28. Februar 2025 - Kategorie(n): Podcast-Folgen
Was hat die Palastgarde des Basileus, des obersten Herrschers des oströmischen Reiches in Konstantinopel, mit den Wikingern und der Gründung Kiews zu tun? Warum hat der Adler im Russischen Wappen zwei Köpfe aber drei Kronen? Und wie hängt das wiederum mit dem heutigen Krieg in der Ukraine zusammen?
Ralf Grabuschnig vom befreundeten Déja-Vu Geschichte-Podcast führt seine Kollegen Martin Herzog und Marko Rösseler durch mehr als ein Jahrtausend Geschichte – auf den Spuren des Mythos von der Entstehung des Großrussischen Reiches.
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Die Reihe Gründungsmythen des Nationalismus ist auf Ralfs Podcast „Déja-Vu Geschichte“ zu finden.
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Transkript: Moskau und das Dritte Rom
[00:00:00] Zitat Filofei von Pskow Die Kirche des alten Rom fiel wegen ihrer Ketzerei. Die Tore des zweiten Rom, Konstantinopel, wurden von den Äxten der ungläubigen Türken niedergerissen. Aber die Kirche von Moskau, das neue Rom, leuchtet heller als die Sonne über dem ganzen Universum. Du bist der ökumenische Herrscher. Du solltest die Zügel der Regierung in Ehrfurcht vor Gott halten. Fürchte ihn, der sie dir anvertraut hat. Zweimal ist Rom gefallen, aber das dritte steht fest. Ein viertes kann es nicht geben. Dein christliches Reich soll keinem anderen Herrscher gegeben werden.
[00:00:46] Marko Martin, wer hat das geschrieben?
[00:00:50] Ralf Da sind wir schon in der Frage, hat es denn jemand geschrieben? Ich kann euch sagen, wer das angeblich geschrieben hat. Und angeblich hat das ein gewisser Filofei von Pskow geschrieben. Ein sonst nicht sonderlich bekannter Mönch, orthodoxer Mönch in dem was heute Russland ist. Und er hat das geschrieben an den damaligen Großfürsten von Moskau, Vasili III., irgendwann Anfang des 16. Jahrhunderts.
[00:01:15] Marko Das erzählt uns Ralf Grabuschnig heute. Und er wird uns erzählen, was das mit dem russischen Nationalismus zu tun hat und vielleicht sogar mit dem heutigen Krieg in der Ukraine.
[00:01:26] Martin Herzlich willkommen bei…
[00:01:26] Intro Die Geschichtsmacher. Von Autorinnen und Autoren des Zeitzeichens.
[00:01:44] Martin Die Geschichtsmacher heute mit einem außergewöhnlichen Gast, diesmal mit Ralf Grabuschnig, unser lieber Kollege von Déjà-vu-Geschichte. einem Geschichtspodcast, den ihr vielleicht auch schon mal begegnet seid. Herzlich willkommen, Ralf!
[00:01:58] Ralf Ja, schön hier zu sein, nachdem ich ja euch schon begrüßen durfte, letztes Jahr. Schön jetzt mal bei den Geschichtsmachern aufschlagen zu dürfen.
[00:02:05] Marko Ja sicher, herzlich willkommen. Du hast eine Reihe ins Leben gerufen.
[00:02:09] Ralf Ja, also sie heißt „Gründungsmythen des Nationalismus“ und es geht um die Entstehung von Nationalstaaten, richtig. Beziehungsweise um die Mythen, die sich so um die Nationen ranken, die diese an und für sich recht neuen Konstrukte, so alt und ewig schon dagewesen erscheinen lassen. Und ich dachte mir, ich bringe euch heute einen Teil, in den ich mich da rein recherchiert habe, mit. Einfach weil das ein Thema ist, eben Russland, Ukraine – wie wird die Geschichte dort von den unterschiedlichen Seiten denn eigentlich bewertet. Das Thema ist aktuell und man könnte leicht überspitzt, aber ich würde gar nicht sagen, zu grob überspitzt, schon auch behaupten, dass unter anderem auch darum ja Krieg geführt wird seit inzwischen über zehn Jahren.
[00:02:55] Martin Deine Reihe beschäftigt sich mit Nationen und Nationalismus und du sagst, Nationen sind eine Erfindung der Moderne. Dabei hat es Nationen und Staaten natürlich schon früher gegeben. Also was genau soll das heißen: Erfindung der Moderne?
[00:03:15] Ralf Ja, also Staaten hat es da davor schon gegeben. Ob es Nationen davor schon gegeben hat, das ist eine Frage, die ist gar nicht mal so offensichtlich. Weil eine Nation, da gehört ja um einiges mehr dazu, als einfach nur einen Staat zu haben, sondern da kommen ja all diese Ideen ins Spiel der angeblichen Blutverwandtschaft über die Jahrhunderte hinweg und der gemeinsamen Herkunft und all diese Vorstellungen.
[00:03:41] Marko Nicht unbedingt, wenn du jetzt zum Beispiel auf die USA guckst, da gibt es keine gemeinsamen Vorfahren und wir sind alle gleichen Blutes. Nö.
[00:03:50] Ralf Naja, aber die haben ja trotzdem ihre Geschichte so weit zurecht gebügelt, dass man dann diese Vorstellung der Pilgrims zum Beispiel hat, auf die man sich zurückbezieht und dass man dann diesen Kampf gegen das unfaire, britische Regime und so weiter dann als Gründungsmythos hat. Hast schon recht, natürlich koloniale Gesellschaften sind ein wenig anders als europäische in der Hinsicht. Aber was man schon sagen kann, wenn man jetzt auf europäische Beispiele schaut, wo das ja zuerst auch gestartet ist, sag ich jetzt mal, da haben viele dieser Vorstellungen, die wir heute als sehr grundlegend für Staaten an und für sich ansehen, all diese Gemeinsamkeiten, die man so in der Geschichte zurückzieht, die haben ja über die längste Zeit der Geschichte keine Rolle gespielt. Es gab zwar ein englisches Königreich, aber das war deswegen ein Königreich, weil es halt einfach einen englischen König gegeben hat und der hatte Untertanen und die waren ihm untertan zu sein. Erst im 18. oder verstärkt eigentlich im 19. Jahrhundert kommt dann dieser gesamte nationale, ja man könnte jetzt sagen Ballast oder vielleicht ein wenig netter, die nationale Aufladung / Verzierung oder so da oben drauf. Und die Magie dahinter ist, dass die halt gerne so wirkt, als wäre das schon immer so gewesen. Was aber historisch zumindest fraglich ist.
[00:05:09] Martin Und da kommen wir jetzt im Prinzip auch schon wieder zu unserem Anfangszitat zurück, denn du hast ja ganz am Anfang auch schon gesagt: Ob dieses Zitat tatsächlich von diesem Mönch aus dem 16. Jahrhundert stammt, der dann an Vassili III. das angeblich geschrieben hat, das ist alles gar nicht so klar.
[00:05:27] Ralf Nein, das können wir nicht bestätigt sagen. Und das ist ja auch etwas, was ganz oft vorkommt. Auch in meiner Serie, ich habe zum Beispiel auch einen Teil zur Schweiz gemacht, da wird euch natürlich auch was sagen der Rütli -Schwur, Wilhelm Tell usw. sehr beschworen als nationaler Gründungsmythos.
[00:05:47] Marko Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern…. Nicht wahr?! Aber das ist doch Schiller. Der ist doch gar kein Schweizer.
[00:05:53] Ralf Genau, diese Worte hat es vor Schiller so nicht gegeben. Die hat er da den Verschwörern, wenn man es aus Habsburger Sicht sieht, was ich natürlich tue, in den Mund gelegt hat. Und es gibt eigentlich keine historischen Hinweise, dass es irgendwie einen Gessler gegeben hätte oder auch einen Wilhelm Tell. Also das ist ja alles – kann sein…
[00:06:10] Marko Aber das Rütli gibt es doch, die Wiese.
[00:06:12] Ralf Ja, es gibt die Wiese. Und es wird wohl auch eine Form von Verschwörung der Urkantone gegeben haben. Der Tell dürfte nicht ganz falsch sein.
[00:06:22] Martin Ja, so ein ähnliches Phänomen oder so eine ähnliche Motivation gab es ja auch in England: Also Ritter der Tafelrunde, sage ich jetzt mal hier. Artus, König Artus, Merlin und alles, was da so an Mythen drumherum ist. Also das scheint ja so ein Phänomen zu sein, was es fast überall gegeben hat.
[00:06:37] Ralf Ja, was aber auch sehr bezeichnend ist. Artus ist ja eigentlich eine nicht wirklich englische, sondern eher valisisch -keltische Legende. Man kann es sich richten. Man muss gar nicht so weit schauen. Schau dir Deutschland an. Es wurde lange Herrmann gesagt. Arminius und Varusschlacht und all diese Dinge. Ich meine, das hatte mit Deutschland überhaupt nichts zu tun. Das war irgendein germanischer Kerl halt da, der aber in Wirklichkeit römischer Staatsbürger eigentlich… Oder schau dir die Nibelungen an, ähnliche Geschichte. Wird auch irgendwie als deutscher Grundmythos zumindest irgendwo gesehen und ist in Wirklichkeit auch ein Gesamtgermanischer und wenn dann eher isländische Sache. Ich glaube, da muss man selten tief graben, bis man sowas findet. Naja und das Gleiche haben wir eben hier auch. Ob es diesen Mönch, diesen Filofei, also den gab es zwar, aber ob er das geschrieben hat und ob daraus jetzt was groß abzuleiten ist, das ist gar nicht mal – also wir haben die Quellen zumindest nicht, sagen wir es mal so.
[00:07:33] Marko Also man definiert sich offenbar in Moskau als das dritte Rom. Ist jetzt auch nicht so wahnsinnig originell, muss man sagen, weil ich meine, das machen ja offenbar viele. Da sind sie ja nicht alleine mit. Wie kommen die jetzt darauf, sich auch auf diesen 1, 2, 3 Mythos zu setzen?
[00:07:52] Ralf Ja, also das ist etwas, was tatsächlich eben in der Zeit so langsam beginnt oder zumindest hat man dann später sich zurückbezogen und gesagt, ja, da im 16. Jahrhundert, da haben sich die Großfürsten und dann die Zaren begonnen als Nachfolger Roms einfach selbst zu sehen. So einfach ist es letztendlich. Die Logik war die, dass man halt sich als einzig wahre Verfechter des rechten Glaubens gesehen hat. Also das genügte dann schon eigentlich.
[00:08:22] Martin Also die Katholiken nicht und die Protestanten auch nicht, sondern die russisch-orthodoxe Kirche ist diejenige, die eigentlich die Nachfolge Jesu Christi angetreten hat.
[00:08:32] Ralf Genau, das ist die Idee. Und damit beginnt eine ganze Serie an Mythologisierung dessen, wofür Russland eigentlich in der Welt steht. Und von diesem dritten Rom da kommen noch ganz andere Allmacht-Fantasien hervor, die schon relativ tief im Kern vom russischen Nationalismus stecken und ja auch heute eben unter anderem von Putin und anderen ja bedient werden. Aber ich würde euch vielleicht zuerst mal in die Geschichte zurücknehmen, weil ich glaube ja doch, dass die Zuhörenden vielleicht mal zuerst den Kontext brauchen, wo dieses Russland eigentlich herkommt. Und eigentlich muss man da sagen, auch wo die Ukraine herkommt.
[00:09:06] Marko Ja gerne. Also nimm uns an die Hand und sag uns, wie es passiert ist.
[00:09:11] Ralf Die definitive Geschichte. Ihr hattet ja schon vor längerem, wir haben kurz drüber geredet vorhin, vor der Aufnahme in eurem Frühwerk schon mal über die Ukraine geredet. Und da kam einiges davon ja auch schon vor.
[00:09:25] Marko Das war eine Folge, muss man vielleicht noch mal erinnern. Dann ging es darum, wie die Ukraine unabhängig wurde. Das haben wir mal vor langer, langer Zeit gemacht. Da war der Krieg gerade ein paar Wochen alt, ganz frisch ausgebrochen, muss man sagen. Also schon lange her.
[00:09:39] Ralf Ja inzwischen über drei Jahre oder drei Jahre her. Also die grundlegende Geschichte ist ja erst mal die der Kiewer Rus, die man da ausgraben muss. Weil darauf bezieht sich in der Region erst mal alles zurück. Und da sind wir jetzt wirklich in mehr oder weniger gefestigten, historischen Erkenntnissen.
[00:09:57] Marko In welchem Jahrhundert bewegen wir uns jetzt da?
[00:10:00] Ralf Da bewegen wir uns so im 9. Jahrhundert. Man muss sagen eher im späten 9. Jahrhundert, dann vor allem im 10. Jahrhundert. Also doch relativ früh. Da sind wir in einer Zeit, wo in der Region, wo wir heute den Westen Russlands verorten, aber eben auch die Ukraine, also diese Gegend der großen Flüsse, allen vorweg der Dneper, aber dann schon auch die Wolga zum Beispiel. In der Region da haben damals schon slawische Stämme gesiedelt. So viel wissen wir. Wir wissen jetzt nicht sonderlich viel mehr, was das jetzt genau für Leute waren. Und im 9. Jahrhundert, da verändert sich in dieser Region jetzt aber wieder mal was. Also generell war natürlich Wandel damals, dIe Völkerwanderung war auch noch nicht so lange her. Aber in der Zeit haben wir in ganz Europa eine Bewegung, die wir im Westen deutlich besser kennen und die deutlich berühmter ist als im Osten, nämlich es beginnt ja die große Wikingerzeit.
[00:10:53] Martin Das heißt die Wikinger aus dem hohen Norden sind bis runter in die Gegend von Kiew gekommen. Mit ihren Booten über die entsprechenden Flüsse.
[00:11:04] Ralf Genau, entweder über die Flüsse oder zwischendurch hat man die Boote dann auch mal ein paar Kilometer über Land geschleppt und dann in den nächsten Fluss rein. Aber so kann man sich das vorstellen. Die sind da rüber – in dem Fall in Form der Waräger, was man sich nicht als Volk unbedingt vorstellen darf, sondern vielleicht so ein Stammesverband eher aus dem schwedischen Raum, also dem heutigen schwedischen Raum, auf der Suche, wie es halt immer war, nach Ressourcen. Und da war es dann auch ehrlich gesagt den Leuten relativ egal, nicht nur den Wikingern damals, nicht nur den Warägern, ob man da jetzt Ressourcen durch Handel oder durch kriegerische Beuterzüge findet. Wichtig war, dass man eben an neue Ressourcen kommt, weil gerade im Norden, das war ja alles nicht so leicht damals, die Bevölkerung da zu ernähren. Also das ist da der Hintergrund. Und das hat damals im ausgehenden 9. Jahrhundert eben begonnen. Die sind da eben immer wieder mal durchgezogen, immer weiter auch in den Süden. Im Winter dann aber auch immer wieder zurück nach Skandinavien, bis sie das irgendwann nicht mehr gemacht haben. Auch das sehen wir ja im Westen übrigens ganz ähnlich. Sie ziehen dann irgendwann eben nicht mehr durch, sondern bleiben auch über den Winter. Und das ganz konkret entlang des Dnepr. Und gründen damit eine Siedlung, die später als die Stadt Kiev bekannt werden würde.
[00:12:19] Marko Eine Wikingergründung.
[00:12:21] Ralf Ist tatsächlich Wikinger. Es gab dort schon slawische Siedlungsstrukturen, aber in der Form, wie wir es uns vorstellen, fängt das damit an.
[00:12:29] Marko Also ich kenne die Waräger ja nur als Palastgarde des Ostromischen Kaisers. Die sogenannte Waräger -Garde.
[00:12:36] Ralf Ganz richtig.
[00:12:36] Marko Und diese Waräger haben ja oftmals eigentlich bei den Slawen, die dort eigentlich wohnten, haben die nämlich Beutezüge gemacht, wo sie vor allem Leute einkassiert haben, die sie dann auf dem Sklavenmarkt unten letztendlich an der Levante Küste auch vertickt haben.
[00:12:50] Ralf Ganz lange ein sehr einträgliches Geschäft.
[00:12:54] Marko Jetzt sind aber diese Slawen, die sind ja noch nicht gerade verfreundet mit den Wikingern, aber diese Waräger gründen jetzt diese Siedlung.
[00:13:04] Ralf Die moderne Vorläufer-Siedlung von Kiev. Ganz genau. So kann man das sehen. Es waren wenig Leute. Da waren halt immer noch diese ganzen Slawen drum herum. Also das ist jetzt dann eben der Grund, warum wir weder die Ukraine noch Russland als sonderlich Skandinavisch wahrnehmen. Weil das sich schon relativ schnell zu verwässen begonnen hat. Also die sind dann zwar da geblieben, haben sich als so eine Oberschicht über die lokalen slawischen Stämme drübergesetzt, durchaus mit Gewalt. Aber man merkt es an den Herrschernamen. Das fängt alles noch sehr nordisch an. Da haben wir den Dynastiekründer, Rurik hieß der. Der hat dann auch die Rurikiden begründet. Die haben da jahrhundertelang geherrscht. Sein Sohn war dann auch noch ein Helgi. Also das ist alles noch, sagen wir mal, nordisch geprägt. Aber dann eine Generation später heißen die dann schon Oleg und Vladimir. Also das hat sich ziemlich schnell auch tatsächlich da recht deutlich gewandelt.
[00:14:01] Martin Aber man kann schon mal festhalten: Die ursprünglichen Russen waren Schweden.
[00:14:07] Ralf Ja das kann man sagen, tatsächlich. Also auch das Wort Rus scheint, also man ist jetzt nicht ganz sicher, scheint auf einen Finno -Ugrischen Begriff zurückzugehen ausgerechnet, der aber wiederum die Schweden beschreibt. Also Rus, es ist nicht ganz bestätigt, könnte irgendwie etwas wie Ruderer bedeuten. Oder in diese Richtung irgendwie führen. Also das beschreibt eben auch nicht die Slawen vor Ort, sondern hat ursprünglich die Skandinavier beschrieben. Irgendwo auf ihrem Durchzug scheinbar. Aber ja, das kann man auf jeden Fall so stehen lassen. Ja und dann ändert sich das alles aber ziemlich schnell. Also man muss schon sagen, der schon genannte Vladimir, das war jetzt einer der frühesten Herrscher eigentlich. Und nur 100 Jahre nachdem die da erstmals aufgetaucht sind, heißt er erstens schon Vladimir. Da können wir uns schon mal kulturell was drunter vorstellen. Und zweitens übernimmt er das Christentum. Und zwar nach byzantinisch-orthodoxer Prägung. Und damit beginnt da in der Gegend dann ja schon etwas Form anzunehmen, was man auch heute noch mit der Gegend eben verbindet. Also ein recht starker Staat entsteht langsam, wenn auch kein zentralistischer, aber das gab’s ja generell nicht. Und darüber diese Religion, diese neue nach Konstantinopelianischer, sagt man das so Form.
[00:15:24] Marko Oströmisch.
[00:15:26] Ralf Oströmisch.
[00:15:28] Marko Aber da hast du ja zum Beispiel einen Zentralstaat. Also Konstantinopel als noch Mittelpunkt der Welt…
[00:15:32] Ralf Das wäre das einzige Beispiel. Und vielleicht irgendwie teilweise in China, vielleicht auch im muslimischen Spanien. In der Zeit gab’s halbwegs zentralisierte Staaten, aber es ist die Ausnahme. Und eben auch die Kiewer Rus war nicht so ein zentralisierter Staat. Es gab dann eben, deswegen auch der Begriff, einen Großfürsten, der in Kiew dann residierte, der war aus diesem Geschlecht der Rurikiden, war aber eher so ein Primus inter pares. Es gab dann auch noch andere Rurekiden, seien es Geschwister oder Cousins oder was es halt eben war, die in anderen Gegenden auch ihre eigenen Herrschaften hatten, aber auch irgendwie zur Kiewer Rus gezählt haben.
[00:16:13] Martin Gibt es Erkenntnisse darüber, wie die soziale Schichtung da war? Waren sozusagen die Wikinger- Eroberer die Oberschicht und dann gab es eben die slawische Unterschicht oder hat sich das gemischt? Wie muss man sich das vorstellen?
[00:16:28] Ralf Beides. Also ursprünglich war es ganz klar die Oberschicht. Also ursprünglich kann man ziemlich sicher davon ausgehen, dass die sich als Oberschicht darüber gesetzt haben. Mit der Zeit war es dann eher so, dass die Oberschicht sich immer mehr nicht auf die Herkunft beschränkt hat, sondern eben auf diese Dynastie, die natürlich schon zurückreicht in diese skandinavische Zeit. Also um zu herrschen, um ein Fürst zu sein, sollte man eben den Rurikiden angehören, das schon. Darunter, schwer zu sagen, aber realistischerweise kann man davon ausgehen, dass da sehr, sehr viele andere, die ursprünglich mal aus Skandinavien vielleicht kamen, deren Familien, da sie sich einfach vermischt haben mit den lokalen, slawischen Leuten und irgendwann war die Unterscheidung einfach kaum noch zu treffen.
[00:17:12] Marko Jetzt haben wir da ein kleines, wahrscheinlich auch noch recht instabiles Reich, diese Kiewer Rus. Wir sind wahrscheinlich zehntes, elftes Jahrhundert, sowas ungefähr?
[00:17:21] Ralf Da sind wir jetzt ungefähr stehen geblieben. Genau, diese Christianisierung war kurz vor der Jahrtausendwende.
[00:17:25] Marko Wenn im 16. Jahrhundert ein Mönch sagt, dass Moskau ja nun eigentlich das neue Rom ist, sind wir ja noch ziemlich weit weg.
[00:17:32] Ralf Ja, springen wir ein bisschen vor, da hast du recht. Also im Endeffekt kann man ja auch hier dann eigentlich schon mal einen kleinen Schlussstrich ziehen. Das Ganze hält tatsächlich dann relativ lange, so insgesamt sind es. 350 Jahre. Natürlich nicht in einer so geraden Linie, aber solange besteht dieser Verband der Kiewer Rus. Und das geht dann aber erstmal unter. Und zwar im 13. Jahrhundert und ihr könnt euch sicher vorstellen, wer daran schuld war, wollt ihr mal raten.
[00:17:58] Martin 13. Jahrhundert…
[00:18:00] Marko Das ist bestimmt der Typ, der ja dieses doofe Lied in den 80ern komponiert hat: Dschingis Khan.
[00:18:05] Ralf Genau der: Dsching, Dsching, Dschingis Khan kommt.
[00:18:09] Marko Naja, also es ist ja sozusagen die Geißel Europas, die da zum ersten Mal vor der Haustür steht und aus den tiefen Tiefen des östlichen Raums da irgendwie herkommt: seltsames Reitervolk.
[00:18:22] Ralf Ich meine, auch in einer Tradition natürlich: Haben davor die Hunnen gemacht, haben die Awaren gemacht, haben die Ungarn gemacht, aber die Mongolen sind eigentlich die Letzten, die das im großen Stil dann vollbringen. Genau, die zerschlagen da auf ihrem Weg Richtung Westen eben auch die Kiewer Rus. Da sind wir im 13. Jahrhundert. 1240 ist die traditionelle Datierung. Da fällt Kiew an eben die Mongolen unter Dschingis Khan. Und das ist jetzt eigentlich auch der Moment, wo wir anfangen können, die Geschichte der Ukraine und der von Weißrussland auch von der russischen Geschichte ein wenig zu trennen. Bis hier ist das eigentlich alles ein und dasselbe und da können wir dann auch nochmal drüber reden, dass man das durchaus anders natürlich bewerten kann. Aber es ist eigentlich eine gemeinsame Geschichte bis hierhin.
[00:19:11] Marko Für mich ist so ein bisschen die Frage, wenn diese Kiewer Rus, wie groß muss ich mir die eigentlich so vorstellen? Da ist Moskau ja noch nicht mit drin wahrscheinlich, ne?
[00:19:19] Ralf Doch, das Gebiet, wo Moskau jetzt liegt, war da schon mit drin.
[00:19:24] Marko Du sagst es schon, wo Moskau jetzt liegt. Wann ist denn Moskau gegründet? Ich habe keine Ahnung.
[00:19:29] Ralf Das ist traditionell im 12. Jahrhundert, dann erst der Fall – 1147. Aber Moskau ist bei weitem nicht die älteste Stadt in der Region. In Richtung Osten ist das im Prinzip hinter dem Gebiet Moskau dann noch weit vor dem Oral, kann man sagen, hat das eigentlich langsam so sein Ende gefunden. Das war jetzt noch nicht so sonderlich weit.
[00:19:49] Martin Aber Moskau gehört schon dazu, ist aber komplett unbedeutend.
[00:19:54] Ralf Genau, spielt einfach keine Rolle. Zum Zeitpunkt, wo der sogenannte Mongolensturm stattfindet und Kiew fällt, da ist Moskau ja keine 100 Jahre alt, wenn wir diese Datierung jetzt hernehmen. Das ist im Vergleich zu den Zentren in der Kiewer Rus deutlich unbedeutender. Das wird sich erst in der mongolischen Zeit dann tatsächlich ändern.
[00:20:12] Martin Du hast gesagt, in dieser Zeit trennt sich die ukrainische Geschichte von der weißrussischen, von der russischen Geschichte. Was passiert da?
[00:20:19] Ralf Wobei man sagen muss, so stimmt es nicht ganz. Die ukrainische und die weißrussische bleiben eigentlich zusammen zu dem Zeitpunkt, mehr oder weniger. Erstmal wird das alles Teil des mongolischen Reichs, bzw. das zersplittert dann ja auch und dieser westlichste Teil wird dann die Golden Horde dann irgendwann genannt, unter den Nachfolgern von Dschingis Khan. Die können die Kontrolle über das Gebiet aber eben nur sehr bedingt halten und das wird halt vom Westen nach und nach wieder mehr abgeschüttelt auch. Man kann sich vorstellen, die kommen ja hier von den Steppen rein, so von Ost nach West, schwemmen da im 13. Jahrhundert eigentlich mal über alles drüber, kommen bis weit nach Zentraleuropa rein, aber gerade dann in diesen westlichsten Gebieten, da wird diese Herrschaft der Mongolen auch relativ schnell wieder abgeschüttelt. Und mit relativ schnell meine ich ungefähr so 100 Jahre. Da sehen wir dann so, dass im 14. Jahrhundert da sich schon wieder einiges tut und das oder größte Teile von dem, was wir heute als Ukraine und eben auch als Belarus bezeichnen, geht dann erstmal an das damals überraschend, was man heute sich nicht so vorstellt, mächtige Fürstentum Litauen. Und dieses Litauen vereinigt sich ja dann später mit Polen zum Fürstentum und dann Königreich Polen Litauen.
[00:21:29] Marko Das Spannende ist ja eigentlich, dass diese Mongolen, die so plötzlich aus dem Nix auftauchen, auch wieder im Nix verschwinden. Und offenbar ja auch gar keine großen Ambitionen haben, irgendein Reich zu gründen, sondern die sind halt unterwegs.
[00:21:41] Martin Ja und hinterlassen auch nicht so wahnsinnig viel. Also von denen bleibt nicht so viel übrig, weder an Artefakten noch an vielleicht Kultur, Sprache, die sie mitbringen.
[00:21:50] Ralf Das ist tatsächlich wahr. Sie waren schon lange präsent als Oberherrschaft, das schon. Also wenn ich jetzt sage 1240 fällt Kiew, dann können wir mal davon ausgehen, dass eigentlich die nächsten 100 Jahre über da alle in dieser Region erstmal dem Mongolen tributpflichtig blieben. Und so hat’s ja funktioniert. Also da wurden dann Tribute verlangt, auch eine Unterwerfung natürlich war damit verbunden. Aber die sind halt hin und her gezogen. Das war jetzt nicht so, dass da eine riesige Präsenz – weder städtebaulich noch militärisch irgendwie existiert hat. So kann man es vielleicht verstehen. Aber eben etwas weiter im Osten, also unter anderem auch da, wo jetzt Moskau langsam beginnt aufzusteigen, da hält diese Kontrolle, diese Oberherrschaft, wenn auch lose der Mongolen noch deutlich länger an. Also da können wir sagen, da sind auch nach dem Aufstieg von Litauen da, wo wir dann sagen können, im 14. Jahrhundert langsam, sind weiter Teile der Ukraine und eben Belarus nicht mehr unter mongolischer Herrschaft. Das sind noch 150 Jahre mehr teilweise in zum Beispiel Moskau. Also das hat schon eine gewisse Zeit gedauert. Aber ja, es kommen halt immer mehr Aufstände dann, die dazu führen, dass unterschiedliche Fürstentümer auch immer mehr eigene Macht in Anspruch nehmen können gegenüber der Goldenen Horde, bis dann irgendwann diese Oberherrschaft ganz abgeschüttelt wird. Und damit beginnt dann in einem moderneren Sinn ja langsam eine russische Geschichte.
[00:23:16] Martin Also nochmal: Der westliche Teil, also das heutige Weißrussland und die Ukraine gehören zu diesem Zeitpunkt zu Polen, Litauen und zwar schon seit anderthalb Jahrhunderten. Und zu diesem Zeitpunkt ist das ein Gebilde, das klar getrennt ist vom östlichen Teil, also von dem Teil mit Moskau.
[00:23:35] Ralf Ja, natürlich mit durchlässigen Grenzen damals, wie es überall war. Aber man kann dann schon sehen, dass über diese, zumindest mal 150 Jahre, die mongolische Oberherrschaft im Osten, also vor allem im Gebiet um Moskau und drüber hinweg, immer noch sehr viel Einfluss gehabt hat und vor allem sehr viel lokale Entwicklung erschwert hat. Da musste man sich ja quasi dann frei kämpfen davon, während halt weiter im Westen wir da diese Integration in einen ganz anderen Staat gesehen haben. Und dort halt eine andere Entwicklung, dass sich zum Beispiel der alte Rus-Adel in der Gegend oft dann polonisiert hat zum Beispiel. Also da sehen wir schon sehr unterschiedliche Entwicklungen, je nachdem wie halt die Großwetterlage in den zwei Hälften, wenn man so will, war. Und damit kommen wir auch langsam dann in dieser Zeit, wo das Zitat, womöglich herkommt. Weil das ist ja die Zeit, wo die Fürsten von Moskau oder dann Großfürsten von Moskau irgendwann so viel Anspruch entwickeln zu sagen, ne, wir sind ja eigentlich gar nicht Großfürsten von Moskau, wir sind ja eigentlich Kaiser, wir sind ja die Zaren von Russland.
[00:24:39] Marko Wann sind wir da? Da sind wir dann im 15. oder 16.
[00:24:42] Ralf Im 16.
[00:24:43] Marko Also da muss man voraussetzen, dass Konstantinopel ja schon an die Türken gefallen ist.
[00:24:48] Ralf Genau. 1453. Genau.
[00:24:50] Marko Der schwarze Dienstag.
[00:24:51] Ralf Bitte?
[00:24:53] Marko Der schwarze Dienstag, es war ein Dienstag.
[00:24:55] Ralf Achso, es war ein Dienstag, schau.
[00:24:57] Martin Ich kenne das nur von der Börse.
[00:24:58] Marko Ja, man denkt immer an die Börse, aber 1453, genau, die Türken erobern Konstantinopel.
[00:25:05] Ralf Ahja, ne? Siehste.
[00:25:06] Marko Und dann wird es irgendwann Istanbul. Und heute ist nicht mehr Konstantinopel. Gibt’s ein schönes LIed. Aber egal.
[00:25:11] Ralf Gibt’s ein Lied?
[00:25:12] Martin Ja, gibt’s ein schönes Lied.
[00:25:13] Ralf Das geschieht 1453. Und dann der erste, der sich ja als Zar bezeichnet ist ja auch einigermaßen berühmt, das war dann Ivan der Schreckliche. Beziehungsweise Ivan der Vierte ja eigentlich, ne? Und Grosny, ja, man kann’s mit schrecklich übersetzen, aber vielleicht auch einfach nur der strenge, also…
[00:25:32] Marko Grosny heißt das eigentlich…
[00:25:33] Ralf Grosny, ja, genau, auf Russisch, genau.
[00:25:35] Marko Gibt’s auch eine Stadt, die so heißt, oder?
[00:25:37] Martin Ja, das ist Tschetschenien, Grosny.
[00:25:42] Ralf Wobei ich mal davon ausgehe, dass das wohl eine Verballhornung von einem Tschetschenischen Wort sein muss, weil man würde ja nicht eine Stadt tatsächlich Grosny, schrecklich nennen. Aber das weiß ich nicht.
[00:25:51] Marko Wenn man dahin verbannt wird vielleicht.
[00:25:53] Ralf Na dann vielleicht, ja.
[00:25:56] Marko Jetzt kommen diese Moskauer, wenn es denn so war, auf die Idee, sich als das dritte Rom zu sehen. Natürlich würde ein deutscher Kaiser, würde sich ja auch als Nachfolger Roms sehen.
[00:26:10] Martin Heiliges römisches Reich deutscher Nation. Das ist ja dann auch Nachfolge.
[00:26:16] Ralf Die Streitereien hat’s ja ständig gegeben. Aber so nennen sich die Russen nicht.
[00:26:21] Ralf Naja, Zar ist der Kaiser.
[00:26:23] Marko Ja gut, aber da höre ich jetzt nichts vom römischen Reich – Zar.
[00:26:28] Ralf Noch nicht, das entwickelt sich. Das entwickelt sich aber mit der Zeit, aber der Anspruch ist schon relativ früh da. Aber vielleicht, um einfach nur diesen Bogen nochmal zu schließen: Natürlich bezieht man sich jetzt nicht als Vorgängerstaat auf Rom zurück plötzlich. Da kommt jetzt nicht irgendwie Ivan IV. aufs Tapet und behauptet dann so, ja ich bin jetzt hier der neue römische Kaiser. So einfach ist es nicht. Also man bezieht sich schon natürlich zuerst mal auf die Kiewer Rus zurück. Deswegen ist ja auch diese Geschichte wichtig. Das hat man durchaus so gesehen und ja auch schon in diesen kleineren Fürstentümern oder Großfürstentümern, auch als die Mongolen noch eine Rolle gespielt haben, da haben sich ja die Leute durchaus – oder diese Kleinfürsten durchaus als Nachfolger der Kiewer Rus nach wie vor verstanden. Und das ändert sich ja nicht. Auf der Seite ist das eigentlich gleich geblieben, ist aber auch historisch durchaus mehr oder weniger akkurat, ne.
[00:27:26] Marko Aber was waren das jetzt für Leute? Waren das direkte Nachfahren dieser Herrscherdynastien, die es noch in der Kiewer Rus gab? Oder waren das irgendwelche neuen Leute, die irgendwie aus dem tiefen Russlands irgendwie nach oben gespült worden sind? Oder waren es am Ende vielleicht sogar Leute, die eigentlich irgendwie in der Nachfolge der Mongolen standen?
[00:27:43] Ralf Das nicht. Also es gab für eine ganze Zeit noch tatsächlich die Rurikiden, die da weiterhin auch in den einzelnen Fürstentümern an der Macht geblieben sind. Im Zaren-Reich haben wir dann irgendwann den Wechsel zu den ja sehr berühmten Romanows. Also da haben wir einen Dynastiewechsel, der dann aber erst in der Neuzeit kommt. Also tatsächlich über lange Zeit ist das schon der Fall, dass da auch eine dynastische Verbindung noch da ist. Aber dann irgendwann sterben die halt einfach aus.
[00:28:12] Martin Aber ich habe das richtig verstanden: Diese Zaren berufen sich schon auch eben auf diesen vielleicht auch schon Gründungsmythos. Alles, was russisch ist, kommt eben da her, nämlich aus dieser Kiewer Rus, da stammen wir her. Und das ist sozusagen der Ursprung des russischen Volkes, der russischen Nation, wenn ich diesen Begriff mal so nehmen darf.
[00:28:33] Ralf Ja, also das haben wir schon relativ früh. Und das ist ja auch, wie gesagt, historisch zumindest halbwegs herleitbar. Dadurch, dass man die Kiewer Rus durchaus jetzt mit dem Verschwinden des mongolischen Einflusses und dem Aufstieg von Moskau dann in erster Linie ja, die sieht man also als Vorläufer und man sieht sich selbst da auch als Anschluss. Und man hat auch damals schon verstanden, dass da ja auch andere Gebiete, die halt jetzt aktuell in Polen, Litauen waren, also ergo das, was wir heute als Ukraine und Belarus sehen, da auch dazugehört haben. Und es hat auch dann schon im 17. Jahrhundert zumindest erstmals auch so Vorstellungen gegeben, dass das zwar drei verschiedene Völker sein mögen, so wurde das dann langsam gesehen. Also man hat dann einerseits die Großrussen gesehen, das sind die Russen, dann die Kleinrussen, das sind eigentlich Ukrainer, und dann eben diese Weißrussen. Aber man hat sich eben als Brüder gesehen und zunehmend dann eigentlich so als ein dreieiniges Volk, so ist das dann eigentlich gesehen worden. Das wird auch heute noch gern mal verwendet von Nationalisten in Russland, das dreieinige Russland ist dann da.
[00:29:40] Martin Also in Anlehnung an die Trinität, an die christliche Trinität hat das so…
[00:29:45] Ralf Vielleicht, ja.
[00:29:46] Martin Das ist ja ein bisschen anmaßend, aber die Anspielung scheint ja nahe zu liegen.
[00:29:51] Ralf Ja, das kann man schon davon ausgehen, dass da eine gewisse Nähe auch ist. Es gibt da ja auch so, ich greife jetzt ein wenig voraus, aber das wird symbolisch dann auch sehr stark befeuert. Ich komme jetzt gleich zu dieser Vorstellung vom dritten Rom, das passiert ja auch eigentlich zeitgleich, kann man sagen. Da wird ja dann auch zum Beispiel der römische Adler als Emblem übernommen, was er auch heute noch in der russischen Flagge und dem russischen Wappen vorherrscht. Und auf den hat man dann auch, obwohl der Adler zweiköpfig ist, dann drei Kronen draufgesetzt. Das hat man auch heute übrigens noch. Das soll wiederum diese Dreieinigkeit des russischen Volkes irgendwo widerspiegeln, hat aber sicher auch eine gewisse religiöse Konnotation, da bin ich bei dir.
[00:30:30] Marko Zwei Köpfe, drei Kronen, ein Adler.
[00:30:33] Ralf Ja, das schwebt dann irgendwie so drüber. Wenn man sich das russische Wappen ansieht, dann sieht man das auch.
[00:30:39] Marko Aber jetzt muss man natürlich sagen, du hast eben erzählt, es gab ein litauisches Reich, was sich über Polen und dann auch die heutige Ukraine erstreckte. Das geht einfach so unter. Das ist irgendwann plötzlich weg?
[00:30:53] Ralf Och ne, das hält noch lange. Das geht erst im 18. Jahrhundert unter.
[00:30:59] Marko OK. Aber dann holt sich das im Prinzip Moskau.
[00:31:01] Ralf Das holt sich dann mit dem russischen Anteil an den Teilungen Polens, richtig, wird dann der größte Teil davon dann ja schon Russland quasi eingenommen, richtig. Aber da sind wir noch relativ weit in der Zukunft tatsächlich. Also über lange Zeit ist ja dieses Polen -Litauen ein sehr mächtiger Staat, der ja auch immer wieder mal Krieg führt. Auch mit Russland, zum Beispiel auch dann im Nordischen Krieg, da war ja auch Schweden noch dabei. Also da gab es ja noch ganz, ganz viel Auseinandersetzung auch. Und das heißt auch über lange Zeit waren große Teile – und da kommt langsam so eine Teilung der Ukraine, die ja noch bis heute eine Rolle spielt, da noch rein, das halt alles so westlich, das Dneper, also die westliche Ukraine war halt sehr, sehr lange dann noch bei Polen -Litauen, während die östliche Ukraine dann schon zunehmend unter russischen Einfluss gekommen ist. Aber natürlich auch mit viel hin und her, genau.
[00:31:48] Martin Aber der Anspruch war eigentlich immer da, das ist Teil Russlands. Das sind die kleinen Russen, aber es sind Russen.
[00:31:56] Ralf Genau. Und ja, da war schon ein Anspruch dahinter. Also auch, ich sag, so eine gewisse Machtgeilheit oder Selbstvertrauen. Ein gesundes Selbstvertrauen war da da, von Seiten der jetzt ja russischen Zaren, dass man sich eben als Großrussen so über das alles ja auch gestellt hat. Also das hat im 17. Jahrhundert, kann man das dann wirklich schon festmachen, auch in Schriften, dass man das so gesehen hat, am russischen Hof in Moskau. Und das wird dann auch etwas sein, was sehr schnell sich vermischt mit eben all diesen anderen mythischen Vorstellungen und unter anderem eben auch dieser Idee des dritten Roms, mit der wir gestartet sind. Und jetzt haben wir eigentlich langsam so diesen Punkt eingeholt.
[00:32:38] Marko So, aber der erste dieser Zaren ist, hast du eben gesagt, Ivan der Schreckliche.
[00:32:42] Ralf Richtig, ja.
[00:32:43] Marko Der wird ja diesen Namen nicht umsonst tragen.
[00:32:46] Ralf Ja, der gilt schon als sehr brutaler Herrscher. Aber andererseits, ich glaube, es ist gar nicht zu erwiesen, dass er so viel brutaler oder schrecklicher war als viele andere.
[00:32:54] Martin Also, ein durchschnittlicher Tyrann.
[00:32:56] Ralf Ja, ein durchschnittlicher Tyrann. Genau. Kann man gut sagen. Ein Despot. Ein guter, altmodischer Despot.
[00:33:03] Marko Wenn man dann vielleicht noch so ein bisschen in seinem Schulwissen gräbt, wen man jetzt so als russische Herrscher noch kennt, ist vielleicht Peter der Große. Wobei man mit dem eigentlich überhaupt nicht Moskau verbindet, sondern Petersburg. Und die Gründung von Petersburg. Dann kennt man noch Katharina die Große. Und dann wird es auch langsam dünn.
[00:33:21] Martin In meinem Schulwissen auch, muss ich gestehen. Ja, das war es dann auch.
[00:33:24] Ralf Ja, es gibt dann vielleicht noch, kennt man dann so, aber da muss man dann auch schon tiefer drin sein, die späteren dann, Nikolaus und so weiter, die es dann wieder gab.
[00:33:32] Martin Ja, aber das war dann Richtung Erster Weltkrieg dann schon.
[00:33:34] Ralf Genau, das war dann wirklich schon am Ende. Aber ja, da habt ihr schon recht. Natürlich gab es da dazwischen einige mehr. Wir haben ja vorhin schon die Dynastien kurz angesprochen. Die Romanows sind ja dann schon ab dem 17. Jahrhundert an der Macht. Aber, ja, also man kennt da jetzt nach Ivan den Schrecklichen bei uns tatsächlich relativ wenige davon. Was aber nicht heißt, dass da nicht extrem viel passiert wäre in dieser Zeit. Also bevor wir da in die Zeit von Peter dem Großen oder so kommen, sehen wir ja schon eine riesige Bewegung aus diesem eigentlich immer noch relativ neuen russischen Reich. Eine riesige Expansion vor allem dann in Richtung Osten, die ja auch so im 17. Jahrhundert so richtig Form annimmt. Also Stichwort langsam Bewegung in Richtung Sibirien und so weiter und so fort. Das ist ja alles noch lange davor geschehen. Wir haben irgendwann dieses eigene Bild der Herrschenden in Moskau eben als Zaren, Ergo als Nachfolger der Römer irgendwie.
[00:34:31] Zar im Sinne wie bei uns Caesar, Kaiser, Zar…
[00:34:35] Ralf Es kommt von Cäsar. Richtig, genau das Gleiche. Und damals vor allem ja noch mit einer ganz anderen Konnotation. Das war ein sehr limitierter Begriff, den man nicht so einfach rumgeschmissen hat, wie dann etwas später.
[00:34:48] Marko Naja, also er ist ja auch verbunden mit Rom und dem Papst. Ohne Papst kein Kaiser. So einfach. So. Also das ist ja etwas anderes offenbar als das, was da in Moskau passiert, wenn sich da jemand Kaiser nennt oder Cäsar oder Zar, dann ist das was anderes als das Konstrukt, was es bei uns gab in Mitteleuropa, wo ein Kaiser, eine weltliche Macht im Namen eines eigentlich christlichen Oberhauptes mit ausführt.
[00:35:18] Martin Naja, aber wenn du sagst, hier ist es eben die katholische Kirche gewesen, der Papst in Rom, dann kann man natürlich in gleicher Weise sagen, wenn aber die russisch-orthodoxe Kirche die eigentliche Nachfolge Jesu Christi angetreten hat, dann kann natürlich die russisch-orthodoxe Kirche auch jemanden zum, ich weiß gar nicht, wie ist das zum Kaiser, zum Zar krönen, salben. Ich weiß nicht, was man da gemacht hat, aber wahrscheinlich gab es dann auch so einen entsprechenden Ritus, der dann den Herrscher zum Zar dann eben erhoben hat.
[00:35:48] Ralf Ja, das gab es, wobei die orthodoxe Kirche, oder eigentlich muss man sagen, die orthodoxen Kirchen sind ja deutlich dezentraler, als das die katholische Kirche ist. Oder noch mal dezentraler.
[00:36:00] Marko Naja, weil Konstantinopel halt untergegangen ist, so ist es ja.
[00:36:02] Ralf Klar, aber es gab immer noch den Patriarchen in Konstantinopel, auch in osmanischer Zeit. Und der stand theoretisch über den anderen. Es gab dann aber irgendwann auch einen Patriarchen in Russland. Aber in irgendeiner Form hat all das die Herrschaft der Zaren gestützt, vor allem natürlich der Patriarch in Russland. Aber auch die in Konstantinopel haben das eigentlich mitgetragen.
[00:36:22] Marko Aber es ist ja ein anderes Verhältnis als zum Papst in Rom. Das ist was komplett anderes, denke ich.
[00:36:28] Ralf Das ist schon was anderes, ja. Aber es war die Stütze da. Die religiöse Stütze war da, sie hat aber anders ausgesehen als im Westen. Und war vielleicht weniger direkt und weniger zwangsläufig auch. So kann man es vielleicht sagen. Und wenn wir uns jetzt dieses Gesamtkonstrukt anschauen, dann sind wir auch langsam, glaube ich, dass man da dann auf russischer Seite so eine Grundlage von dem sehen kann, was dann heute so als Kernstücke der russischen Geschichte eben gern herausgestrichen werden. Also wenn man eben Putin zum Beispiel zuhört, wenn er über die Geschichte labert oder es gibt Alexander Dugin ist noch so ein Beispiel, das ist so ein eigentlich enger Freund von Putin. So ein…
[00:37:08] Martin Chefideologe, sagt man immer.
[00:37:10] Ralf Chefideologe, angeblicher Philosoph, der auch gern viel über die Geschichte redet. Die würden hier jetzt eigentlich spätestens eine relativ gerade Linie ziehen. Die würden halt sagen, ja, die Kiev Rus, die gab’s. Und das hat sich dann halt irgendwie gespalten in dieses Dreieinige. Aber wir, die Russen, also die Großrussen, die standen da schon immer drüber. Und überhaupt haben wir ja nach 1453 die Nachfolge von Rom selbst angetreten, sind ja quasi hier auf Menschheitsmission unterwegs. Und davon leitet man dann ja sehr, sehr viel ab. Ja, und drum herum natürlich findet da diese ganze Erweiterung räumlich, ne, man will zu diesem Riesenreich, findet ja auch statt. Die Autokratie wird ja sehr stark Russland noch prägen. Also es gab eigentlich kaum Opposition zum Zaren in Russland. Sowas wie die Fürsten, die es so im Heiligen Römischen Reich gab. Oder dann eben auch Herzöger und so weiter. Das gab’s ja alles, in der Form kaum. Also der konnte da mehr oder weniger durchregieren. Aber da haben wir schon langsam so diese Anfänge. Und das macht, glaube ich, dann schon relativ viel von dem auch deutlich, was man heute dann oft noch gerade von Putin eben hört. Also ich glaube, diese Mythologisierung, die spielt halt immer noch eine Rolle.
[00:38:20] Martin Ich würde vielleicht nochmal gerne klar machen, wie diese Mythologisierung der russischen Nation funktioniert. Also wir haben da im Prinzip ja zwei Strömungen, die da zusammengeführt werden. Das ist einmal diese Erzählung von der Kiewer Rus und die Nachfolge Roms. Die Nachfolge Roms wird einfach mal irgendwie kräftig behauptet mit irgendwelchen Quellen, die es gegeben hat oder nicht. So, das ist unser Anfangszitat. Und die Kiewer Rus ist zu dem Zeitpunkt, wo das ja behauptet wird, dass das alles dazugehört zum Russischen Reich, 600, 700 Jahre her die erste Besiedelung. Und alles, was dazwischen ist, also die Mongolen-Einfälle und Litauen und Polen, diese ganze Geschichte, über die wir eben gesprochen haben, die wird schlicht mal einfach ignoriert. So funktioniert das, ja?
[00:39:04] Ralf Ja, das ist diese Auswahl, die man halt in der Geschichte hat, wenn man solche Mythen bastelt. Natürlich wurde da, historisch gesehen, von den Leuten, die das gemacht haben. Und da sind natürlich heute Alexander Dugin und Co, ist klar, aber das haben ja auch schon romantische Denker gemacht im 19. Jahrhundert und haben davor auch schon russische Staatsmänner gemacht, dass man natürlich genau die Aspekte hervorhebt und rauspickt, die halt gerade ins Bild gepasst haben. Und das ist jetzt keine Besonderheit von Russland unbedingt, aber natürlich kann man dann halt sagen, ja, hier Kiewer Rus, darauf beziehen wir uns zurück. Danach Mongolen, darüber reden wir eigentlich nicht so gerne, deswegen reden wir jetzt einfach nicht drüber und dann deklarieren wir das als Fremdherrschaft. Dabei sind ja all diese Kategorien sowieso hinfällig, weil sowas wie Russland, wie es sich dann in der Jetztzeit oder halt der damaligen Zeit verstanden hat, als diese Mythen entstanden sind, sowas gab es da ja sowieso nicht. Und ja, letztendlich könnte da ja immer jeder kommen. Ja stell dir vor, was passieren würde, wenn irgendwie die Mongolei auf die Idee kommen würde, alles für sich zu claimen, wo die Mongolen mal waren.
[00:40:09] Martin Oder was wir eben hatten schon, die Schweden. Die könnten ja eigentlich mit viel größerem Recht sagen, das ist unsere Tradition, das waren unsere Leute, das waren die Wikinger, die da hingegangen sind und haben die ersten Siedlungen gegründet. Die könnten im Prinzip mit dem gleichen Recht hingehen und sagen, eigentlich ist das Schwedisch.
[00:40:24] Ralf Ja, also die Lage wäre ja ähnlich, weil natürlich auch da muss man sagen, Schweden gab es nicht. Weder als sich selbst verstehende Nationalität, noch als Staat. Ja, und bei der Kiewer Rus, ja, natürlich der einzige Unterschied, den man jetzt vielleicht machen kann, ist, dass es halt eine Tradition gibt, wonach man sich auch schon in Moskau und auch schon unter mongolischer Herrschaft immer darauf bezogen hat, dass man ja davon abstammt. Aber mit der Realität hat das natürlich kaum etwas zu tun. Man kann da keinen echten Herrschaftsanspruch davon ableiten, da gäbe es keine Ordnung mehr auf der Welt, wenn das alle machen würden.
[00:40:59] Martin Aber es wird gemacht, offensichtlich.
[00:41:01] Ralf Natürlich wird es gemacht, das sieht man nur zu deutlich.
[00:41:05] Marko Was mich so ein bisschen wundert ist, wir haben das eben relativ kurz gemacht, aber jenseits des Urals sind ja riesengroße Landmassen und auch Völkermassen, die plötzlich sich als Russen empfinden sollen. Da ist Moskau ja auch sehr, sehr weit weg. Dann muss man noch dazu sagen, das, was man so unter Peter dem Großen, das war ja immer sehr westlich. Die waren ja immer ein Teil letztendlich Europas. Oder natürlich auch Katharina die Große, das war eine europäische Herrscherin. Wie hängt jetzt dieser ganze östliche riesengroße Raum, wie hängt das jetzt zusammen und wie kriegt man da so etwas hin wie ein, wir gehören ja zusammen, wir sind ja alle Russen. Wie kriegt man das hin?
[00:41:46] Martin Es ist ein Vielvölkerstaaten. Ich glaube, irgendwas über 30 verschiedene Ethnien umfasst das russische Reich.
[00:41:54] Ralf Eher noch mehr wahrscheinlich. Wir müssen da, glaube ich, schon unterscheiden. Erstmal in der Geschichte und man könnte schon sagen, eigentlich auch heute noch, ist fast alles, was da hinter dem Ural stattfindet, so ein wenig wie ein Kolonialreich zu sehen. Also da gab es dann schon ein paar ethnische Russen, die da hin sind und da drüber geherrscht haben. Und man hat eher das dann so auf einer Rohstoffebene ausgebeutet, als dass man da die lokale Bevölkerung, die ja unterschiedlichste Ethnien hatte, alles außer russisch muss man fast sagen, dass man die da groß integriert hätte an der Herrschaft oder sonst was. Das hat ja nicht stattgefunden.
[00:42:29] Martin Es war vielleicht auch gar nicht notwendig, weil das keinen Vorteil gebracht hat. Die können sich wahrscheinlich sehen wie sie wollten.
[00:42:36] Ralf Es war ja auch keine effektive Gegenwehr da, sagen wir es mal so. Es gab zwar Widerstand gegen die russische Expansion, aber die war halt irgendwann gebrochen. Und die russische Armee hatte da sio weit die Hand drauf, dass das nicht nötig war. Und heute ist es ja so, dass es irgendwo so eine Mischung ist. Es gibt schon immer noch so koloniale Elemente, wo man eben auch merkt, es gibt ein riesen Einkommensgefälle von West nach Ost in Russland. Was auch wiederum dazu führt, dass zum Beispiel eben jetzt beim Krieg in der Ukraine und so weiter sehr viele Leute aus dem fernen Osten kämpfen, weil die das Geld einfach mehr brauchen. Und es wird da schon mit zweierlei Maß auch gemessen. Gleichzeitig ist es aber natürlich heute so, dass halt Russland eben diese Föderation ist und eigentlich so gut wie jeder Russe, jede Russin zwei Nationalitäten hat und das auch im Pass so eingetragen ist. Also man ist dann russisch nach Staatszugehörigkeit und man hat dann aber noch so eine ethnische Zugehörigkeit. Und natürlich spielen ja auch noch die Republiken selbst auch noch auf einer politischen Ebene eine Rolle, auch wenn die natürlich in weitesten Teilen pseudo-unabhängig sind von Moskau muss man auch sagen. Aber intern haben die ja auch noch Gestaltungsspielräume. Und das macht, glaube ich, auch dieses nationale Selbstverständnis von Russland in weiten Teilen aus. Es ist in dem Sinne ja gar keine wirkliche Nation, nicht so wie wir es uns eben vorstellen. Es gibt zwar diese russische Ethnie und diese Vorstellung davon, Ok, ein Russe ist eher aus dem Westen, spricht halt russisch und nur russisch, hat weder eine andere Sprache noch eine andere Kultur irgendwie drüber. Aber Nationalismus in Russland funktioniert ganz selten auf der Ebene. Also es wird ganz selten eigentlich diese… sich beschränkt auf ethnische Russen und Russinnen, dass man sagt ja: Wir vertreten jetzt die, sondern alle nationalistischen Bewegungen, die es in Russland gab und gibt, und da zählt ja durchaus auch Putin dazu natürlich, aber es gibt ja noch genug Extremere, die beziehen sich immer auf dieses Gesamtteil, auf diese russische Idee, die eben wiederum auf allem, was wir besprochen haben, ja schon irgendwie münzt. Ja und letztendlich ist die russische nationale Idee halt einfach Größe – Größe an und für sich, nach innen wie nach außen, ideologisch wie ganz plump territorial. Das hat sich bis heute ja nicht großartig geändert.
[00:44:55] Martin Und Putins Aussage lautet ja überall da, wo Russen leben, ist Russland. Also das ist ja mal ein sehr universaler Anspruch.
[00:45:03] Ralf Das ist extrem universal. Ja und ich meine, das ist aber eigentlich sogar noch fast ein wenig beschränkt, da redet er zumindest noch über die russische Ethnie, weil die Logik trifft natürlich auf weite Teile Zentralasiens ja zum Beispiel gar nicht zu, aber auch das ist ja am Ende Russland. Es gibt da einen relativ modernen Begriff, der dafür verwendet wird von russischer Seite, das nennt sich „Russki Mir“, die russische Welt, und das ist so eine Vorstellung, dass eben Russland irgendwie so ein Begriff ist oder eine Vorstellung, die zwar irgendwie beschränkt ist, aber die immer erweiterbar ist. Also jetzt zum Beispiel wurde dann ja in Donezk eine Volksrepublik, eine sogenannte ausgerufen von russischer Seite, da steht schon im Vorwort der Verfassung steht da viermal, glaube ich war es, dieser Begriff Russki Mir eben drin. Und der halt einfach sagt, das ist Teil Russlands und das haben wir jetzt einfach so beschlossen. Weil in dem Fall halt hier Russen leben. Aber im Endeffekt ist das eben so ein alter Zivilisationsbegriff eigentlich. Diese russische Welt, das versteht sich ja nicht in einem nationalen Kontext wie jetzt, weiß ich nicht, die französische, würde man nicht sagen, französische Welt würde man nicht sagen. Aber sowas wie die römische Welt, das würde man halt schon eher sagen. Es ist halt so ein sehr vager und immer erweiterbarer Begriff, der natürlich wunderbar ja auch genutzt werden kann, um so eine expansive Außenpolitik zu untermauern, was ja gemacht wird.
[00:46:28] Martin Sehr bequem natürlich, wenn der so flexibel ist, dann kann man da alles und nichts drunter fassen.
[00:46:33] Ralf Genau so ist es. Und das ist ja das große Problem mit nationalen Mythen, dass man die so oder so bewerten kann. Und in dem Fall hat, also das hat man in Russland eigentlich jetzt seit Jahrhunderten sich wunderbar zurechtgelegt, dass es da sehr viele Anhaltspunkte gibt, die für viele Leute, wenn man russisch geprägt ist, sage ich jetzt mal, vom Schulwesen und Aufwachsen her, konsequent und logisch erscheinen. Und deswegen ja auch diese Ausführungen, die dann Putin im Fernsehen vorträgt über die Geschichte und angebliche Nicht-Geschichte der Ukraine, das verfängt auch zu guten Teilen, weil eben diese innere Logik und dieser historische Werdegang, wie wir es jetzt versucht haben zu skizzieren, für die Leute nachvollziehbar ist und die das eigentlich konsequent finden.
[00:47:16] Martin Ich würde ganz gern nochmal auf diese Verbindung zur russisch -orthodoxen Kirche kommen, weil das ja eine Verbindung ist, die wir, glaube ich, gar nicht mehr so wahnsinnig auf dem Schirm haben, weil wir hier eben eine andere Geschichte haben. Und ja gut, also das Heilige Römische Reich der deutschen Nation ist 1800, ich glaube, drei dann auch zu Ende gegangen oder 1805 oder 1806. Und wir machen diese Verbindung überhaupt nicht mehr. Aber ich glaube, dieser Bezug auf Religiosität und eben das neue Rom ist, glaube ich, in Russland nochmal viel wichtiger und viel stärker auch präsent, weil eben die Religiosität auch noch viel inniger ist. Also das ist, glaube ich, ja nicht umsonst so, dass die Beziehung Putins zum Patriarchen von Moskau so ähnlich ist.
[00:47:59] Ralf Ja, ja, gerade der jetzige, also Kyrill, ist ja eigentlich einer der Hauptkriegstreiber auch. Also die sind sich sehr nahe. Und zumindest, gut, Sowjetzeit war natürlich ein wenig anders, aber seit den 90ern ist die Nähe zwischen der russisch -orthodoxen Kirche und dem Regime dann vor allem nach Jelzin, etwas, was es bei uns in der Form einfach nicht gibt. Das ist unvorstellbar. Und ist aber nicht unbedingt eine Besonderheit, die nur Russland hat. Auch die serbische-orthodoxe Kirche ist zum Beispiel auf einem ähnlichen Dreh. Also das gibt es schon hin und wieder, gerade in orthodoxen Kirchen, aber halt auch nicht überall. Aber ja, klar. Und das erklärt dann schon auch, warum für viele Leute eben diese Erzählungen vielleicht so viel innere Logik besitzen, weil das ja auch ihr gesamtes religiöses Grundverständnis miteinschließt oder das zumindest auch aus dieser Richtung quasi mit bestärkt wird.
[00:48:53] Marko Wobei man ja sagen muss, also mit dem religiösen Selbstverständnis war es ja über viele Jahrzehnte einer Sowjetunion nicht weit her. Da hat das keine Rolle gespielt. Was mich auch sehr wundert eigentlich, ist, dass dieses Russland, so wie es sich heute begreift, ja nicht mehr als Teil Europas begreift. Also als das römische Reich deutscher Nationen unterging, da war es im Kampf gegen Napoleon. Napoleon zog bis Moskau. Da hat man sozusagen gemeinsam Krieg gegen einen europäischen Gegner geführt, aber man hat sich letztendlich als eins betrachtet. Bis zum ersten Weltkrieg war es vollkommen normal, dass die russische Elite Französisch sprach und nicht irgendwie Russisch. Die haben sich auf Französisch meistens unterhalten und das war alles ein Teil Europas. Und dann kommen jahrzehntelang eines sowjetischen Staates, der das letztendlich von Europa doch sehr abtrennt. Und der natürlich durch den eisernen Vorhang zu einem ganz anderen Gebilde werden lässt, was uns doch viel, viel fremder ist, als es sagen wir mal vier, fünf Generationen einem Europäer Moskau oder Petersburg gewesen wäre. Da war das ein Teil von Europa. Aber mittlerweile ist es was komplett anderes. Ich glaube, so ganz eindimensional darf man es nicht sehen, dass man sozusagen alles auf die Waräger abschiebt, die mal einen Ausflug sozusagen nach Kiev gemacht hat. Und seitdem begreift man sich als was anderes. Ich glaube, diese Großmacht -Phantasien, die natürlich Putin auch hat, knüpfen ja auch an daran an dieses Selbstverständnis, dass man in Sowjetzeiten mal eine Weltmacht war. Und was gab es Schrecklicheres für diese Weltmacht, als von Barack Obama als Regionalmacht abgestuft zu werden. Und das sind, glaube ich, vielleicht eher so Dinge, die da eine Rolle spielen.
[00:50:42] Martin Ich glaube, das eine schließt das andere ja auch nicht aus. Das sind Dinge, die zusammenspielen.
[00:50:46] Marko Aber ich glaube, man muss sie mitdenken bei dieser ganzen Geschichte. Es ist, glaube ich, eine komplizierte Gemengelage.
[00:50:52] Ralf Ich glaube, ich will jetzt ungern für Vladimir Putin sprechen, aber so wie ich es einschätze, sieht er sich ja natürlich einerseits berühmtermaßen sogar in der Tradition von einem Stalin. Er sieht ja auch das Ende der Sowjetunion nicht wegen der ideologischen Seite, sondern wegen der Größe, als eine der größten Katastrophen der letzten 100 Jahre an, hat er auch selbst gesagt. Aber ich glaube, da endet es halt nicht. So wie Martin meinte, das ist halt vereinbar. Er sieht sich genauso in einer Tradition von Peter dem Großen. Und er sieht sich genauso in einer Tradition von Ivan dem Schrecklichen. Und wenn man jetzt ganz plakativ werden will, wahrscheinlich würde er nicht ganz abgeneigt sein, auch zu sagen, in einer Tradition von Konstantin dem Großen von Ostrom. Also das ist, glaube ich, alles relativ erweiterbar und alles irgendwo herleitbar in dieser merkwürdigen Gesamtlogik, die das russische nationale oder eigentlich imperiale, muss man sagen, Selbstverständnis über die letzten Jahrhunderte irgendwie sich aufgebaut hat.
[00:51:56] Martin Du sagst es: Imperiale, Nationales-Imperiale. Das ist so das, was mir eben auch so durch den Kopf gegangen ist, dass ich gedacht habe, na, eigentlich passt ja dieser Nationalbegriff gar nicht. Eigentlich ist es ein Imperium, wie das British Empire mit seinem Commonwealth, wie Österreich -Ungarn, was ja eben auch ein Vielvölkerstaat gewesen ist und sich auch nicht als Nation wirklich selber begriffen hat.
[00:52:19] Marko Also da… Wie das römische Imperium…
[00:52:21] Martin Das römische Imperium, ja. Also da gibt es viele Beispiele in der Geschichte. Das sind aber Staaten gewesen, die sich eben nicht als Nation wirklich begriffen haben. Österreicher, also die haben die Ungarn nicht als Österreicher begriffen oder Teil der österreichischen Nation, sondern des Habsburger Reiches.
[00:52:39] Ralf Wobei Österreichische Nation ist ja sowieso eine Frage.
[00:52:41] Martin Ja, gut, okay. Ist jetzt schon wieder der falsche Begriff. Also es eiert so ein bisschen hin und her. Und mir scheint, dass da irgendwie versucht wird in Russland da diesem Begriff Nation zusammenzunageln eben mit dieser Reichsidee, mit dieser imperialen Idee. Ist das… Stimmt das? Ist das so?
[00:52:57] Ralf Genau. Besser könnte ich es nicht sagen. Das ist meine Schlussfolgerung auch so in meiner Serie. Also ich ende da mit Russland, dass Russland per se, das was Russland auszeichnet jetzt in dem Geschichtsbild, das vorgetragen wird, nicht zuletzt eben von Putin, da passt diese Nationsidee nur sehr bedingt, aber sie wird trotzdem drüber gestülpt. Und da wird es dann kritisch: Sie bedienen diese imperiale Idee halt trotzdem natürlich mit Mythen, die wir jetzt ja in aller Länge da auch besprochen haben. Aber das Problem ist halt, dass wir auch andere und das halt schon eher klassisch-nationale Erzählungen haben, die die gleichen Geschichten halt für sich ganz anders interpretieren. Und da kommen wir dann zur Ukraine, wo die Kiewer Rus zum Beispiel als Vorgängerstaat der Ukraine und eigentlich nur der Ukraine gesehen wird, wo man jetzt sicher argumentieren kann, naja, ist eine fragwürdige Logik, aber wird dort halt so gesehen, also bis zu dem Punkt, dass in den 90er Jahren da teilweise Schulbücher verfasst wurden in der Ukraine, wo über irgendwelche Ereignisse im 11. Jahrhundert in der Kiewer Rus als Ereignisse in der Ukraine geschrieben wurde, ohne dass man da eine Begriffsunterscheidung gemacht hätte. Und das zieht sich halt dann immer weiter fort. Also natürlich diese Idee der Dreieinigkeit und so weiter, das wird von ukrainischer Seite eben genau nicht so gesehen. Und so reibt sich das halt. Und dann haben wir auf der einen Seite diese doch klassische nationalistische Erzählung aus der Ukraine, die dem russischen Narrativ, diesem Imperialen widerspricht und naja, also natürlich ist der Krieg jetzt nicht von russischer Seite deswegen und allein deswegen gestartet worden. Aber es spielt halt trotzdem eine Rolle und wird vor allem als Unterfütterung hergenommen. Und das ist halt das Problem, wenn man eine staatliche und oder nationale Identität auf Mythen aufbaut, die man so und so sehen kann.
[00:54:53] Martin Die sich dann gegenseitig auch noch widersprechen. Also ich glaube, was man daraus lernen kann, ist, dass es immer problematisch ist, einen Begriff, den eigenen Begriff von etwas, von so einem Gebilde, wie einem Staat oder einer Nation, auf frühere Gesellschaften und frühere Organisationen überzustülpen und dann zu sagen so, das ist quasi unser Ursprung gewesen. Ich glaube, das ist immer problematisch.
[00:55:17] Marko Aber das machen aber letztendlich ja fast alle. Also das macht…
[00:55:20] Martin Ja macht es nicht besser…
[00:55:22] Marko Das römische Reich auch schon, das sind ja die Nachfahren von Troja, die mit Aeneas den italienischen Stiefel plötzlich besiedeln. Es gibt einen ganzen Mythos zu. Ich weiß nicht, wie viel Verse. Und das sehen die ja bis zum Ende so. Das ist ja nichts Ungewöhnliches. Abgesehen davon muss man natürlich sagen, was macht eine Nation zu Nation? Jetzt, wo du so lange darüber nachgedacht hast, kannst du mir das vielleicht sagen. Also ich finde einen sehr sympathischen Zug an Goethe war, er hat wenig sympathische Züge, muss man sagen, aber ein sehr sympathischer Zug an Goethe war, dass er gesagt hat, wir brauchen eigentlich gar keine Nationen, wir bräuchten eigentlich eine gemeinsame Bildung und das reicht uns eigentlich, wenn wir sozusagen eine ähnliche Bildung. Aber was macht für dich eine Nation zu Nation?
[00:56:04] Ralf Also ich könnte jetzt – und damit kann ich mich auch eigentlich relativ gut anfreunden – Ernest Gellner ist so ein klassischer Wissenschaftler gewesen, der in den 80er-Jahren über Nationen schon geschrieben hat. Und er hat geschrieben, dass Nationalismus die Idee ist, die relativ neue Idee, dass der Staat deckungsgleich mit irgendeiner Form von ethnisch-sprachlicher Gemeinschaft sein soll. Und ich denke, das ist jetzt schon natürlich auf der persönlichen Ebene wenig greifbar, auf einer staatlichen Ebene glaube ich schon deutlich mehr greifbar, weil das ja dann plötzlich voraussetzt, dass durch Prozesse, die natürlich auch lang gedauert haben, zuerst eher von oben gekommen sind, so Staatsmodernisierung und so weiter, dazu geführt haben, dass eben etwas wie Württemberg nicht mehr wirklich tragbar war als ein eigenständiges Staatsgebilde, einfach weil die Erwartungshaltung sich so weiterhin verschoben hat, dass ein Staat für eine Nation da zu sein hat. Und eine Nation ist eine ethnische Gruppe, wie auch immer man die definieren will, meistens durch die Sprache.
[00:57:08] Marko Und ja, willkommen Österreich.
[00:57:11] Ralf Meistens durch die Sprache.
[00:57:12] Marko Das wollen wir doch gar nicht. Nein. Das ist doch bescheuert. Das kann doch nicht die Grundlage sein. Nur weil die Holländer unverschobenes Niederdeutsch sprechen, können wir die nicht einmarkieren. Die nehmen wir uns doch auch nicht. Das ist doch Quatsch. Das kann es doch nicht sein.
[00:57:29] Ralf Ja, aber leider ist das zu großen Teilen, wenn auch wir das nicht immer zugeben wollen, am Ende unserer heutigen Staatenwelt ist das immer noch ein wenig die Basis. Also wir verstehen eigentlich fast jeden Staat so. Und Staaten verstehen sich vor allem auch selbst so. Klar, in unterschiedlichen Ausprägungen, und du hast ganz am Anfang auch schon die USA und so reingebracht, da ist das alles anders gelagert, weil eben man weniger dieser ethnischen Marker halt einfach hat.
[00:57:57] Martin Ja, aber in der aktuellen Diskussion, bzw. in der aktuellen Lage, ist es ja so, dass die Regierung der USA sehr darauf hinwirkt, dass man eben zu einer Homogenität des Volkes wieder zurückkommt. Wenn es die denn jemals gegeben haben sollte, was ich sehr bezweifle, aber das ist dann eben weiß. So. Man ist weiß und man hat dann so einen seltsamen Kultur- und Sprachbegriff, Englisch wird gesprochen und eben nicht Spanisch. Und dann gibt es eben ein homogenes, nationales Volk. Das ist das, wo die nationale Rechte in den USA unter dem aktuellen Präsident auch wieder hin will.
[00:58:34] Ralf Das, was man dort als Wasp bezeichnet, White Anglo-Saxon-Protestants. Ja, schon. White nationalism nennt man es heute.
[00:58:44] Marko Das ist ja nicht sympathisch. Da war mir der Goethe sympathischer.
[00:58:49] Martin Ich glaube, wir müssen hier nicht über Sympathien sprechen. Ich persönlich kann komplett ohne Nationalstaat leben. Da hätte ich auch kein Problem. Da bin ich beim guten alten Geheimrat. Gar keine Frage. Die Frage ist aber, wie hat sich im 19. Jahrhundert und im 20. Jahrhundert das Selbstverständnis entwickelt? Und das ist eben auf dieser seltsamen Basis passiert. Und es ist, glaube ich, das ist der Kernpunkt. Es ist kein Naturgesetz, dass es so ist. Wir verstehen uns so.
[00:59:17] Ralf Man kann es wunderbar herleiten, wie es entstanden ist. Und das tue ich in der Serie auch. Weil natürlich die Treiber, zumindest am Anfang, sehr stark ja staatlich getrieben waren. Dass eben Staaten wie zum Beispiel Preußen, aber das ist gar nicht das beste Beispiel. Frankreich ist eigentlich ein deutlich besseres Beispiel. Aber auch das Habsburger Reich zum Beispiel. Die wollten ja moderne Verwaltungen aufbauen. Die wollten ein stehendes Heer haben, was es lange nicht gab. Die wollten Bürokratie haben. Die wollten die ganzen Fürsten da irgendwie loswerden und stattdessen eben ihre Beamtenschaft und so weiter. Und wenn man damit mal anfängt, Stichwort Aufklärung, dann kommt halt irgendwann der nächste Punkt. Dann kommt man an den Punkt, wo man merkt: Okay, wir haben jetzt dieses Stehende her. Brauchen wir eine Kommandosprache, okay, müssen wir uns festlegen. Die ist jetzt im Habsburger Fall deutsch. Wir haben jetzt eine Bürokratie, die muss ja auch in irgendeiner Form ihre ganzen Dokumente machen. Ist jetzt in dem Fall deutsch. Und dann, was ist das nächste? Dann brauchen wir natürlich Schulen, weil wir müssen ja diese Leute auch heranbilden. Dann haben wir jetzt staatliche Schulen, die dann wiederum Deutsch lernen. Und dann, irgendwann kam dann dieser Punkt, und da sind wir wieder bei Goethe, oder dann eigentlich eher den Romantikern danach, die dann das irgendwie verselbstständigt haben. Und dann kommen dann eben so Leute wie Herder und so und nehmen diese jetzt so entwickelte Sprache oder auch die Brüder Grimm und bauen das halt weiter aus bis zu irgendeiner Form von Gefühl. Und damit leben wir bis heute.
[01:00:45] Martin Ich glaube, es hat auch schlicht und ergreifend damit zu tun, dass ein solcher moderner Staat auch darauf angewiesen ist, dass dieses Gefühl vorhanden ist. Dass dieses Gefühl bei den Untertanen vorhanden ist. Weil sonst, wenn ich dann eben auch große stehende Armeen habe, ich brauche ja Leute, die für mich zur Not in den Tod ziehen. Und zwar nicht, weil sie irgendwas dafür kriegen. Sie sind keine Söldner, sondern es sind Leute, die überzeugt sind, dass das richtig ist, für diesen Staat, für diese Nation in den Krieg zu ziehen und zur Not auch eben das eigene Leben dafür zu geben. Also da brauche ich schon eine sehr starke emotionale Bindung an so eine Idee.
[01:01:26] Ralf Ja, und das ist ja das Faszinierende, weil das ist extrem schnell auch passiert. Also wenn man sich denkt, spätestens zum ersten Weltkrieg, man kann aber sicher schon früher Beispiele finden, waren massig Menschen bereit für diese Idee der Nation zu sterben.
[01:01:41] Martin Wie ist das denn in Russland? Da haben wir ja nun gesagt, es gibt da ein großes Gefälle zwischen Führung und dem Volk vielleicht auch irgendwo eben hinter dem Ural. Gibt es dieses nationale Gefühl, dieses nationalistische Gefühl, ist das etwas, was eben auch gefruchtet hat?
[01:01:57] Ralf Ja, da ist in Russland tatsächlich ein interessanter Fall, weil ich glaube, bedingt. Also ich glaube, dass es in Russland, nennen wir es mal lieber dann vielleicht patriotischen Kreisen, vielleicht ist das der bessere Begriff da, viel Loyalität zu dieser russischen Staatsidee und zu diesem russischen Ideal, zu dieser russischen Welt gibt. Und da hängt natürlich auch die Religion mit dran, alles, was wir besprochen haben. Aber so in der Reinform wie zum Beispiel in Deutschland oder Frankreich oder eben jetzt auch sogar den USA, Nationalismus mit dieser ganz klaren, auch irgendwie ethnischen Reinheit-Idee und so weiter, das hat glaube ich in Russland so nie ganz gefruchtet, obwohl es gleichzeitig schon eine Benachteiligung sicher gibt von verschiedenen Völkern aus Eurasien. Aber es ist halt schon was anderes.
[01:02:48] Marko Von den Warägern, die bei Kiev die erste Siedlung aufmachten, bis heute und bis zum Krieg in der Ukraine hast du uns jetzt einmal durch die Geschichte Russlands geführt…
[01:03:00] Ralf Das war jetzt wild. Ich hoffe, es war halbwegs zu folgen. Wie gesagt, ich bin da irgendwie seit Monaten drin versunken und ich bin mir gar nicht mehr sicher, wo man anfangen und aufhören soll.
[01:03:11] Marko Also wer das in ausführlicher hören will, dem sei noch mal genannt: Déjà-vu Geschichte, der Podcast von Ralf Grabuschnik.
[01:03:18] Martin Hört da mal auf jeden Fall rein. Wir verlinken das Ganze auch in unseren Shownotes natürlich. Dir erst mal einen ganz herzlichen Dank, Ralf, dass du uns heute die Geschichte der russischen Nation und der Nationswerdung und des Nationalismus erklärt hast.
[01:03:32] Ralf Liebend gern – und übrigens auch ein kleines, wie sagt man denn, ein sneak peek, weil wo die Folge bei euch erscheint, kam bei mir gerade erst die erste Folge dieser Serie raus. Und zu Russland kommen wir da erst in fünf Wochen. Das heißt, alle Geschichtsmacherhörer*innen, die sind hier eigentlich viel früher dran. Es ist unglaublich.
[01:03:54] Marko Welche Staaten nimmst du noch alle durch?
[01:03:56] Martin Es fängt an, oder die Folge, die jetzt schon draußen ist, wenn das hier erscheint, ist tatsächlich, was wir jetzt so angeschnitten haben, die Frage um die österreichische Nation und was das eigentlich ist. Dann machen wir die Schweiz. Und dann geht es schon Richtung Osten: Polen, Ukraine und eben zum Abschluss dann das Gegenstück, russische Sicht auf eigentlich dann auch den Ukraine -Konflikt. Also diese fünf Staaten / Beispiele.
[01:04:21] Marko Wenn euch diese Folge der Geschichtsmacher gefallen hat, dann …
[01:04:25] Martin Sagt es bitte allen Russen, Ukrainern, vielleicht auch Tschechenen.
[01:04:30] Marko Dem einen oder anderen Waräger, dem ihr auf der Straße begegnet.
[01:04:34] Martin Und wenn euch diese Folge nicht gefallen hat, dann sagt es uns.
[01:04:38] Marko Aber bitte auch nur uns unter www.diegeschichtsmacher.de. findet ihr alle Möglichkeiten, mit uns in Kontakt zu treten.
[01:04:45] Martin Und uns auch zu unterstützen bei Steady. Da können wir den einen oder anderen, die ein oder andere Unterstützerin noch gut gebrauchen. Ihr könnt kleiner oder großer Geschichtsmacher, kleine oder große Geschichtsmacherin werden, für 6 oder 12 Euro im Monat. Wir würden uns freuen. Und dann können wir auch noch viele von diesen Geschichtsmacher-Folgen für euch machen. Ralf Grabuschnik in Wien. Ganz herzlichen Dank. Ich sage danke.
[01:05:11] Marko Tschüss.
[01:05:12] Martin Tschüss.
[01:05:13] Ralf Ciao.
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