1. August 2025 - Kategorie(n): Allgemein, Podcast-Folgen
Wie wird ein echter Spion zum Held eines Kino-Klassikers? Welche Rolle spielt eine gewisse Litzi im Leben des jungen Cambridge-Absolventen Kim Philby im Wien der 30er Jahre? Was genau sind eigentlich Kim-Spiele und was haben die mit dem Autor des Dschungelbuchs zu tun? Warum treffen sich Agenten im Film wie im wahren Leben immer gerne auf Parkbänken oder verstecken sich in der Kanalisation? Und was wurde aus Litzi? Antworten findet ihr in diesem Podcast über das Leben des berühmtesten aller Doppel-Agenten. Kim Philby galt als Musterbeispiel eines britischen Geheimdienstlers und stand doch auf der Gehaltsliste der Sowjets! Teil eins dieses Podcasts erzählt, wie der Sohn aus einer englischen Diplomatenfamilie zuerst zum Kommunisten, dann zum Spion wurde.
Mit von der Partie ist Phillip Knightley, der Journalist, der ein Vierteljahrhundert lang versuchte, Philby zu interviewen. Es gelang ihm 1988, kurz vor Philbys Tod in Moskau. Aus dem Gespräch mit dem Top-Spion entstand sein Buch mit dem Titel: „Philby – KGB Masterspy“. Martin hatte das Glück Phillip Knightley vor seinem Tod in London zu treffen und zu interviewen.
Wichtige Links:
Als Experte hilft zudem Thomas Riegler, Autor Buches „Der Wiener Spionagezirkel. Kim Philby, österreichische Emigranten und der sowjetische Geheimdienst“. Mehr zu Philby und anderen spannenden historischen Spionagefällen veröffentlicht Thomas Rieglers in seinem Blog.
Hier entlang geht es zum Zeitzeichen, das Martin einst zum Thema machte: 1940. Kim Philby wird für den britischen Geheimdienst angeworben.
Wenn Dir diese Folge der Geschichtsmacher gefallen hat, dann… psssst – nicht weitersagen. Streng geheim. Und wenn nicht, dann sag es uns, aber auch wirklich nur uns. Unter…
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Die Geschichtsmacher sagen: Danke!
[00:00:06] Filmausschnitt „Der dritte Mann“ Holly Martins: Harry! Bist du es? Es ist aus, Harry, komm heraus! Es gibt keinen Ausweg! Harry Lime: Was willst du? Holly Martins: Gib doch auf! Polizist: Mr. Martins, zurück! Kommen Sie zurück! Zurück!
[00:00:21] Martin Da wars um ihn geschehen.
[00:00:23] Marko Mr. Martins, Mr. Martins!
[00:00:25] Martin Ja.
[00:00:25] Marko Wer es mit der Filmgeschichte hat, der könnte es kennen, dieses Stückchen Filmausschnitt. Es handelt sich um den Showdown von „Der dritten Mann“.
[00:00:34] Martin Jawohl, im Wiener Untergrund, im Kanalnetz 1949, Orson Welles als Harry Lime. Das war damals ein Welthit und ist immer noch ein Filmklassiker. Was damals allerdings niemand wusste und bis heute nur wenige, ist, dass es diesen dritten Mann tatsächlich gegeben hat. Bisschen anders als im Film, aber dessen Geschichte ist noch abenteuerlicher als die von Harry Lime.
[00:00:58] Marko Herzlich willkommen bei.
[00:00:59] Intro Die Geschichtsmacher. Von Autorinnen und Autoren des Zeitzeichens.
[00:01:16] Marko Herzlich willkommen. Heute betreiben wir wieder einmal Spionage und der Chef unserer Spionageabwehr heute ist der Martin, der diesen Filmausschnitt mitgebracht hat und mich damit überrascht hat. Natürlich hat er zu diesem Thema ein Zeitzeichen gemacht.
[00:01:31] Martin So ist es. Und zwar über den Meisterspion Kim Philby. Ich weiß nicht, ob den jemand kennt in Deutschland. In England, also in Großbritannien, ist er jedenfalls berühmt-berüchtigt.
[00:01:44] Marko Na ja, wenn du sagst, er war das Vorbild zu Harry Lime, wie kommst du darauf? Warum wird ein Filmheld abgekupfert aus der Realität? Und wie sind da die Verbindungen?
[00:01:54] Martin Ja, also da gibt es verschiedene Verbindungen, teils bewusst, teils zufällig. Zunächst mal ist es so, dass das Drehbuch zu Der Dritte Mann von Graham Greene geschrieben worden ist. Und Graham Green ist ein ehemaliger Geheimdienst-Mitarbeiter gewesen und ein enger Freund von Kim Philby.
[00:02:14] Marko Alias Harry Lime.
[00:02:15] Martin Alias, Harry Lyme.
[00:02:17] Marko Oder er hat dann sozusagen diese Geschichte von Kim Philby da in diese Figur hingeschrieben.
[00:02:22] Martin Ja, also im dritten Mann dreht sich diese Geschichte um einen Schmuggler, um einen Schieber, das ist Kim Philby nicht gewesen, aber dass die beiden Personen miteinander zu tun haben können, kann man vielleicht daraus sehen, dass die Hauptfigur Harry Lime eben heißt und dass Kim Philby mit bürgerlichem Namen, Kim ist der Spitzname, mit bügerlichem Namen Harold als ersten Namen trägt, also auf Harry.
[00:02:46] Marko Herold – Harry – OK. Und da wird also die Geschichte eines realen Spions hineingewoben in eine fiktive Geschichte, die im Wien kurz nach dem Krieg spielt, da geht es um Schiebung von – irgendein Medikament war es.
[00:03:01] Martin Von Penicillin.
[00:03:01] Marko Von Peniciillin, so war es, genau.
[00:03:03] Martin Also man darf sich da jetzt nicht zu eng dran halten. Eigentlich ist das, was Kim Philby da als Vorlage liefert, vor allen Dingen das aus einer Zeit, als er noch nicht im Spionagegewerbe tätig war, aber schon im Untergrund. Da ging es gerade so für ihn los. Wie das passiert ist, wie er nach Wien gekommen ist und wie dann später nach London und ganz viel später nach Moskau, das werden wir in den nächsten zwei Folgen erkunden. Ziemlich gewundene Wege.
[00:03:34] Marko Also es geht drunter und drüber, es ist offenbar sehr durcheinander und du hast dafür recherchiert für ein Zeitzeichen. Wie lange ist das her, dass du es machen musstest? Durftest, durftest…
[00:03:41] Martin Das Zeitzeichen ist noch gar nicht so lange her, aber ich habe vor über zehn Jahren schon mal einen Stichtag, das war früher die Kurzform des Zeitzeichens, was wir bedient haben – und für einen Stichtag habe ich recherchiert. Das war zu einer Zeit, als ich in London gelebt habe und da habe ich mich auf dieses Thema beworben. Und dann hab ich geguckt, was kann man denn zu diesem Kim Philby eigentlich machen? Und bei der Recherche bin ich dann auf das Buch von Phillip Knightley gestoßen. Philby KGB Master-Spy. Hier, da ist es. Also, hier, falls du mal reingucken möchtest. Ein ziemlich dicker Wälzer. Und, ähm…
[00:04:25] Marko Das hier vorne drauf, das ist er, ja?
[00:04:26] Martin Das vorne drauf, das ist er. Ich nehme mal an, dass das ein Foto ist, was Phillip Knightley selber gemacht hat von ihm, als er das Interview mit ihm gemacht hat, im Jahr 1988.
[00:04:37] Marko Da ist er dann, das muss man sagen, ein seriös dreinblickender, netter Herr der könnte auch neben uns wohnen und könnte mir sagen wir mal eine Zange leihen oder so.
[00:04:46] Martin Ja. Natürlich.
[00:04:46] Marko So einer ist das eigentlich: ganz normal gekleidet im karierten Hemd und irgendwie so einen blauen Pullover drüber.
[00:04:53] Martin Ja, da war er ja auch schon weit über 70 und hatte sich zur Ruhe gesetzt, wenn man das so sagen kann. Dieser Phillip Knightley hat diese ganze Geschichte, diese verworrene Geschichte von Kim Philby, aufgedröselt, um ihn, um den Agentenring, dessen Teil er war, nämlich der Cambridge Five, und seine Rolle eben als der dritte Mann, die ein bisschen anders zustande kommt, als man das nach dem Film vielleicht denken könnte.
[00:05:18] Marko Also es gibt einen Agentenring „Cambridge Five“.
[00:05:21] Martin Ja.
[00:05:21] Marko Das sind fünf Leute?
[00:05:24] Martin Richtig.
[00:05:24] Marko Und er ist der Dritte?
[00:05:24] Martin Ja, wieso das ist, da kommen wir dann im zweiten Teil drauf. Denn von diesen fünf sind erst mal nur zwei enttarnt worden. Und dann war die Frage, ob er der dritte Mann sei.
[00:05:37] Marko Ah!
[00:05:37] Martin Aber da kommen wir im zweiten Teil dazu, bleiben wir mal bei Phillip Knightley, der ist der einzige westliche Journalist gewesen, der jemals ein ausführliches Interview mit Kim Philby geführt hat. Der lebte damals noch in London, inzwischen ist er verstorben.
[00:05:54] Marko Also der Philip Knightly.
[00:05:55] Martin Der Philip Knighty und der hat dann mit Kim Philby einen Interviewtermin vereinbart. Dummerweise lebte der gerade in Moskau.
[00:06:06] Marko Es ist natürlich nicht so einfach, mit einem Top-Spion ein Interview zu vereinbaren.
[00:06:12] Martin So sieht’s aus. Und das hat auch etwas länger gedauert, um dieses Interview zu bekommen. Genau gesagt ein Vierteljahrhundert.
[00:06:19] Marko Das ist sehr lange.
[00:06:20] Martin Ja.
[00:06:20] Marko Also man musste warten, bis Kim Philby ein älterer Herr war, aus dem Agentengeschäft ausgetreten und sozusagen als historische Person sich hat interviewen lassen?
[00:06:31] Martin Ja, noch ein bisschen anders. Also, Phillip Knightley, du bist ja Journalist, so was Ähnliches. Versetz dich mal in die Lage eines Journalisten im Jahr 1963.
[00:06:44] Marko Ja.
[00:06:45] Martin Du arbeitest für die Sunday Times in London, renommiertes Blatt. Und gerade ist bekannt geworden, dass ein ranghoher britischer Geheimdienstmitarbeiter in Moskau aufgetaucht ist, der schon lang im Verdacht stand, ein sowjetischer Doppelagent zu sein. Kim Philby, dieser Name ist bekannt. Der Mann war mal Chef der britischen Spionageabwehr und wäre auch irgendwann mal fast Chef des MI6 geworden, also dieses Militärgeheimdienstes des legendären. Riesengeschichte, Riesenskandal. Und dein Redakteur gibt dir den Auftrag, mit diesem Kim Philby ein Interview zu machen. Was tust du?
[00:07:22] Marko Es ist ja nichts leichter als das. Sehr geehrter Herr Philby, ich habe gehört, Sie haben rübergemacht in den Osten. Ich komme Ihnen gerne nach und werde ein Interview mit Ihnen führen.
[00:07:32] Martin Ja, so ungefähr hat er das auch gemacht. Er hat einen Brief geschrieben an Herrn Philby.
[00:07:37] Marko An den KGB, weil wahrscheinlich die Adresse ist jetzt ja auch nicht so bekannt.
[00:07:39] Martin Genau, die Adress war nicht direkt bekannt. Deswegen musste man das dann über wahrscheinlich diplomatische Kanäle leiten. Und dann ist das an den KGB gelangt. Und postwendend ist dann eine Absage zurückgekommen. Das ist jetzt nicht wirklich überraschend.
[00:07:53] Marko Leider hat Herr Philby in diesem Jahr
[00:07:56] Martin Keine Zeit mehr. Ja. Ja. Und jetzt?
[00:07:59] Marko Ja, viele Möglichkeiten hast du ja nicht. Entweder du fährst nach Moskau, machst dich da total unbeliebt und dich lässt dich dann verhaften auf der Suche nach Kim Philby oder du schreibst halt jedes Jahr mindestens fünfmal einen Brief.
[00:08:11] Martin Ja, fünf hat er nicht geschrieben, aber er hat sich das zur Routine gemacht und hat jedes Jahr einen Brief geschrieben mit einer Interviewanfrage und das 25 Jahre lang ohne wirkliche Hoffnung auf Erfolg.
[00:08:25] Marko Hat er jemals irgendeine Antwort bekommen in diesen 25 Jahren?
[00:08:28] Martin Das hat mir Herr Knightley auch verraten.
[00:08:36] O-Ton Knightley (Englisch) 25 Jahre lang hat er sehr klar, wenn auch sehr höflich, nein gesagt. Und wir haben in unseren Briefen private Dinge ausgetauscht, Klatsch aus London, Rezepte – er kocht sehr gut indisch – aber ich hatte nie erwartet, ihn zu treffen, und diese jährlichen Briefe waren nur eine Art Routine für mich. Und zu meiner Verblüffung hatte ich plötzlich ein Telegramm, dass das Interview im Januar möglich wäre.
[00:09:08] Martin Also jedes Jahr einen Brief und darin haben sie allen möglichen Klatsch ausgetauscht und Rezepte haben sie ausgetauscht und Phillip Knightley sagt, dass er nie erwartet hätte, ihn zu treffen. Also irgendwann war das einfach nur so eine nette jährliche Routine. Und irgendwann hieß es dann, doch, im Januar 88 kannst du kommen.
[00:09:29] Marko Das ist ein bisschen seltsam. Vor allem hat er dann ein Telegramm bekommen. Nach 25 Jahren war es offenbar richtig dringend.
[00:09:34] Martin Ja, ob’s dringend war, weiß ich nicht. Aber natürlich ist es so, du hast ja eben schon gesagt, sowas läuft durch den KGB. Der KGB muss sowas genehmigen. Und natürlich muss der KGB da auch ein gewisses Interesse daran haben, nach 25 Jahren, dass dieser ehemalige Agent mit einem westlichen Journalisten spricht.
[00:09:55] Marko Ich meine mal, es ist eh jetzt schon wirklich sehr, sehr ungewöhnlich, dass der KGB den Brief überhaupt weiterleitet und das Philby überhaupt antwortet. Also normalerweise, sehr geehrter Geheimdienst, würden Sie gerade mal irgendwie diesen Brief an einen Ihrer Top-Spione weiterleiten mit der Anfrage um ein Interview und dann schreibt dieser Top-Spion zurück. Och nö, lieber lass uns ein bisschen Rezepte austauschen und übrigens: Was ist denn der neueste Klatsch in London? Das ist ja schon mal ganz nett.
[00:10:21] Martin Ja.
[00:10:21] Marko Und dann machen die so ein Geplänkel über 25 Jahre, was ja auch irgendwie putzig ist, aber dann plötzlich sagt er zu, warum nach 25 Jahren in Gottes Namen?
[00:10:30] Martin Ja, das ist nicht so ganz klar, warum der KGB plötzlich zustimmt. Ich habe Phillip Knightley natürlich auch danach gefragt und er konnte es nicht genau sagen, aber seine Vermutung war, dass der KGB sich schlicht und ergreifend gute Publicity von dem Interview versprochen hat. Man muss natürlich im Hinterkopf behalten, das war 1988, also 1987, 88. Und da wehte dann so langsam auch in Russland eben ein anderer Wind in der Sowjetunion.
[00:11:03] Marko Perestroika.
[00:11:03] Martin Und darüber hinaus gab es vielleicht auch noch ein, zwei andere Gründe, die schlicht und ergreifend mit dem schlechten Image des KGB im Westen zu tun hatte.
[00:11:12] O-Ton Knightley (Englisch) Da musste etwas herausspringen für den KGB, denn es musste natürlich meinen Besuch genehmigen. (…) 25 Jahre lang hatte ich ihm Interviewanfragen geschickt, immer hatte er Nein gesagt, und plötzlich sagte er Ja. Ich glaube, es gab einen Sinneswandel im sowjetischen Geheimdienst-Apparat, die glaubten, im Propaganda–Wettrennen zurück zu fallen. Solche Dinge wie James Bond und spannende Geschichten in den britischen und amerikanischen Geheimdiensten ließen den KGB schlecht dastehen. Sie wurden sich dessen bewusst, und entschieden: Wir lassen Kim Philby reden, und lassen ihn sein Leben und Motive erklären.
[00:12:02] Martin Ja, also im kalten Krieg nach wie vor trotz Perestroika natürlich der Wettkampf der Systeme, Sozialismus gegen Kapitalismus und da ist das Image wichtig, auch bei der Spionage und der KGB hatte wohl Angst, dass so Filmreihen wie eben James Bond den Osten schlecht aussehen lassen und deshalb haben sie wohl beschlossen, wir lassen Kim Philby reden, denn in seiner Geschichte sah wiederum der Westen ziemlich blass aus.
[00:12:28] Marko Und weil er mindestens so gut aussah wie Roger Moore – also egal, also es ist ja schon lustig dass das eine ja fiktive Geheimdienstreihe, Filmreihe wie James Bond den KGB dazu bringen sollte, jetzt mal so einen älteren Herren auszupacken.
[00:12:47] Martin Ja, aber das ist natürlich so, dass es oftmals – und bei Geheimdiensten, glaube ich, noch mal doppelt – dass es oftmals nicht darauf ankommt, ob etwas wahr ist oder erfunden, sondern nur wie es wirkt. Und natürlich wirkt sowas wie James Bond. Also, die sahen sich im Hintertreffen und haben gedacht, na, den Philby schieben wir nach vorne und der hat es nun immerhin geschafft, den britischen Geheimdienst zu unterwandern, in höchste Positionen aufzusteigen, tausende hochgeheime Dokumente an den KGB zu liefern und zahllose britische und amerikanische Geheimoperationen zu sabotieren. Also das ist schon ziemlich peinlich gewesen für den Westen und dann ist das natürlich ein PR-Coup, wenn man so jemanden dann nach vorne schieben kann und sagen kann, ätschibätsch, guck mal, wir sind verdammt gut in dem, was wir machen.
[00:13:31] Marko Und dann hat sich Philip Knightley in die nächste Antonow geschleppt und… ist dann nach Moskau geflogen und…
[00:13:37] Martin Ich glaub, damals gab’s dann schon Düsenflugzeuge westlicher Art, die bis nach Moskau geflogen sind. Und er ist dann im Januar tatsächlich dorthin geflogen und hat am ersten Abend erst nur kurz mit ihm telefoniert und ist dann am nächsten Tag dorthin gefahren worden in die Privatwohnung von Kim Philby. Erstaunlicherweise in einer Limousine, nicht wie man’s erwarten würde, mit abgedunkelten Fenstern oder so, sondern das war relativ offen. Da hat er sich gewundert. Aber die sind natürlich tausend Umwege gefahren, sodass er relativ schnell die Orientierung verloren hat und nicht mehr sagen konnte, wo der jetzt gewohnt hat. Aber irgendwann stand er vor der Tür des größten Spions des zwanzigsten Jahrhunderts.
[00:14:17] Marko Wie hat der so gewohnt?
[00:14:19] Martin Er hatte wohl eine großzügige Wohnung in einer modernen, wahrscheinlich Plattenbau nehme ich mal an, aber in einem modernen Moskauer Wohnblock, großzüge Wohnung. Er hatte nicht Bedienstete, aber Leute, die für ihn Sachen organisiert haben. Und er hatte wohl relativ viele Freiheiten. Er konnte innerhalb des Ostblocks reisen, also er konnte nach Kuba fliegen, er konnte im Ostblock hin und her reisen und es ging ihm da für den durchschnittlichen sowjetischen Standard ging es ihm sehr, sehr gut.
[00:14:50] Marko So, und dann hat erst mal Phillipp Nightley vor der Haustür gestanden, Ding Dong, und dann macht er auf und sagt, hey Kim, ja hallo Phillipp.
[00:14:57] Martin Man kennt sich ja.
[00:14:58] Marko Sie kennen sich ja schon, die besten Rezepte wurden ja schon ausgetauscht und dann, ja was war der erste Eindruck?
[00:15:04] Martin Habe ich Ihnen auch gefragt.
[00:15:06] O-Ton Knightley (Englisch) Der Eindruck war: ein älterer englischer Herr aus der Mittelklasse, charmant, freundlich, sehr gewinnend – ein netter Kerl! Ich hätte ihn gern unter anderen Umständen kennen gelernt. Aber es gab immer dieses vage Gefühl, dass er etwas verheimlichte und nicht die ganze Geschichte erzählte.
[00:15:30] Martin Also ein älterer Herr, englische Mittelschicht, nett, freundlich, charmant, sociable, wie man so auf Neudeutsch sagt, der war damals 76, du hast ihn auf dem Foto beschrieben, aber Knightley hatte natürlich immer das Gefühl, dass er nicht alles erzählt.
[00:15:46] Marko Ja warum sollte er auch. Jetzt mal ganz ehrlich: Also vor allem muss man sich ja überlegen, warum will dieser Philby das überhaupt erzählen, also was treibt den sozusagen an. Ist er gezwungen worden? Musste der?
[00:15:59] Martin Nö, ne, ne, also das ist mehr oder weniger ausgeschlossen, der wollte schon erzählen, also er hat… Man muss sich diesen Philby vorstellen als so einen typischen englischen Gentleman und der hat diese Attitüde nie abgelegt.
[00:16:12] Marko Ein älterer Sean Connery?
[00:16:14] Martin Ja, älterer Sean Connery, vielleicht, so kann man sich ihn vorstellen, immer im Anzug und immer eben auch mit dieser englischen Haltung. Und der hat es einfach genossen, auch sich mit jemandem zu unterhalten in seiner Sprache, aus seinem sozialen Umfeld letztendlich, auch aus seiner sozialen Schicht. Der hat auch täglich das Kreuzworträtsel in der Times gelöst. Er hat die Times also nach Moskau geliefert bekommen. Der genoss es, sich mit jemandem zu umgeben, der eben…
[00:16:41] Marko Very british war.
[00:16:43] Martin Very britisch.
[00:16:44] Marko Wo ist er denn geboren?
[00:16:46] Martin In Indien. Kommen wir gleich noch zu, wie seine Biografie verlaufen ist. Aber er war sehr, sehr weltläufig und hat es einerseits genossen. Und auf der anderen Seite ist es aber auch so gewesen, dass er auch Druck hatte. Kann man vielleicht so sagen.
[00:17:04] Marko Druck in welchem Sinne?
[00:17:05] Martin Naja, das Problem ist natürlich, wenn du dein ganzes Leben lang als Spion gearbeitet hast, die ganze Zeit eine Maske tragen musstest, nie erzählen konntest, was du gemacht hast, weder deiner Familie noch deinen Freunden, dann ist das natürlich… und du warst erfolgreich.
[00:17:19] Marko Ich kenne das.
[00:17:19] Martin Sehr erfolgreich.
[00:17:20] Marko Ich kende das.
[00:17:22] Martin Bist du auch Spion?
[00:17:24] Marko Sonst bin ich ja nicht so erfolgreich.
[00:17:27] Martin Nein, aber dann ist das natürlich so, also, um Spion zu sein, muss man auch so gewisse Charaktereigenschaften an den Tag legen und auch so ein gewisses Selbstbewusstsein. Und wenn man dann natürlich irgendwann die Möglichkeit hat, seine Geschichte dann auch zu erzählen und von seinen Erfolgen zu erzählen …
[00:17:42] Marko Im weitesten Sinne Eitelkeit.
[00:17:45] Martin Das könnte man so sagen. So hat das auch Phillip Knightley gesehen.
[00:17:49] O-Ton Knightley (Englisch) Das ist sicherlich ein großer Teil. Er erhielt die Anerkennung, die er vorher nur im Geheimen bekam und konnte nun vielen Leuten – seiner Familie, seinen Freunden und Bekannten – erklären, warum er sich so verhalten hatte, und er konnte den Beifall der Geheimdienste genießen, die er so viele Jahre zum Narren gehalten hatte. Sie mussten endlich zugeben, dass er ein großer Spion war.
[00:18:22] Martin Ja, also Freunde, Bekannte, Familie und die gesamte Geheimdienst-Community musste endlich zugeben und uneingeschränkt zugeben, dass er eben ein großer Spion gewesen ist. Und das scheint so der große Antrieb, die Motivation von Kim Philby gewesen zu sein. Er konnte sich in der Öffentlichkeit rechtfertigen und zeigen, was er für ein toller Hecht war. Das reicht ja schon als Motivition.
[00:18:44] Marko Jetzt ist natürlich so ein bisschen das Problem, finde ich, wenn man aus diesem Milieu, das ja komplett geheim ist, erzählt, dann kann man ja auch sich was erfinden. Also dann kann ich ja erzählen, was ich will. Also wenn ich dir über mein Geheimdienstleben erzählen würde, Martin, dann würdest du mit den Ohren schlackern, wenn da nicht ein Kopfhörer drauf wäre. Also das kannst du dir gar nicht vorstellen.
[00:19:04] Martin Ja, aber genau das ist natürlich so das Problem im Spionage-Business, wenn man da so als Journalist dran geht. Also es ist ja Teil der Stellenbeschreibung, dass man die perfekte Tarnung auflegt, dass man eine Maskerade fährt, dass man die Lüge im Prinzip so als zweites Ego mit sich führt. Und das ist ein journalistisches Dilemma. Philip Knightley sagte, klar, natürlich wusste ich nicht, was Lüge und Wahrheit ist. Und ich konnte eigentlich nur niederschreiben, was Philby mir erzählt hat. Und meinen Lesern deutlich machen, wo er Zweifel am Wahrheitsgehalt hatte. Aber letztendlich konnte er ihm ein komplettes Lügenpaket auf den Tisch legen.
[00:19:39] O-Ton Knightley (Englisch) Einen aufrechten Spion gibt es natürlich nicht. Aber ich hatte das Gefühl, dass er so offen war, wie ich vernünftigerweise erwarten konnte.
Ich konnte nur das niederschreiben, was er mir sagte, und versuchen, den Wahrheitsgehalt einzuschätzen, gab meinen Lesern weiter, was ich bezweifelte, aber ich konnte ihn nicht daran hindern mir ein ganzes Lügenpaket aufzutischen, wenn er das wollte.
[00:20:13] Martin Also er hatte aber den Eindruck, sagt er, dass er so aufrichtig war zu ihm, wie er es vernünftigerweise erwarten konnte.
[00:20:21] Marko Das würde ich an seiner Stelle auch sagen. Sonst hat man als Journalist schlechte Karten.
[00:20:27] Martin Na ja gut, er hat natürlich Fakten gegengecheckt für sein Buch und eine Artikelserie ist natürlich in der Sunday Times erschienen und hat andere Leute interviewt dazu. Also hat versucht natürlich das irgendwie so weit klar zu ziehen, wie es irgendwie möglich war und die Fakten zu checken. Aber es bleibt natürlich trotzdem vieles im Unklaren. Was man allerdings sicher sagen kann, ist, dass Philby es definitiv nicht für Geld gemacht hat. Die Geheimnisse, die er verraten hat, hat er eben verratet, aber nicht verkauft. Und zwar aus Überzeugung. So hat er es zumindest Philipp Nightley im Interview erzählt. Vielleicht magst du es mal lesen.
[00:21:03] Marko Also ich bin jetzt der Spion Philby.
[00:21:06] Martin Ja.
[00:21:08] Marko liest Kim Philby Nachdem ich mich gut umgeschaut hatte, hatte ich bereits mit 19 entschieden, dass es den Reichen viel zu lange viel zu gut gegangen war und den Armen viel zu lang viel zu schlecht. Und dass es Zeit war, das zu ändern. Zu der Zeit waren die Armen in England wirklich ein anderes Volk. Die Frage war nicht, ob es ein paar von uns etwas besser hatten als andere. Für viele Arme war vielmehr die Frage, ob sie genug zu essen bekamen.
[00:21:34] Marko Der kann natürlich jetzt viel erzählen aus der Rückschau – aber der macht jetzt sein Leben auf. Schon mit 19 war ich Robin Hood und wollte eigentlich immer die Umverteilung und dass die Armen – den Reichen nehmen, den Armen geben.
[00:21:47] Martin Ja, und das mit seiner Herkunft, da kommen wir gleich zu. Also es klingt erst mal so ein bisschen eben als, ich leg mir hier diese Robin Hood-Nummer zu, um mich zu rechtfertigen. Aber es scheint tatsächlich so gewesen zu sein, also zumindest dieser Teil der Motivation. Das hat mir Thomas Riegler erzählt, mit dem habe ich gesprochen, das ist ein Wiener Historiker und Buchautor. Und der hat sich recht ausgiebig mit Kim Philby und seinen Motiven beschäftigt.
[00:22:14] O-Ton Thomas Riegler Kim Philby hat dieses Spiel im Schatten einfach zutiefst aufregend empfunden. Und es gibt einfach einen Menschentyp, der überhaupt erst unter diesem großen Druck zu Höchstleistungen dann sich aufschwingt. Natürlich auch gestärkt durch die politische Überzeugung, das darf man niemals vergessen, denn die Motivation Geld war niemals vorhanden, sondern es war einfach diese Kombination aus ideologische Überzeugung, aber auch diesen Wunsch einfach, diesen Nervenkitzel zu spüren, diesen permanenten.
[00:22:43] Marko So, so.
[00:22:47] Martin Ja, es ist manchmal relativ einfach, aber vielleicht ist es jetzt mal der Punkt, weil du eben schon nachgefragt hast, wo er denn eigentlich herkommt, wo er geboren worden ist, was das für ein Typ ist, um mal so ein bisschen in seine Biografie einzusteigen. Er stammt aus einem besseren Haus, kann man so sagen, aus einer Diplomatenfamilie.
[00:23:08] Marko Als hätte ich es geahnt. Es ist ja immer so: Kommunisten müssen reich sein.
[00:23:10] Martin Damit man es sich leisten kann. Ja, 1912 ist er geboren worden und zwar im indischen Punjab. Der Spitzname Kim, das ist jetzt auch schon wieder interessant, der stammt von einem Roman von Rudyard Kipling. Das ist der mit dem Dschungelbuch, das er geschrieben hat. Und Kim ist der Protagonist eines Jungen in Indien, der für die britische Kolonialmacht spionierte. Also da kommt schon mal der Spitzname her. Kim ist auch nicht der erste in der Familie, der sich vom britischen Geheimdienst anheuern lässt? Der Vater, Harry St. John Philby, ist einer der damals bedeutendsten Arabisten des Landes gewesen. Hat auch da gute Kontakte gehabt, hatte zum Freund Ibn Saud, das ist der Staatsgründer von Saudi-Arabien. Und war dann für das British Empire im arabischen Raum eben auch geheimdienstlich tätig, wie das so heißt. Also er war Spion. Er hat Spionage betrieben.
[00:24:06] Marko Die Leidenschaft für den Nervenkitzel lag also schon irgendwie in der Familie. Ich habe jetzt ja eine lustige Woche hinter mich gebracht. Ich wurde vorbereitet für Kriseneinsätze als Journalist. Und da spielt man sogenannte Kim Games.
[00:24:20] Martin Kim Games?
[00:24:21] Marko Ja, die sind genau nach diesem Buch benannt. Es sind sozusagen so Spiele, wo es darum geht, irgendwie dich an Grenzsituationen heranzuführen und dann dir Dinge zu merken.
[00:24:32] Martin Also Spiel im Sinne nicht von das macht Spaß, sondern Spiel im Sinne von das ist nicht blutiger Ernst.
[00:24:37] Marko Genau, du siehst zum Beispiel eine Entführung und musst dir jetzt merken, wirst hinterher befragt: Okay, welche Farbe hatte das Auto, wo lang ist es gefahren, wie sah der Fahrer aus, was für Klamotten hatte er an, wie ist die Person, was hat sie gemacht, bevor sie eingestiegen ist in den Wagen, so, welche Schuhfarbe und sowas. Und das wird so genannt. So, das lag offenbar in der Familie und danach ist das bis heute benannt, wenn man sich solche Dinge merkt und ein bisschen wie ein Geheimagent sich das irgendwo in sein Hinterstübchen einprägt.
[00:25:02] Martin Ja, ja, genau. Und dass das in der Familie liegt, das hat ihm natürlich später dann auch geholfen, Glaubwürdigkeit zu bekommen und seine Glaubwürdigkeit zu untermauern. Aber erstmal ist er auf die noble Westminster School gegangen in London. Also hat seine Kindheit, frühen Kindheitsjahre in Indien verbracht und ist dann aber eben nach London gekommen zur Westminster School, noble Schule. Elite Schule. Und danach hat er Geschichte und später dann Wirtschaftswissenschaft studiert am Trinity College in Cambridge. Also eine der beiden Elite-Universitäten, wenn du aus einem gewissen Stall kommst, sage ich mal, dann studierst du in England, halt entweder in Oxford oder in Cambridge
[00:25:44] Marko Und damit war klar, der Junge muss irgendwie Karriere machen.
[00:25:47] Martin Ja…
[00:25:47] Marko In irgendeiner Form, weil ist ja alles in die Wiege gelegt. Und wenn schon in der Familie angelegt ist, dass man ja Spion wird, dann könnte das ja…
[00:25:58] Martin Also er hat erst mal Wirtschaftswissenschaften studiert, aber dass aus ihm dann natürlich irgendein höheres Tier werden würde, das war schon klar. 1930 ist er da in Cambridge einem Guy Burgess begegnet.
[00:26:11] Marko Guy Burgess.
[00:26:12] Martin Guy Burgess, von dem werden wir gleich auch noch mehr hören. Auch der war Sohn der reichen britischen Oberschicht und der wiederum hat ihn für den Kommunismus begeistert oder zunächst mal für den Sozialismus. Und das war an einer Universität wie Cambridge damals schwer in Mode.
[00:26:30] Marko Reiche Säcke begeistern sich dafür, die Welt umzuverteilen, aber fangen bei sich selbst am wenigsten an. Total sympathisch.
[00:26:37] O-Ton Thomas Riegler Also der Kommunismus war damals eine Modeerscheinung in Cambridge unter den Studenten, weil er etwas Neues gewesen ist, etwas Modernes, weil er auch sozialen Wandel in Großbritannien selbst nämlich versprochen hat, man darf nicht vergessen, einige von Philbies Freunden waren homosexuell und damals mit der chemischen Kastration also bedroht und insofern war also das alte konservative Großbritannien für diese Leute ein Feindbild. Das hat natürlich auch einen zentralen Motivationsschub dafür dargestellt, dass man sich dann doch mit der Sowjetunion zusammengetan hat oder im Kommunismus einen Weg gesehen hat, dass man Großbritannien selbst verändern kann.
[00:27:21] Martin Also insofern eine attraktive Geschichte. Philbys Freund Guy Burgess war zum Beispiel schwul und ebenso wie Anthony Blunt. Und die beiden werden wir später dann eben wiedertreffen. Philby ist dann mit 19 der Cambridge University Socialist Society beigetreten.
[00:27:37] Marko Das ist so eine Sozialistenvereinigung unter Studenten.
[00:27:40] Martin Genau, ja so was wie der sozialistische deutsche Studentenbund in Deutschland. Und über seine Motivation hat er das hier geschrieben.
[00:27:48] Marko liest Kim Philby Mir wurde klar, dass es in anderen Ländern genauso böse lief wie in Britannien und dass ich Zeuge wurde, wie das kapitalistische System versagte. Deutschland war voll von Arbeitslosigkeit, der Faschismus auf dem Weg nach oben und der Arbeiterklasse ging es genauso schlecht wie bei uns. Die Sozialdemokraten waren wenig beeindruckend. In kritischen Momenten schienen sie einzuknicken, aber all die Zeit gab es eine solide linke Basis, die Sowjetunion. Ich war überzeugt, dass sie erhalten werden muss. Koste es, was es wolle.
[00:28:23] O-Ton Thomas Riegler Er ist total unter dem Eindruck gestanden von diesem großen Konflikt, der sich damals abzuzeichnen begonnen hat zwischen dem Faschismus und dem Sowjetkommunismus. Und der hat in Berlin 1933 gesehen antisemitische Ausschreitungen und hat gleichzeitig wahrgenommen, dass die Demokratien im Westen dieser Konfrontation nicht die nötige Aufmerksamkeit schenken. Und dass die Einzigen, die sich in Wirklichkeit dem Faschismus entgegenstellen, einfach die Kommunisten gewesen sind. Und das hat natürlich seine Sympathie von Anfang an in eine bestimmte Richtung gelenkt.
[00:29:01] Marko Naja, wir reden über eine Zeit des Hitler-Stalin-Pakts, der kommt ja auch bald.
[00:29:05] Martin Ja, das ist noch ein bisschen hin. Wir sind 1933 und in diesem Jahr war Kim Philby auch zu Besuch in Deutschland. Er war in Berlin und hat sich da umgeguckt und hat natürlich auch die Straßenschlachten und die Diskriminierung von Juden mitbekommen. Es gab da verschiedene Szenen in jüdischen Läden, wo man ihn von abhalten wollte, dort einkaufen zu gehen. Und er hat sich das aber nicht verbieten lassen. Und er hat jedenfalls gesehen, dass der Faschismus da ganz schwer auf dem Weg nach oben ist. Und hat in dem Kommunismus oder im Sozialismus zunächst mal, hat er eben eine Alternative gesehen. Er hat gesagt, so kann es nicht weitergehen, die konservativen Gesellschaften in Europa tun nichts dagegen und der Einzige, der dagegen anstinkt, ist der Kommunismus. Und das war zu der Zeit eben auch noch unschuldig, also Moskau war weit. Die Stalinisierung und die stalinistischen Verbrechen waren auch noch weit weg. Und natürlich auch der Hitler-Stalin-Pakt. Das war noch Jahre hin. Und wie gesagt, Moskau ist weit weg, in Berlin und in Rom kann man sehen, wie der Faschismus seine hässliche Fratze erhebt. Und man kann es auch in Wien sehen. Deswegen radikalisiert sich Philby weiter und richtet seine Augen dann tatsächlich erst auf Paris und dann auf Wien, wie er selber schreibt.
[00:30:26] Marko liest Kim Philby Am letzten Tag meines Aufenthaltes an der Cambridger Universität im Sommer 1933 entschloss ich mich Kommunist zu werden, aber ich wusste nicht, wie ich es umsetzen sollte und wandte mich an einen Dozenten, welchen ich sehr verehrte. Das war der Spezialist für die marxistische Ökonomie Maurice Dopp. Dopp gab mir ein Empfehlungsschreiben für eine marxistsche Gruppe in Paris, welche völlig legal und offen operierte. Diese wiederum vermittelte mich an die in Wien in der Illegalität operierende kommunistische Bewegung. In Österreich entwickelte sich eine kritische Situation und die illegalen Organisationen benötigten dringend Freiwillige.
[00:31:07] Martin Ja – und so macht er sich mit dem Zeugnis als Wirtschaftswissenschaftler in der Tasche in den Sommerferien 1933 auf nach Wien, um da den Sozialisten und Kommunisten bei der illegalen Ausreise aus dem Land zu helfen, wenn sie von der Polizei verfolgt wurden. Und in Wien braut sich da gerade eine explosive Mischung zusammen aus drei Komponenten. Erstens, es ist das Europäische Zentrum der Spionage. Das zweite ist, dass es das Zentrum der europäischen Exilkommunisten ist, vor allen Dingen der Russen. Und zum dritten marschiert Österreich da gerade strammwegs in den Faschismus, in den sogenannten Austrofaschismus, also diese österreichische Variante. Die erste österreichischen Republik ist Ende der zwanziger Jahre immer stärker in einer politischen Krise. Es gibt gesellschaftliche Spaltung, starke Polarisierung zwischen links und rechts. Beide Seiten stellen paramilitärische Verbände auf als Mittel der politischen Auseinandersetzung. Und das spitzt sich 1933 weiter zu. Das Parlament wird ausgeschaltet und der Bundeskanzler Österreichs agiert immer autoritärer mit Ermächtigungsgesetzen. Also letztendlich handelt es sich um einen Staatsstreich mit der Abschaffung von Parteien und Demokratie. Das Ganze nennt sich von da an Ständesstaat und ist so eine Art Klerikal-Faschismus nach italienischem Vorbild. Also die Kirche wird da sozusagen als Stütze des Staates herangezogen. Und 1934 wird das Ganze zu einem kurzen Bürgerkrieg führen, dazu aber gleich mehr. Also in so einer Situation haben es natürlich Sozialisten und Kommunisten schwer. Und von diesen Sozialisten gibt es in Wien reichlich. Es ist die Bolschewiken-Zentrale für Mitteleuropa. Die Prawda erschien jahrelang von Wien aus. Lenin und Stalin wohnten zeitweise in Wien.
[00:32:57] Marko Aber das ist ja schon ein paar Jahre her. Das ist schon ein bisschen länger her. Aber es ist eben eine Zentrale der Kommunisten und vor allen Dingen der europäischen Kommunisten.
[00:33:05] O-Ton Thomas Riegler Also Wien hat unter der Monarchie noch natürlich russische Exilanten mit offenen Armen empfangen, weil sie halt als antizaristische Kraft auch begriffen worden sind. Das heißt, man hat den Feind des Feindes natürlich beherbergt, ja, und deshalb war zum Beispiel ein großer Prozentsatz also von wirklich Top-Kadern der Bolschewicki vor der russischen Revolution in Wien beheimatet. Und diese Funktion oder dieses Exil geben das hat sich dann auch weiter fortgesetzt in den 1920er- und 1930er-Jahren, dass eben Wien immer noch dieser Hub war für Exilanten. Und wo viele Exilanten vorhanden sind, da passiert auch viel Spionage.
[00:33:48] Martin Ja, und das ist dann eben der dritte Grund, weswegen Wien so explosiv war zu der Zeit. Das ist eine Spielwiese für die internationalen Geheim- und Nachrichtendienste. Und ist es ja im Prinzip bis heute. Und das lag nicht nur an den vielen Kommunisten und auch nicht daran, dass Österreich politisch sonderlich wichtig gewesen wäre. Kannst du dir vorstellen, was der Grund gewesen sein kann? Warum gerade Wien sich zum Spionagezentrum entwickelt hat?
[00:34:12] Marko Naja, es ist vielleicht auch so ein bisschen die Demarkationslinie zwischen dem faschistischen Systemen. Die Österreicher waren ja immer ein wenig hin und her gerissen zwischen dem Faschismus nach italienischem Bild und dem Faszismus nach deutschem Bild. Und bevor 38 die Übernahme war durch Adolf Hitler, kann ich mir vorstellen, hat man sich da getummelt.
[00:34:31] Martin Das war aber nicht so wirklich der Grund. Also einerseits hat es damit zu tun gehabt, dass es einfach geostrategisch prima gelegen war, so am Rand des Balkans sozusagen. Von da aus konnte man prima in Südosteuropa agieren. Und Wien eignete sich deswegen als operatives Zentrum bis runter nach Griechenland im Prinzip, aber auch nach Deutschland. Also man kam von da aus überall schnell hin. Aber noch ein wichtiger Grund, glaube ich, ist das…
[00:34:59] Marko Die Caféhäuser wahrscheinlich. Man hat sich in Caféhäusern treffen können und konnte da in seiner Wiener Melange geheimnisvoll rühren und sich treffen. Das war wahrscheinlich auch wichtig, wenn man Spion war.
[00:35:11] Martin Vermutlich hat das auch eine Rolle gespielt. Historiker Riegler kennt aber noch einen anderen Grund.
[00:35:15] O-Ton Thomas Riegler Die österreichischen Sicherheitsbehörden haben der Spionageaktivität, solange sie nicht gegen Österreich gerichtet war, in Wirklichkeit keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt. Das heißt, es war hier eine Art Duldung, auch von oben vorhanden, immer mit der impliziten Aufforderung natürlich, dass nichts gegen Österreich unternommen wird, dann würde man diese Duldung natürlich beenden. Und in den 1920er, 30er Jahren hat sich diese Bedeutung Wiens für die Spionage noch weiter verstärkt, weil eben der sowjetische Geheimdienst damals schon Wien zu einem Operationszentrum gemacht hat und auch der britische MI6 hat hier in dieser Stadt seine wichtigste Auslandsstation gehabt und das war natürlich auch ein Anzeichen dafür, welche große Bedeutung einfach die Stadt schon damals im Spionagegeschehen gehabt hat.
[00:36:04] Martin Ja, also die Rolle Wiens im internationalen Spionagegeschehen, darüber hat Thomas Riegler ein ziemlich spannendes Buch geschrieben, wie ich finde, der Wiener Spionagezirkel: Kim Philby, österreichische Immigranten und der sowjetische Geheimdienst. Wer sich für die Geschichte der Spionagen interessiert, die bibliografischen Angaben, die packen wir in die Episodenbeschreibung. Und darin wird dann natürlich auch untersucht, der Titel verrät es, was genau Kim Philby eigentlich in Wien gemacht hat.
[00:36:31] Marko Also, okay, wir haben gelernt: Wien, das heiße Pflaster der 20er-, 30er-Jahre, wenn es darum geht, sich spionagetechnisch zu betätigen. Faschisten, Kommunisten, alles dabei. Spionage liegt da nahe. Und jetzt kommt da der Kim Philby hin, auf Empfehlung sozusagen. 1933, mit seinem Rucksack, voll mit seinen wirtschaftswissenschaftlichen Büchern und sagt: Ich möchte jetzt Kommunist werden. Ich habe beschlossen, Kommunist zu werden. Hier bin ich. Wo kann ich helfen?
[00:37:03] Martin Genau, so sieht’s aus. Er kommt da also an und geht als Erstes zu einem Kontakt, den er da eben in Paris erhalten hat. Und dieser Kontakt schickt ihn zu einer vertrauenswürdigen, jungen Kommunistin.
[00:37:17] Marko Klar, die sah natürlich total scharf aus und hat auf ihn gewartet. Ja, nee.
[00:37:22] Martin Ich kenne keine Fotos von ihr, aber wie soll ich sagen? Also er soll bei ihr zu Untermiete wohnen. Na, sie ist vertrauenswürdig, so heißt es, und heißt Elisabeth Friedmann, genannt Litzi. Die Gute ist …
[00:37:39] Marko Litzi. Natürlich.
[00:37:40] Martin Ja, und sie ist 23 Jahre alt und Aktivistin der Comintern.
[00:37:45] Marko Mhm.
[00:37:45] Martin Der kommunistischen Internationale, die damals eben auch schon einen Geheimdienst hat. Und diese Litzi Friedmann ist, ob sie gut aussehend war, weiß ich nicht, aber offensichtlich sehr attraktiv und temperamentvoll. Und praktischerweise auch gerade geschieden.
[00:38:01] Marko Und ich höre im Hintergrund schon so dumm, dumm dumm.
[00:38:06] Martin Ja, ich kann ja auch nicht dafür, so ist es halt gewesen.
[00:38:09] Marko Klar, natürlich. Litzi.
[00:38:10] Martin Okay, Litzi. Also Litzi fragt ihn als Erstes, wie viel Geld er so dabei habe.
[00:38:14] Marko Gute Frage.
[00:38:15] Martin Und dann sagt er, Kim Philby, 100 Pfund, die hat er sich mitgenommen, weil er sagt, für ein Jahr Wien muss das mal reichen.
[00:38:22] Marko Ja.
[00:38:23] Martin Und Litzi überlegt kurz und sagt: 75 Pfund reichen auch, den Rest kannst du der Internationalen Roten Hilfe spenden.
[00:38:29] Marko Und hat es sich in den Ausschnitt gesteckt. So war’s doch.
[00:38:33] Martin Jetzt komm mal wieder runter von deinem…
[00:38:36] Marko Das glaubt doch alles kein Mensch.
[00:38:40] Martin Also, das ist historisch belegt. Also, was heißt historisch, belegt? Dieser Dialog vielleicht nicht, aber dass er da hingegangen ist und diese Litzi Friedmann kennengelernt hat, das auf jeden Fall. Und auf jeden Fall zieht er bei ihr jetzt ein und verbringt die nächsten Monate bei ihr und lässt sich engagieren für diverse Aktivitäten kommunistischer Untergrundarbeit. Und Litzi hat sich so daran erinnert.
[00:39:08] Marko Ich bin jetzt Litzi?
[00:39:08] Martin Du bist jetzt Litzi.
[00:39:09] Marko Oh, gut. Ich hab das… Wenn jetzt hier was raschelt, ist das das Geld in meinem Ausschnitt.
[00:39:16] Marko liest Litzi Friedmann Kim überbrachte Geld, das er und seine Freunde in Cambridge gesammelt hatten, um den Kampf der Arbeiter in Wien zu unterstützen. Sie dachten, in Wiene sei Revolution. Und in Wienen war Revolution.
[00:39:29] Martin Die resolute Art von Litzi, die hat Philby offenbar nachhaltig beeindruckt, aber umgekehrt er sie wohl auch.
[00:39:36] Marko liest Litzi Friedmann Er war zwei Jahre jünger als ich und ich war schon von meinem ersten Mann geschieden und Mitglied der Partei. Er kam aus Cambridge, hatte gerade sein Studium dort abgeschlossen, war ein sehr gut aussehender Mann, benahm sich Gentleman-like und war dazu Marxist, eine seltene Erscheinung. Er stotterte, manchmal mehr und manchmal weniger und wie viele Menschen mit einem Handicap war er sehr charmant. Wir haben uns schnell ineinander verliebt.
[00:40:05] Martin Und so dauert es nur wenige Wochen und sie sind ein Paar wie auch Philby bestätigt.
[00:40:15] Marko Ach ich bin beide?
[00:40:16] Martin Ja.
[00:40:16] Marko Ich habe mich in mich selbst verliebt.
[00:40:18] Marko liest Kim Philby Ich mochte sie von Anfang an und wir haben zehn Tage. nachdem wir uns getroffen haben, eine Affäre begonnen. Obwohl die Basis unserer Beziehung zu einem gewissen Grad politisch war. Habe ich sie wirklich geliebt und sie mich. Ich wollte sie nicht verlassen.
[00:40:38] Martin Glaubst du alles nicht, ne?
[00:40:39] Marko Nein, ich doooch, glaube ich alles. Also im Zweifelsfall, nein, aber es klingt natürlich alles so stereotyp, ne?
[00:40:45] Martin Ja, klar. Es ist eine sehr stereotypische Geschichte.
[00:40:48] Marko Der junge Stotterer aus Cambridge kommt an und dann ist die 23-jährige Litzi, da steckt sich das Geld ein und sagt, zieh bei mir ein.
[00:40:58] Martin Sie sind zusammengeführt worden.
[00:41:04] Marko Ich zeig dir, wie Marxismus geht.
[00:41:05] Martin Es ist jetzt nur deinen dunklen, finsteren Gedanken zu verdanken. Ja, ja, doch, doch. Okay. Also, Philby zieht, wie gesagt, bei ihr ein und macht das, wofür er nach Wien gekommen ist, er engagiert sich für die kommunistische Sache. Und Litzi erinnert sich daran so.
[00:41:26] Marko liest Litzi Friedmann Er schrieb Pamphlete und sammelte Geld, wobei er sich später stolz daran erinnerte, dass die potentiellen Spender auf seinen englischen Akzent häufig mit überdurchschnittlicher Freizügigkeit reagierten. Ein Teil des Geldes wurde in Waffen investiert für den Fall, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Sozialisten kommen sollte.
[00:41:46] Martin Ja, und darüber hinaus hilft er dann bei der Beschaffung und dem Schmuggel von Nahrungsmitteln, Geld und Kleidung für Kommunisten, die in den Untergrund gehen mussten. Und er fungiert auch als Kurier zwischen Prag, Wien und Budapest für die internationale rote Hilfe bzw. für das Hilfskomitee für die Opfer des Faschismus. Und da hilft ihm sehr, dass er Brite ist – das schreibt er auch selbst. …
[00:42:12] Marko liest Kim Philby Ich konnte ihnen sehr aktiv helfen, da ich einen britischen Pass besaß. Sie haben wahrscheinlich keine Ahnung, wie renommiert ein britischer Ausweis zu jener Zeit in Ländern wie Österreich, der Tschechoslowakei usw. war, weil jeder annahm, dass ein britische Reisender entweder ein Lord oder ein Diplomat mit den Taschen voller Geld sein müsse. Es genügte, den britischen Pass zu zeigen, um überall Einlass zu bekommen.
[00:42:37] O-Ton Thomas Riegler Mit seinem Pass, den hat er wie eine Ikone vor sich her getragen und konnte damit durch alle Polizeisperren durch. Und das war natürlich ein wichtiges Asset, was er damit gehabt hat, denn er konnte dann also als Meldegänger eingesetzt werden, er konnte aber auch Hilfe organisieren. Er ist zum Beispiel zu einem britischen Korrespondenten eines Nachts gegangen und hat den gebeten, er möge doch einige Kleidungsstücke praktisch hergeben, damit er sie also Schutzbündlern geben kann, die dann die Kanalisation oder ihre Verstecke praktisch verlassen können, indem sie sich wieder zivil tarnen können. Und solche Sachen hat er in dieser Zeit durchgeführt.
[00:43:16] Marko Da geht es also schon in die Kanalisation von Wien, also das alte Filmmotiv…
[00:43:21] Martin Das kommt jetzt, das war dann allerdings schon Anfang 1934, da war der also schon einige Monate in Wien. Und da sind dann die Spannungen zwischen den Sozialdemokraten auf der einen Seite und den Faschisten auf der anderen Seite so stark geworden, dass sie sich in einem kurzen Bürgerkrieg entladen haben. Und in der Kanalisation haben sich dann eben Widerständler versteckt. Ja, das ist dann die Inspiration gewesen, später für den dritten Mann.
[00:43:51] Marko Wobei es da ja weniger um Kommunismus ging, sondern Harry Lime war ja ein dreckiger Kapitalist, der ja auch mit dem Leid anderer Menschen, nämlich mit dieser Krankheit, Geld gemacht hat, weil er ja diese Medikamente zurückgehalten hat.
[00:44:04] Martin Ja, ein ziemlich schmieriger Schieber ist das gewesen. Also, wie am Anfang schon mal gesagt, man darf sich da nicht allzu eng anlehnen, aber so einige Züge von Harry Lime und einige Motive, wie eben diese Kanalsituation, das ist eben das, was dann den Weg in das Drehbuch und anschließend in den Film gefunden hat. Wie eben diese Geschichte mit dem Wiener Kanalsystem, wo es dann zum tödlichen Showdown kommt. Also Philbies Aktivitäten sind da nicht ganz so spektakulär. Da wurde nicht geschossen im Wiener Untergrund, im Kanalsystem. Aber deswegen war das noch lange nicht ungefährlich, was er da gemacht hat. Und nach diesem Februaraufstand, der ganz schnell niedergeschlagen worden ist und die Sozialdemokraten, Sozialisten, Kommunisten im Prinzip komplett vernichtend geschlagen waren, war klar, dass Österreich für Kommunisten nicht mehr sicher ist.
[00:44:58] Marko liest Kim Philby Bundeskanzler Dollfuß hatte die Sozialdemokratie im Keim erstickt, die einzige Kraft, die gegen die Nazis in Österreich aufgestanden wäre. Viele Menschen waren sich sicher, dass sie bald an die Macht kommen würden. Das bedeutete, dass Litzi ins Visier genommen würde, eine Kommunistin, die zwei Wochen für kommunistische Aktivitäten im Gefängnis gesessen war und halb-jüdisch noch dazu. Ich entschied, dass ich ihr offiziell einen britischen Pass verschaffen würde, sie nach England bringen und wir die Parteiarbeit dort gemeinsam fortführen würden.
[00:45:29] Martin Tja, und wie verschafft man einen britischen Pass jemandem, der nicht britisch ist?
[00:45:33] Marko Ja, man heiratet natürlich. Das heißt, der schöne, stotternde Agent aus Cambridge heiratete die 23-jährige, gutaussehende, geldsammelnde Litzi und zieht mit ihr jetzt nach England.
[00:45:50] Martin Genau. Die beiden gehen nach London und von dort aus werden sie aktiv und zwar zunächst erstmal Litzi
[00:45:58] O-Ton Thomas Riegler Es ist sehr interessant, wenn man sich anschaut, wie schnell die Litzi Friedman den britischen Pass benutzt hat, den ihr der Kim Philby verschafft hat durch die Hochzeit. Also sie ist innerhalb kürzester Zeit nach der Hochzeit dreimal in die Tschechoslowakei gereist und da merkt man schon, dass dieser Pass natürlich auch etwas zu tun hat mit ihrer Tätigkeit für die Komintern. Das heißt, es wird wahrscheinlich beides gewesen sein. Also es ist natürlich eine sehr starke Verbindung zwischen den beiden gewesen, was beide auch in ihren Memoiren dann später bestätigt haben. Aber es war auch wichtig für die Arbeit.
[00:46:32] Martin Also, Litzi ist erst mal aktiv geworden, vor allen Dingen deswegen auch, weil sie bereits eine Menge gute Kontakte in London hatte, eben über diese Komintern, über die kommunistische Internationale, für die sie schon länger gearbeitet hat. Eine Freundin von Litzi, eine Edith Tudor, empfiehlt dann auch ihrem Führungsoffizier, dass man doch diesen Philby anwerben könnte.
[00:46:56] Marko Also Moment mal, Edith-Tudor oder Edith Tutor ist…
[00:47:00] Martin Eine Freundin von Litzi…
[00:47:03] Marko Britin?
[00:47:03] Martin Die aber selber kommunistisch aktiv ist.
[00:47:06] Marko In diesem Komintern? Und da hat sie einen Führungsoffizier.
[00:47:10] Martin Genau. Und dem schlägt sie vor, dieser Kim Philby, das wäre doch ein vielversprechender Kandidat. Und mit dem könnte man sich doch mal unterhalten. Und das tut dieser Führungsoffizier, das ist ein gewisser Arnold Deutsch. Und der kommt ebenfalls aus Wien.
[00:47:26] Marko Der Arnold.
[00:47:26] Martin Das ist so ein Wiener-Spionage-Zirkel.
[00:47:29] Marko Okay.
[00:47:29] Martin Und das erste Treffen zwischen Arnold Deutsch und Kim Philby findet 1934 wie statt?
[00:47:37] Marko In der Kanalisation von Wien?
[00:47:41] Martin Nein, wir sind in London.
[00:47:42] Marko Entschuldigung, ja, keine -Ahnung.
[00:47:44] Martin Wo trifft man sich?
[00:47:46] Marko Auf so einer Parkbank.
[00:47:47] Martin Genau! Auf einer Parkbank im Regionspark.
[00:47:50] Marko Und dann hat man so eine Zeitung mit einem Loch drin, wo man durchguckt.
[00:47:54] Martin Es ist viel Klischee, das ist so, aber ja, irgendwo müssen ja Leute wie Graham Green und James Bond-Autor Ian Fleming, müssen ja ihre Ideen irgendwo herhaben und das sind so die Vorlagen. Tatsächlich haben sie sich im Regionspark getroffen.
[00:48:09] Marko Mit der Zeitung von der Nase, so. Ja, gucken da durch.
[00:48:14] Martin So gehört sich das, jawohl. Und Kim Philby beschreibt diese Begegnung im Park so.
[00:48:21] Marko Litzi kam eines Abends nach Hause und sagte mir, dass sie ein Treffen für mich mit einem Mann von entscheidender Bedeutung arrangiert hatte. Ich fragte nach, aber sie nannte mir keine weiteren Details. Das Treffen fand im Regionspark statt. Der Mann nannte sich selbst Otto. Er war ein Mann mit einem ausgeprägten kulturellen Hintergrund. Er sprach lange, meinte, dass eine Person mit meinem familiären Hintergrund und Fähigkeiten mehr für den Kommunismus tun könne als die herkömmlichen Parteimitglieder oder Sympathisanten. Kurz gesagt, er schlug vor, dass ich für eine Organisation arbeiten sollte, die ich später als die OGPU identifizieren konnte.
[00:49:06] Martin OGPU, das ist die Vorläuferorganisation des KGB.
[00:49:10] Marko Ich erklärte meine eigene Haltung mit großer Sorgfalt und er verhörte sehr ausführlich. Er hielt sein Angebot. Und ich akzeptierte es. Seine ersten Anweisungen waren, dass Litzi und ich so schnell wie möglich Schluss machen sollten und ich jeden persönlichen Kontakt mit kommunistischen Freunden abbrechen sollte.
[00:49:34] Marko Was ja völlig klar ist, weil Otto hat doch was mit Litzi.
[00:49:40] Martin Du denkst immer nur in diesen Beziehungen.
[00:49:43] Marko Also, nein, aber das ist doch sehr naheliegend hier. Lass die Finger von den Mädchen und du machst Karriere…
[00:49:46] Martin Nein, nein, das sieht ein bisschen anders aus. Lernen wir gleich noch. Aber der Punkt ist natürlich, aus taktischer Sicht ist es verständlich, alle kommunistischen Kontakte zu kappen, um keinen Verdacht zu erregen. Wenn du in den Untergrund gehen willst und als Spion arbeiten willst, dann hälst du keine Kontakte zu der Seite, für die du spionieren willst, jedenfalls nicht offiziell. Aber es ist natürlich schon ein Ding, sich von der Frau trennen zu müssen, scheiden zu lassen, mit der man gerade erst ein paar Monate zusammen ist.
[00:50:15] Marko Das haben Sie ja nur wegen des Passus gemacht. Ja, das war ja nur eine kurze Liebe, eine Liebe unter Spionen.
[00:50:21] Martin Eine Affäre.
[00:50:22] Marko Das wissen wir doch, das kennen wir doch alle von James Bond. Da gibt es doch keine wirkliche und wahre Liebe, da gibt es nur Sex.
[00:50:29] Martin Ja, du bist so ein Romantiker, Marko. Was denkst du, hat er’s gemacht?
[00:50:34] Marko Natürlich hat er das gemacht. Karrieregeil, wie er war, hat er auf Litzi kein Auge mehr geworfen. Die ist mit Otto abgezogen und er in den Untergrund.
[00:50:46] Martin Aber es ist tatsächlich so, er hat ohne groß nachzudenken sofort gesagt: Wir müssen uns trennen. Litzi hat das dann auch tatsächlich eingesehen und hat im Namen der Sache zugestimmt. Aber das Ganze ist natürlich schon erstaunlich. Also Journalist Phillip Knightley hat Philby mal erzählt, wie er von einer seiner späteren Frauen gefragt wurde. Also der hatte mehrere.
[00:51:10] Marko Klar.
[00:51:10] Martin Wie er gefragt wurde, wie er sich entscheiden würde, wenn er denn wählen müsste. Zwischen ihr und seinen politischen Überzeugungen.
[00:51:18] O-Ton Knightley He told me one very revealing story about one of his wives who said to him one day, Kim, if you had to choose between me and your political beliefs, which would you choose? And he said, I looked at her in amazement that she should even bother to ask such a question, which is a pretty devastating blow to a loving wife, but that’s how devoted he was.
[00:51:44] Martin Also er hat sie offensichtlich in der Situation angeschaut, als sie gefragt hat – Ich oder deine politischen Überzeugungen? – und er hat sie völlig erstaunt gefragt, wie sie sich so etwas auch nur fragen könnte. Also da war für ihn überhaupt gar keine Diskussion. Und für eine liebende Ehefrau ist das natürlich niederschmetternd, aber er hat sich halt so der Sache verschrieben, sagt Phillip Knightley, dass für ihn das keine Frage war und eine Frage, die man ihm besser nicht stellt.
[00:52:12] Marko Na ja, es ist wie 007, der würde natürlich auch mitten im Koitus einer Frau ein Messer in den Rücken rammen, wenn es darum geht, das Vaterland zu verteidigen. Das kennen wir aus den Filmen, oder?
[00:52:23] Martin Ja. Und irgendwoher müssen die Filme es ja auch haben. Und die Romane, die die Vorlagen für die Filme sind. Also, Philby geht seinen Weg konsequent weiter und lässt sich von Arnold Deutsch für den späteren KGB rekrutieren. So hat er das beschrieben.
[00:52:36] Marko Unsere Treffen fanden immer in den Randbezirken Londons statt und meistens im Freien. Üblicherweise haben wir dann unsere Uhren mit Hilfe einer benachbarten Uhr synchronisiert, kamen zum Treffpunkt auf die Minute und wechselten mindestens drei Taxis auf dem Weg hin und zurück vom Treffen, um sicherzustellen, dass uns niemand folgte. Bei jedem Treffen wurden die Zeit und der Ort für das nächste fixiert. Im ersten Jahr habe ich sehr wenig beigetragen und Otto hat die meiste Zeit damit verbracht, mir das Handwerk zu erläutern, wobei er Sicherheit über allen Dingen betonte. Er hat immer wieder kleine Fallen für mich aufgestellt, um herauszufinden, ob ich wirklich jede Verbindung mit meinen kommunistischen Freunden abgebrochen hatte und ich dem Taxidrill folgte, etc. Eine meiner frühesten Aufgaben bestand darin, ihm eine Liste mit Details aller meiner kommunistischen Freunde in Cambridge zu geben. Das tat ich. Die Liste inkludierte Donald McLean, Guy Burgess, Scott Stevens, David Hadden-Quest, Tom Pateman und andere, die ich mittlerweile vergessen habe.
[00:53:43] Martin Für diesen Otto, also für diesen Agenten-Scout Arnold Deutsch, ist das natürlich super. Der kriegt eine ganze Reihe von möglichen Agenten frei Haus geliefert. Das fällt ihm in den Schoß. Und genau das ist sein Auftrag, solche jungen Leute zu rekrutieren, sagt der Historiker Thomas Riegler.
[00:54:02] O-Ton Thomas Riegler Ein Arnold Deutsch hat überhaupt diverse solche junge, begabte Studenten im Auge, weil nämlich die alle Aussicht auf glänzende Karrieren haben. Und wo werden also Agenten besser positioniert als in den Spitzen der Ministerien zum Beispiel und bei Behörden? Und sein Auftrag war da ganz eindeutig, macht Karriere, macht etwas aus euch und irgendwann einmal wird das ganze Früchte tragen. Und genauso ist es gewesen, also die Saat, die der Arnold Deutsch da ausgesät hat, die ist aufgegangen, nämlich in spektakulärer Art und Weise. Weil nämlich diese Cambridge Five, wo also Philby die meisten Namen selbst genannt hat, alles wie gesagt Cambridge-Abgänger, die haben nach und nach verschiedenste Institutionen durchdrungen. Also von der BBC über das Schatzamt bis zu den Geheimdiensten. Und das war natürlich für den späteren KGB ein unglaublicher Segen, wo er überhaupt nichts dazu tun musste in Wirklichkeit. Sondern diese jungen, überzeugten Kommunisten haben in Wirklichkeit diese ganzen Informationen ihm nachgeworfen, ohne dass man da großartig viel einschreiten musste.
[00:55:16] Martin Was natürlich wirklich frappierend ist, wie gezielt der KGB diese Rekrutierungen plant und über welche Zeiträume der KGB das plant. Denn erstmal macht der KGB mit dem Neuerwerb Kim Philby gar nichts. Vier Jahre nichts, fünf Jahre, sechs Jahre lang lautet sein einziger Auftrag, das Establishment unterwandern und ansonsten die Füße stillhalten. Und zwar so lange bis er gerufen wird. Und zwar immer in der Hoffnung, dass der britische Geheimdienst an ihn herantreten würde. Man weiß, sein Vater ist eben auch Geheimagent gewesen. Und wenn man das so überlegt, sie haben den rekrutiert und dann erst mal nur gewartet. Und das zeigt den erstaunlich langen Atem, den das sowjetische Spionagesystem hatte. Das meint jedenfalls Phillip Knightley.
[00:56:52] O-Ton Knightley (Englisch) Das zeigt den erstaunlich langen Atem, den das sowjetische Spionagesystem hatte. Er bekam sehr früh nach seiner Rekrutierung den Auftrag, mithilfe der Kontakte seines Vaters das britische Establishment zu unterwandern, und durch das Establishment und die Jobs, die sein Vater ihm verschaffte, hoffte man, dass der britische Geheimdienst an ihn herantreten würde. Sein lebenslanger Auftrag war, Agent des Secret Service zu werden, vielleicht sogar sein Kopf. Da war die unglaubliche Möglichkeit, dass der Kopf des britischen Geheimdienstes ein russischer Spion geworden wäre.
[00:56:54] Martin Also der KGB spekulierte darauf, dass einer seiner Leute Agent des britischen Geheimdienstes würde, auf Vermittlung des Vaters. Das war so die Hoffnung. Und man spekultierte darauf, auf diese unglaubliche Möglichkeit, sogar an die Spitze des Geheimdienstes zu gelangen. Und das begann 1940. Also sechs Jahre nach seiner Rekrutierung wird genau das passieren.
[00:57:22] Marko Jetzt müssen wir mal ganz blöd fragen: Kriegt der zwei Gehälter?
[00:57:26] Martin Haben wir schon darüber gesprochen: Für Geld macht er das nicht – also ich weiß nicht, ob es da irgendeinen Deal gab, irgendeine Bezahlung – wahrscheinlich für das, was er an Auslagen hatte schon, ob er tatsächlich so etwas wie ein Gehalt bekommen hat? Weiß ich nicht. Vermutlich nicht, weil sowas kann man ja im Zweifel dann auch nachvollziehen. also das müsste dann schon sehr geheim passiert sein
[00:57:48] Marko Wenn ihr erfahren wollt, was aus dem Kind von Litzi wurde, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits in ihrem Schoße trug…
[00:57:58] Martin Marko, hast du auch recherchiert und hast da Informationen.
[00:58:01] Marko Ja.
[00:58:03] Martin Dann braucht er die nächste Folge nicht zu hören, dann braucht er den nächsten Teil nicht zuhören, weil darüber reden wir nicht.
[00:58:08] Marko Ach so, schade. Ich dachte, es wird noch spannend, aber gut.
[00:58:13] Martin Es wird spannend, das kann ich dir versprechen. Da gibt es noch einige Windungen und Wendungen, die auch überraschend sind.
[00:58:20] Marko Wird Litzi noch mal vorkommen?
[00:58:22] Martin Nee, Lizzie ist…
[00:58:24] Marko auserzählt…
[00:58:24] Martin Mehr oder weniger, ja. Also es geht da um seinen Weg in den MI6, also in den britischen Auslandsgeheimdienst. Und wie er dann über Jahre und fast Jahrzehnte, fast unaufhaltsam, immer weiter nach oben aufgestiegen ist und niemand in seinem Umkreis Verdacht geschöpft hat. Und dann aber irgendwann halt doch.
[00:58:47] Marko Wenn euch diese Folge der Geschichtsmacher gefallen hat, dann…
[00:58:51] Martin Sagt es…
[00:58:52] Marko Psssst…
[00:58:52] Martin Bloß keinem.
[00:58:55] Marko Und wenn nicht, dann bitte nur uns, aber auch wirklich nur uns – unter:.
[00:58:59] Martin www.diegeschichtsmacher.de.
[00:59:02] Marko Da findet ihr alle Möglichkeiten, mit uns in Kontakt zu treten, auf natürlich geheime, wie auch ganz offizielle Art und Weise.
[00:59:09] Martin Ihr könnt auch einen toten Briefkasten benutzen für euren handgeschriebenen Brief und sicher sein, dass wir ihn dann nie wieder finden werden. Uns gibt’s wieder in zwei Wochen mit dem zweiten Teil von Kim Filby, den Meisterspion. Und bis dahin sagen wir Tschüs.
Die Geschichtsmacher © 2025 Herzog / Rösseler
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