentlich immer eher die Rolle, da spielt sich einer zum Popanz auf und scheitert damit kläglich und hat es auch nicht besser verdient oder hat es nicht anders verdient, ne. Da gibt es eine komische Oper über den Berblinger, Spottlieder auf den Berbinger. Und das ändert sich, diese, diese Haltung, dem Berblinger gegenüber ändert sich eigentlich erst mit einem Roman. Dieser Roman erscheint im Jahre 1906. Der Autor war ein gewisser Max Eyth. Und dieser Max Eyth war Schriftsteller und Ingenieur. Beides auf einmal. Und der schreibt einen Roman: „Der Schneider von Ulm. Geschichte eines 200 Jahre zu früh Geborenen“.
[00:53:40] Martin Also das ist der Versuch einer Ehrenrettung?
[00:53:43] Marko Es ist die Ehrenrettung für den Schneider von Ullm. Denn plötzlich wird er sozusagen vom Deppen zum Helden. Er wird derjenige, der schon von Dingen geträumt hat, die die Menschen im Jahre, als 1906 dieser Roman erscheint, erst viel später erreichen. Und ich meine, 1906, wir wissen, du hast es eben gesagt, Otto Lilienthal, Gleitversuche, mittlerweile 1906 fliegen die ersten Flugzeuge.
[00:54:08] Martin Ja, ziemlich wackelig noch, aber sie fliegen.
[00:54:10] Marko Aber sie fliegen, sie werden im nächsten Krieg eine große Rolle spielen. Und tatsächlich, er wird zum Helden der Luftfahrt stilisiert. Und dann kommen wir im Prinzip irgendwann zu dem Gedicht, mit dem wir angefangen haben.
[00:54:25] Martin Brecht.
[00:54:26] Marko Brecht, der Schneider von Ulm. Magst du es mir mal ganz vorlesen? Also… hier ist es.
[00:54:37] Martin Mit dem erfundenen Bischof.
[00:54:39] Marko So, wir wissen jetzt alles, was erfunden ist und was nicht erfunden ist, das habt ihr jetzt alle gelernt. Und jetzt, um es noch einmal zu wiederholen, jetzt das volle Gedicht. Tolle Lyrik vorgetragen von Herrn Herzog.
[00:54:51] Martin liest Brecht Der Schneider von Ulm, in Klammern Ulm 1592.
[00:54:55] Marko So, wo wir schon wissen, falsch. Das ist falsch.
[00:54:58] Martin Bischof, auch falsch. Gut, egal, machen wir jetzt mal weiter.
[00:55:02] Martin liest Brecht Bischof, ich kann fliegen, sagte der Schneider zum Bischof. Pass auf, wie ich’s mach. Und der stieg mit so nem Dingen, die aussahen wie Schwingen, auf das große, große Kirchendach. Der Bischof ging weiter. Das sind lauter so Lügen. Der Mensch ist kein Vogel, es wird nie ein Mensch fliegen, sagte der Bischof vom Schneider.
[00:55:26] Marko Erste Strophe.
[00:55:29] Martin liest Brecht Der Schneider ist verschieden, sagten die Leute dem Bischof. Es war eine Hatz. Seine Flügel sind zerspellet und er liegt zerschellet auf dem harten, harten Kirchenplatz. Die Glocken sollen läuten. Es waren nichts als Lügen. Der Mensch ist kein Vogel, es wird nie ein Mensch fliegen. Sagte der Bischof den Leuten.
[00:55:53] Marko Es gibt eine wunderbare Interpretation dieses Gedichts, das zwei Strophen hat. Die dritte Strophe, die entsteht sozusagen im Kopf. Denn wir alle wissen, wer Recht hatte.
[00:56:04] Martin Eigentlich ist es ein antiklerikales Gedicht.
[00:56:07] Marko Natürlich, es ist von Brecht, dem alten Kommunisten, also natürlich. Aber es ist natürlich ein schönes Gedicht, wenn auch mit lauter Lügen da drin. Also er ist nie auf dem Kirchenplatz gestorben, er ist auch nicht vom Münster gesprungen, vom Ulmer Münster, das übrigens die höchste Kirche in Deutschland ist. Also höher als der Kölner Dom. Aber da ist er auch nie runtergesprungen und er ist nicht gestorben, aber es hat auch keinen Bischof gegeben in Ulm, nie. Aber so ist es halt. Literatur ist keine Wahrheit. Wahrheit kriegt ihr nur bei uns.
[00:56:40] Martin Und der Schneider von Ulm, was denkst du jetzt, nachdem du die Recherche gemacht hast, mit dem Stadtarchivar gesprochen hast: Ein verkanntes Genie gewesen oder wie würdest du ihn einschätzen?
[00:56:53] Marko Naja, also letztendlich weist er den richtigen Weg. Sein Flugapparat, wenn man das so richtig interpretiert, der war nicht dazu da, dass du irgendwie mit den Schwingen irgendwie flattern solltest, sondern es war ein reiner Gleitflug. Das heißt, eigentlich von der Idee her, das was Otto Lilienthal, wenn auch 70 Jahre später, ungefähr… Dann in der Tat gemacht hat und damit bis heute als Pionier des Fliegens gilt. Eigentlich war es auch, aber er war halt noch in der Frühzeit und es hat nicht so funktioniert. Man hat übrigens versucht, mehrfach diesen Flieger nachzubauen. Einige Nachbauten dieses Fliegers gibt es auch heute. In Ulm zum Beispiel gibt es im Rathaus, da gibt es so einen Nachbau von diesem Ding. Wir wissen ja gar nicht, ob es wirklich so ausgesehen hat, aber – haben wir eben drüber gesprochen – aber es wurde auch mit so einem Nachbau versucht, die Donau an der Stelle zu überqueren. Und was soll ich sagen? Es ist gelungen. 40 Meter. Aber der Mann hat sich offenbar irgendwas gebrochen oder die Schulter ausgekugelt. Also es gibt so, es gibt da auch Aufnahmen von. Also es hat irgendwie doch – er ist ein bisschen geflogen eigentlich dieser Nachbau. Und insofern würde ich sagen, war er ein Pionier. Wahrscheinlich lag es aber auch in der Zeit, dass das Ganze so ein bisschen eine Show war damals. Und wenn man bei einer Show, die immer halt auch diesen Charakter hat von Volksbelustigung, wenn man da scheitert, dann ist man halt leider der Depp.
[00:58:28] Martin Aber in Ulm, was für einen Eindruck hast du, wenn da dieser Gleiter oder der Nachbau, vermutete Nachbau dieses Gleiters da im Rathaus hängt, ist man da mehr stolz auf den Schneider von Ulm? Weil du am Anfang gesagt hast, naja, die einen sagen, das ist halt ein Hochstapler gewesen und die anderen sagen, dass ist ein Visionär und Held gewesen. Wie ist da so die Stimmung insgesamt?
[00:58:47] Marko Ich glaube, dass die Ulmer auf den Berblinger, wie ich finde auch zu Recht, stolz sind. Und spätestens seit dem Gedicht von Brecht ist er eigentlich ein Held. So kann Literatur auch Helden gebären. Das ist ja toll, dass das so ist.
[00:59:02] Martin Der Schneider von Ulm, ein verkanntes Genie, offenbar, auch ich habe was Neues gelernt, interessanterweise, auch wenn ich mich mit Luftfahrtgeschichte doch so ein bisschen auch auseinandersetze, weil ich schon auch dieses Bild im Kopf gehabt habe, des, naja, leicht überkandidelten Deppenschneiderchen, der irgendwie versucht, sich zwei Flügel umzuschnallen und damit zu fliegen und damit scheitern muss und sich zum Gespött der Leute macht. Also das war schon noch das Bild, was ich auch im Kopf so ein wenig gehabt habe.
[00:59:32] Marko Tatsächlich.
[00:59:32] Martin Ja, ja, schon.
[00:59:34] Marko OK. Also ich hab sofort an Brecht gedacht und da ist er natürlich sozusagen der Held, der Visionär.
[00:59:39] Martin Das sieht man wieder, wie der Unterschied im Bildungsgrad ist, was zumindest Literatur und Lyrik betrifft. Ich kenne das Gedicht nicht.
[00:59:48] Marko Ach, echt nicht?
[00:59:50] Martin Nein.
[00:59:50] Marko So ein Klassiker der Schulliteratur, aber bitteschön, bitteschön.
[01:00:00] Martin Aber dafür sind wir ja da…
[01:00:01] Marko Dass man es kennenlernt.
[01:00:01] Martin Vielleicht habt ihr ja auch was gelernt. Wenn ja, ist das schön, dann sagt es allen Menschen, die gerne fliegen, die gerne mal fliegen möchten und auch allen mit Flugangst.
[01:00:11] Marko Sagt es dem Bischof von Ulm, wenn ihr ihn denn trefft.
[01:00:14] Martin Allen Schneidern dieser Welt.
[01:00:16] Marko Aber wenn es euch nicht gefallen hat, dann…
[01:00:18] Martin sagt es bitte uns, aber auch nur uns, unter www.diegeschichtsmacher.de.
[01:00:25] Marko Da findet ihr alle Möglichkeiten, um mit uns in Kontakt zu treten und auch Möglichkeiten, diesen Podcast zu unterstützen. Darüber würden wir uns sehr freuen.
[01:00:33] Martin Uns gibt es wieder in zwei Wochen bis dahin. Tschüss.
[01:00:36] Marko Wir heben ab, Tschüss.
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