11. April 2025 - Kategorie(n): Podcast-Folgen
Der Hamburger Hennig Brand ist im 17. Jahrhundert auf der Suche nach dem legendären Stein der Weisen. Mit Hilfe dieses „Lapis Philosophorum“ will er aus unedlen Metallen Gold gewinnen. Der Alchemist experimentiert zu diesem Zweck ausgerechnet mit seinen eigenen Fäkalien. Eines Tages kocht Hennig Brand in einem komplizierten Verfahren Urin ein, als es in der gläsernen Apparatur zu leuchten beginnt. Je stärker er den Urin einkocht, desto intensiver wird auch das magische Licht! Was aber ist das? Schon bald befindet er sich mitten in einem wirklichen Wissenschafts-Krimi – denn viele wollen ihm den leuchtenden Stoff abluchsen. Dass es die Straße, in der er diese Entdeckung machte, heute nicht mehr gibt, hängt ebenso mit der unheimlichen Wirkung dieses Stoffes zusammen wie die zahlreichen Unfälle, die immer wieder ahnungslose Strandspaziergänger mit schweren Verbrennungen ins Krankenhaus bringen.
Marko Rösseler erzählt seinem Kollegen Martin Herzog die Geschichte des Hennig Brand und seines rätselhaften Licht-Stoffes. Ebenso zu Wort kommen diverse Scharlatane, ein Universalgenie und der Medizinhistoriker, Apotheker und Germanist Dr. Dr. Thomas Richter.
Wichtige Links zu dieser Folge:
Hier entlang geht es zum Zeitzeichen, das Marko über Henning Brand gemacht hat.
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Die Geschichtsmacher sagen: Danke!
Transkript: Die Geschichtsmacher – Als der Stein der Weisen Feuer fing
[00:00:03] Martin liest aus Zeitung Achtjährige erleidet beim Steine- sammeln Verbrennungen.
[00:00:07] Marko Steht in der Süddeutschen Zeitung. Oder hier im Fokus. Guck mal.
[00:00:10] Martin liest aus Zeitung Heftige Verbrennung drohen. Experten warnen, Steine an der Elbe zu sammlen.
[00:00:16] Marko Und hier in der Welt?
[00:00:18] Martin Falscher Bernstein fängt in Hosentasche Feuer.
[00:00:21] Marko Was diese Unfälle mit dem Stein der Weisen und dem Urin eines Alchemisten aus dem 17. Jahrhundert zu tun haben, darum geht es heute bei.
[00:00:30] Intro: Die Geschichtsmacher. Von Autorinnen und Autoren des Zeitzeichen.
[00:00:50] Marko Das sind ja schon schlimme Dinge, wie ich dir hier mal zeigen kann. Also wenn du am Strand spazieren gehst und dann trittst du auf einen Stein, dann kann das am Ende so aussehen.
[00:01:00] Martin Iiih, das ist aber hässlich.
[00:01:01] Marko Das ist ein schlimm verbrannter Fuß, ne?
[00:01:05] Martin Also das kommt vom Spazierengehen am Strand. Also müssen wir hier auch vorsichtig sein.
[00:01:08] Marko Vielleicht, hier vielleicht nicht so, aber so was kann passieren. Oder das hier, Stein in der Hosentasche, das ist ein Oberschenk.
[00:01:15] Martin Oh, das sieht aber nach wirklich hässlichen Verbrennungen, ich würde jetzt mal als Nichtfachmann sagen, zweiten Grades oder sowas aus?
[00:01:22] Marko Sogar dritten Grades. Es gibt Menschen, die sind richtig ins Krankenhaus gekommen, die haben alle überlebt, das ist das Gute. Es gibt jetzt auch keine Statistik, wie häufig so etwas vorkommt, aber die Fälle häufen sich. Und man glaubt nicht, dass das tatsächlich mit dem Mann zu tun hat, um den es heute gehen soll, der im 17. Jahrhundert nämlich nach dem Stein der Weisen sucht.
[00:01:41] Martin Wir sind ja schließlich bei den Geschichtsmachern und das, was wir hier so treiben, muss ja irgendwas mit der Geschichte zu tun haben. Also was haben diese Verbrennungen beim Steine sammeln am Strand mit diesem Menschen aus dem 17. Jahrhundert zu tun? Du hast vermutlich darüber ein Zeitzeichen gemacht?
[00:02:00] Marko Richtig, ein Zeitzeitzeichen über Hennig Brand. Hennig Brand war ein Alchemist des 17. Jahrhunderts, der auf der Suche nach dem Stein der Weisen war. Was ist der Stein der Weisen? Das ist ja vielleicht die erste Frage.
[00:02:14] Martin Ja, Stein der Weisen: Ich glaube, da gibt es so unterschiedliche Vorstellungen, was das gewesen sein könnte. Also der Klassiker ist ja zu versuchen, aus irgendwelchen Alltagsstoffen Gold zu machen. Und das wird ja oft als sozusagen der Stein der Weisen verkauft. Das ist der Stein des Weisen aus irgendwelchen, ja, ich weiß es nicht, aus welchen Metallen, aus Nicht-Edelmetallen Gold zu destillieren oder alchemieren.
[00:02:41] Marko Also du findest ihn ja auch wieder in der modernen Rezeption bei Harry Potter oder…
[00:02:45] Martin Harry Potter und der Stein der Weisen.
[00:02:47] Marko Oder bei Indiana Jones. Der sucht ihn ja auch und findet ihn dann, glaube ich, irgendwo in einer ägyptischen Oase.
[00:02:54] Martin War der nicht auf der Suche nach der Bundeslade oder war das ein anderer Teil?
[00:02:57] Marko Das war ein anderer Teil. Also die Vorstellung von einem Ding, das irgendwie Unedles in Edles verwandeln kann, entsteht ungefähr im ersten, zweiten, dritten Jahrhundert nach Christus. Man weiß es nicht so ganz genau. Genannt wird er „Lapis Philosophorum“.
[00:03:17] Martin Wie? Der Stein der Philosophen?
[00:03:19] Marko Der Stein der Philosophes. Und die Philosophe sollten ja irgendwie weise sein, so ist es, ne?
[00:03:24] Martin Die einen sagen so.
[00:03:25] Marko Und in der Tat, also er soll sozusagen immer Unedles in Edles verwandeln. Also das heißt sowohl unedle Gedanken in edle Gedanken, aber auch unedle Metalle in Edelmetalle. Und dann kommt irgendwann tatsächlich diese Idee dazu, dass dieser Stein aus unedlen Dingen Gold herstellen kann. Das ist sozusagen die Hauptfunktion dann später. Im Prinzip ist er aber anfangs etwas, ein Ding, was Mangelsituationen geistiger wie auch materieller Art umwandeln kann in Situationen des Überflusses und des Glücks. Es konnte auch bedeuten, dass du mit diesem Lapis-Philosophorum, den natürlich dann alle gesucht haben, dass du auch Krankheiten heilen kannst. Es bestand sogar die Idee, dass er eine Art von Unsterblichkeit verleihen könnte, Wie dem auch immer sei.
[00:04:12] Martin Weiß man, wo diese Idee herkommt, wo die entstanden ist und was da vielleicht der Hintergrund ist?
[00:04:19] Marko Also das hat sicherlich eine religiöse Komponente gehabt am Anfang und die Idee, den zu suchen, kam auf über die Vorstellung, dass es ein Ding in der Natur geben müsste, was diese Fähigkeiten hat. Man muss es nur finden oder man muss es irgendwie herstellen.
[00:04:34] Martin Ja, und die Alchemisten waren aber dann wahrscheinlich eher an der praktischen Seite, also an der materialen, materialistischen Seite interessiert. Das heißt, weniger die mangelnden Gedanken, die in Überfluss verwandelt werden, sondern eher die minderwertigen Materialien, die dann zu Gold…
[00:04:49] Marko Beides, beides spielte eigentlich immer eine Rolle. Diese Verschiebung zum Materiellen hin ist eigentlich so ein Kind der Neuzeit. Also sozusagen der frühen Neuzeit, auch der Renaissance. Die Frage ist natürlich, wie könnte so ein Ding eigentlich aussehen? Also ist es ein Stein? Ist es eine Substanz? Es gibt ein schönes Zitat aus dem dritten oder vierten Jahrhundert, da streitet man sich so ein bisschen, von einem Zosimus von Panopolis.
[00:05:17] Martin Das hast du dir doch ausgetagt.
[00:05:18] Marko Nein, nein, nein.
[00:05:21] Martin Der Zosimus von Panopolis.
[00:05:22] Marko Der ist in der Tat in Ägypten geboren und der beschreibt den Stein der Weisen so.
[00:05:30] Martin liest Zosimus-Zitat Dieser Stein, der kein Stein ist. Dieses kostbare Ding, das ohne Wert ist. Dieses mehrgestaltige Ding, dass keine Form besitzt. Dieses unbekannte Ding, das jeder kennt.
[00:05:45] Martin Boah, klingt geheimnisvoll.
[00:05:46] Marko Ich finde es super. Man könnte es so bei Harry Potter einbauen, find ich.
[00:05:49] Martin Soll ich es noch mal raunender lesen?
[00:05:52] Marko Nein, das war schon in Ordnung. Ich glaube, das war raunend genug. Das gesamte Mittelalter durch wird es hunderte Labore geben, in denen nach dieser Substanz, nach diesem Stein, nach diesem Etwas gesucht wird. Und so entsteht eigentlich dann später unsere moderne Wissenschaft der Chemie. Früher nannte man es Alchemie. Die begibt sich auf die Suche nach dem Stein der Weisen. Heute ist das mit dem All weggefallen ist Chemie übrig geblieben. Aber es hatte diese Verbindung, dass es immer die Suche nach dieser göttlichen, tollen Substanz ist, das gibt es bis heute. Also wenn du zum Beispiel über Spiritus redest, dann heißt das ja einmal Spiritus, also Alkohol.
[00:06:35] Martin Ja, aber es gibt natürlich geistig Spiritus.
[00:06:38] Marko Es ist der Geist. In Spiritus sancti.
[00:06:40] Martin Genau.
[00:06:40] Marko Das sind noch mal Überbleibsel, die bis heute in der Chemie vielleicht eine Rolle spielen.
[00:06:46] Martin Wie haben die das gemacht? Man kennt das ja, man hat das so Hinterkopf: Ja, Alchemisten, die haben dann da irgendwelche Substanzen zusammengeschüttet und in irgendwelchen Tiegelchen gerührt und über Feuer gehalten. Und keine Ahnung was… War das reiner Zufall? Haben die einfach genommen, was sich da irgendwie geboten hat? Oder gab es da auch sowas wie eine Systematik, dass man gezielt gesucht hat? Wie kann man denn diesen Stein der Weisen finden, also eben, keine Ahnung, Blei zu Gold machen?
[00:07:13] Marko Na ja, es wird immer systematischer natürlich. Man probiert viele Dinge aus. Man weiß ja nicht genau, worin man ihn finden soll. Man probier viele Dinge aus und schreibt natürlich auch auf, was man ausprobiert. Es wird eine eigene Sprache irgendwann gesprochen. Aber das ist noch keine wirkliche Chemie, sondern es ist so eine Mixtur aus, ja, Gläubigkeit, Aberglaube und Wissenschaft. Aber es kommt teilweise ja auch etwas dabei raus. Also nehmen wir mal Porzellan zum Beispiel ist eine klassische Erfindung der Alchemie. Also hat es vorher zwar in China gegeben, aber ein Alchemist in Europa hat es dann irgendwann erfunden und in Dresden wurde dann plötzlich Porzella hergestellt.
[00:07:55] Martin Da haben die gesagt, auch, guck mal, kein Gold, aber immerhin schöne Untertassen kann man davon machen.
[00:07:59] Marko Und diese Suche nach Gold und diese ganze Wissenschaft der Alchemie spielt eigentlich bis in die Neuzeit, also bis die Moderne eine Rolle. Also der letzte Goldmacher, über den habe ich auch mal ein Zeitzeichen gemacht, war ein Trickbetrüger, Franz Tausend, der ist 1930 verurteilt worden. Aber der hat auch mit Betrügerei mit Goldherstellungen betrieben.
[00:08:20] Martin Aber ich weiß zum Beispiel, dass Newton, der ja nun als der Säulenheilige der modernen Wissenschaft gilt, als der Begründer der modernen Physik und der Rationalität an sich, der war im Nebenberuf auch Alchemist, also der hat auch alles Mögliche gemacht und war da eben im 17. Jahrhundert, wo er gelebt hat, auch wirklich noch fest verankert in diesem Glauben, Aberglauben halb wissenschaftlichen, vorwissenschaftlichen Bereich, zumindest was diese Alchemie betrifft.
[00:08:51] Marko Wenn wir jetzt diese Reise ins 17. Jahrhundert machen, wirst du auch auf Menschen treffen, die tatsächlich sehr wissenschaftlich unterwegs sind. Wir reden jetzt nicht von irgendwelchen Spinnern, sondern es ist der noch nicht widerlegte Glauben, dass man tatsächlich vielleicht Gold herstellen könnte. Und damit haben sich auch seriöse Wissenschaftler beschäftigt. Wobei Wissenschaft und Glaube, Religion damals ja noch nicht so getrennt waren, wie sie das heute sind. Wenn ich dich ins 17. Jahrhunder mitnehme, dann reden wir über einen Mann, der nennt sich Henning Brand. Henning Brand lebt in Hamburg und wir wissen eigentlich gar nicht so wahnsinnig viel über ihn. Er war offenbar vorher mal Soldat, ist aber dann irgendwie da aus dem Soldatendasein ausgetreten und hat dann eine Frau geheiratet, die sehr wohlhabend war und konnte sich sozusagen seinem Hobby widmen und das war die Alchemie. Das heißt so richtig sein Hobby war es nicht. Ich glaube er hat schon gehofft, dass er damit Geld verdient, aber er konnte jetzt erstmal forschen. Aber nicht allzu lange, dann hat das Vermögen seiner Frau offenbar durchgebracht und dann musste er in der Tat offenbar Geld verdient und hat sich dann also auch versucht mit der Goldherstellung. Die Frage ist natürlich jetzt, wo suchst du? Also wo könnte dieser Stoff, dieser Stein, wo könntest du ihn finden? Wenn das Zeug in der Lage ist, aus dem Unedelsten das Edelste zu machen. Wir haben das Wort ja schon benutzt, mit dem Urin eines Alchemisten. er sucht in der Tat in seinem Pipi.
[00:10:20] Martin Also das heißt, die Überlegung war, wenn wir das Edelste herstellen wollen, was aus dem Unedelsten kommt, dann muss ich mich erstmal auf die Suche nach dem Unedelsen machen, was könnte das sein und halt das, was der Mensch so ausscheidet, ist eben so mit das Unedelste, was man sich so vorstellen kann.
[00:10:38] Marko Das war vielleicht die Idee dahinter. Ich habe mich auch erst mal auf die Suche nach jemanden gemacht, der sich damit auskennt und bin sofort auf meine Alzbeck-Waffe gestoßen, den Mann, den ich immer anrufe, wenn ich irgendwie aus der Medizingeschichte was wissen will. Der Mann hat zwei Doktortitel. Den einen Doktortitel hat er in Medingeschichte und den zweiten Doktortitel hat der in Germanistik. Beides macht er nicht beruflich, sondern er ist Apotheker und betreibt eine Apotheke.
[00:11:05] Martin Ist vielleicht auch einträglicher?
[00:11:06] Marko Dr. Dr. Thomas Richter heißt er und der hat mir das mal erklärt, wie dieser Hennig Brant offenbar auf die Suche gegangen ist.
[00:11:14] O-Ton Thomas Richter Er hat tatsächlich in eigenen Körpersäften, in eigenen Körperausscheidungen ist er auf die Suche gegangen. Also er scheint ein sehr kreativer Mensch gewesen zu sein und hat dann eben den Stein der Weisen in seinen eigenen Ausscheidung gesucht, um natürlich Gold zu gewinnen. Das war immer das Ziel. Und die Alchemie ist natürlich auch nicht nur was Überhöhtes gewesen, sondern auch was sehr Materialistisches. Die Fürsten haben gerne Alchemisten an ihren Höfen beschäftigt, weil sie natürlich sich erwartet haben, dass einer Gold herstellt und das dann für den Staat oder für sein Fürstentum entsprechende materielle Erfolge dabei zu Buche schlagen.
[00:12:01] Martin Da mussten sich die Fürsten aber auch darauf einstellen, dass sie lange viel Geld dafür ausgeben, dass am Ende nichts rauskommt. Das war immer nur Hoffnung. Prinzip Hoffnung.
[00:12:09] Marko Ja, aber das können wir doch heute vielleicht auch. Also ich meine, man investiert…
[00:12:12] Martin …die ganzen Einhörner an der Börse, in die man investiert und wo in den meisten Fällen auch nichts bei rauskommt.
[00:12:18] Marko Ja, das kann passieren. Und manchmal ist halt das eine Einhorn dabei, was es dann tatsächlich durch die Decke gehen lässt, den Kurs, das kann passieren, es ist halt spekulativ. Wir wissen ja heute auch nicht, woran wir forschen sollen, damit wir Krebs besiegen, damit wir… also das ist… Forschung ist immer teuer gewesen.
[00:12:35] Martin Die Zahl, die ich im Kopf habe, das ist ja auch ein verwandtes Gebiet: In der Pharmakologie geht man davon aus, dass man von 100 Substanzen, die man als erfolgsversprechend betrachtet, von diesen 100 Subistanzen wird halt eine am Ende marktreif sein. Und vorher, bei den 99 anderen, sind dann schon viele, viele Millionen in die Erforschung und Erprobung geflossen, die dann halt einfach nix geben und dann in der Tonne landen.
[00:13:00] Marko So, und deshalb sind Medikamente so teuer. Klar, also der wirkliche Wert von Medikamenten ist ja oftmals sehr umstritten. Die kann man ja teilweise für ein paar Pfennige herstellen.
[00:13:08] Martin Ja, die Herstellungskosten sind meistens sehr gering.
[00:13:11] Marko So, und dementsprechend. Aber Forschung war teuer und deswegen hat sie auch damals an Fürstenhöfen natürlich stattgefunden, weil Fürsten natürlich Geld hatten. Er ist jetzt nicht an einem Fürstenhof, sondern er ist offenbar die erste Zeit Privatier und lebt vom Geld seiner Frau, aber er muss jetzt auch Geld verdienen, macht sich auf die Suche nach Gold. und kocht jetzt seine eigene, ja, letztendlich seinen eigenen Urin ein.
[00:13:33] Martin Das stinkt aber.
[00:13:35] Marko Ja, das könnte vielleicht der Grund sein, dass er das anders gemacht hat. Nämlich, dass es nicht stinkt. Vielleicht hat sich seine Frau beschwert. Man weiß es nicht genau. Auf jeden Fall hat er es nicht einfach eingekocht, so wie du einen Fond bei einer Soße einkochen würdest. Dann riecht es ja eher gut. Bei Urin würde es natürlich nicht gut riechen, wie du schon richtig sagst. Auf jeden fall macht er es so, dass das wahrscheinlich nicht stinkt. Nämlichen so.
[00:14:00] O-Ton Thomas Richter Also er macht Folgendes, er dampft diesen Urinrückstand ein, so wie wir das heute nachvollziehen können. Und das macht er unter Luftabschluss. Also ein Mann, der schon sein Handwerk verstand. Also es war kein Oxidationsmittel vorhanden, wenn sie unter Luftabschluss das durchführen.
[00:14:21] Marko Und das stinkt natürlich dann auch nicht. Also zumindest weniger. Ob es gar nicht gestunken – ich weiß es nicht.
[00:14:28] Martin Aber irgendwie muss er ja die, sagen wir mal, wenn das einkocht, das heißt, da muss ja Wasserdampf dann entstehen, das muss er irgendwie abgeführt haben. Das heißt, das war schon eine richtige Apparatur, mit der er das gemacht hat.
[00:14:37] Marko Ja, es gibt ein nicht zeitgenössisches, aber später entstandenes Bild von ihm, da sieht das Ganze so aus. Aber das ist wie gesagt nicht zeitgenössisch.
[00:14:49] Martin Ah ja, also das ist, so wie man sich das vorstellt, eine eher dunkle, vollgestopfte, kellerartige Hütte, in der er da steht, so, wie man sich einen Alchemisten auch vorställt, langer Rausche-Bart und dann so ein bisschen wie ein Weihnachtsmann sieht er aus. Und er hat einen Morgenmantel an und schaut da ganz gespannt auf das Ergebnis seiner Versuche oder seines Versuchs. Also es ist so eine Glaskokille, die er da vor sich hat.
[00:15:16] Marko Ein Kolben.
[00:15:16] Martin Ein Glaskolben, so ein Glaskolben.
[00:15:19] Marko Aber der ist ja offenbar an so einer Art Kamin auch angeschlossen.
[00:15:22] Martin Ah ja, richtig.
[00:15:23] Marko Also wahrscheinlich, weil seine Frau sonst geschimpft hätte, man weiß es nicht.
[00:15:25] Martin Dass die unangenehmen Gerüche dann auch direkt nach außen expediert werden und unten drunter ist, glaube ich, eine Flamme, die erhitzt den Kolben.
[00:15:35] Marko Jetzt, während er das also macht und seinen eigenen Urin reduziert, passiert etwas ganz Erstaunliches. Es beginnt nämlich in diesem Glaskolben ein seltsames Leuchten. Ein seltsames Leuchten, was – je weiter er einkocht – immer deutlicher zu sehen ist.
[00:15:53] Martin Gold.
[00:15:53] Marko Nee, Gold ist nicht.
[00:15:55] Martin Schade.
[00:15:57] Marko Aber es sieht aus wie so eine Art Salz. Und dieses Salz hat wohl offenbar irgendwie in der Dunkelheit – ja – geleuchtet.
[00:16:09] O-Ton Thomas Richter Und das war natürlich schon etwas Besonderes, ja. Und gerade die Alchemisten, die gern mit solchen Dingen wie Schwefel und Quecksilber experimentiert haben, waren natürlich überrascht oder begeistert, dass da was geblitzt hat, was geleuchtet hat. Und deswegen schien dem Brand bewusst gewesen zu sein, dass es jetzt etwas Besonderes gewesen ist, was er da entdeckt hat.
[00:16:32] Martin Etwas Besonderes, aber etwas, von dem man nicht weiß, was es ist.
[00:16:36] Marko Von dem man nicht weiß, was es ist. Aber was sich wohl auch, das ist das Nächste, wenn es ganz eingekocht ist, von selbst entzündet.
[00:16:45] Martin Oh, okay.
[00:16:46] Marko Also es fängt bei knapp über Raumtemperatur Feuer. Er nennt es erst mal, solange es nur leuchtet, kaltes Feuer, weil dann leuchtete es halt, aber es wird nicht heiß. Man muss es nur, wenn du es aber jetzt reiben würdest, dann würde es anfangen zu brennen. Was hat er entdeckt? War es der Stein der Weisen? War es eine Vorstufe des Steins der Weisens? Er weiß es nicht. Er weiß nicht, was es ist, aber es ist sehr eindrucksvoll. Und es ist zumindest mal eine Art, wie man Geld verdient. Also er zeigt das Gegengeld.
[00:17:21] Martin Okay, dann wird der Alchemist zum Showman und demonstriert das Einkochen und dann fängt das an zu leuchten und irgendwann zu brennen oder was auch immer.
[00:17:27] Marko Na, wie er’s macht, zeigt er natürlich keinem. Das ist schön geheim.
[00:17:30] Martin Er zeigt nur die Substanz.
[00:17:31] Marko Er zeigt die Substance und zeigt, wie die im Dunkeln leuchtet. Das spricht sich natürlich rum, er macht das erst in Hamburg. Aber irgendwann kriegen natürlich auch andere Leute das irgendwo mit. Und jetzt treten die Nächsten auf den Plan, die sich dafür interessieren. Das eine ist der Herr Kunkel, Johannes Kunkel. Der ist selber auch Alchemist aber auch Glasmacher. Und der erfährt von einem Freund, dass es da diesen Typen in Hamburg gibt, der dieses leuchtende Zeug herstellt. Und da er selber auch im Dienste eines Kurfürsten ist, nämlich dem von Sachsen, also ein Bestalter-Alchemist, will er jetzt erst mal gucken, was könnte das denn sein. Und macht sich also auf den Weg und reist nach Hamburg, um das Zeug zu sehen und ist erst mal wahnsinnig interessiert. Er will natürlich wissen, wie wird dieses Zeug hierhergestellt. Und vielleicht ist es tatsächlich der Schlüssel zum Stein der Weisen. Man weiß es nicht.
[00:18:24] Martin Und Herr Brand zeigt ihm das einfach?
[00:18:26] Marko Henning Brand ist erst mal ganz angetan davon, dass so ein weiser Mann von weit her kommt und ihn, der ja so ein armer, kleiner…
[00:18:34] Martin Amateur-Alchemist.
[00:18:34] Marko Amateur, naja, sagen wir… dass er da so einen hohen Besuch bekommt und der Kunkel versucht ihn auch so ein bisschen irgendwie einszulullen. Es gibt ein paar Briefe, die von dem Kunkel erhalten sind, da spricht er immer von vertrauter Herzensfreund, so wird er halt angesprochen, ne? Das wird sich später erst wandeln, aber der Kunkel …
[00:18:54] Martin Ich ahne schon was. Ja, es ist eine Geschichte, ja, auch über die Schäbigkeit von Wissenschaft und von Neid und Misskunst. Kunkel ist auf jeden Fall ganz begeistert und schreibt einem Freund. Johann Daniel Kraft heißt der, und der ist … auch Alchemist. Ein Kollege, ne? Aber der, dieser Kraft, der denkt sich so, ja, klingt irgendwie ganz interessant. Und trifft sich auch mit Henning Brand und kauft dem sozusagen das Rezept der Herstellung ab. Er bietet ihm 200 Reichsthaler und davon kauft er erst mal den gesamten Vorrat und wie man es herstellt.
[00:19:34] Martin 200 Reichsthaler? Das ist wie viele Badewannen kann man damit füllen?
[00:19:40] Marko Das ist ein ganz erklecklicher Betrag, aber nicht so viel, dass der jetzt ausgesorgt hätte…
[00:19:44] Martin …sich zur Ruhe setzen könnte.
[00:19:45] Marko Nee, das überhaupt nicht. Das entspricht so einem halben Jahresgehalt ungefähr von jemandem, der gut bestallt ist. Aber er sagt, und das ist das Schäbige daran eigentlich, ich meine, er hat es von seinem Freund und Kollegen Kunkel, er sagt: Dem Kunkel gibt es es aber nicht.
[00:20:03] Martin Lacht…
[00:20:02] Marko Also zwischen Kraft und Kunkel wird jetzt ein kleiner Streit darum entbrennen, wer den Henning Brand einkassieren kann und für sich gewinnen kann. Der Kunkel ist erst mal total enttäuscht, dass der Brand ihm das Geheimnis nicht verraten will. Der hat es jetzt ja schon seinem Kollegen Kraft verratet gegen Geld und schimpft ab jetzt über den Brandt. Nennt ihn Dr. Wurmbrand. Das ist eine ziemliche Gemeinheit eigentlich. Dr. Wurmbrand ist so eine Anti-Figur in der Zeit. Du kennst vielleicht Dr. Eisenbart?
[00:20:33] Martin Ja, klar.
[00:20:34] Marko Gibt’s ein Lied, ne?
[00:20:35] Martin Ja, ja. Ich bin der Dr. Eisenbart.
[00:20:38] Marko Wide-wide-wit-bum-bum.
[00:20:40] Martin Kurier die Leute auf meine Art. Wide-wide-wid-bum-bum. Also ein Quacksalber.
[00:20:45] Marko Und der Dr. Eisenbart des 17. Jahrhunderts war sozusagen der Dr. Wurmbrand. Gibt es auch ein Lied?
[00:20:51] Martin liest Dr. Wurmbrand-Liedtext Habt ihr vor Würmern keine Ruhe, lauft mir dem Doktor Wurmbrand zu. Ich schneid den Wurm, heil artig wieder, das wurmig Hirn und alle Glieder.
[00:21:03] Marko Ist so ähnlich wie Dr. Eisenbart. Wenn er ihn jetzt also Dr. Wurmbrand nennt, dann macht er sich über ihn lustig. Also von verehrtester Freund und blablabla geht es ganz schnell jetzt in die andere Richtung. Und beschimpft ihn also als Quacksalber. Aber Brand weigert sich tatsächlich, dem Kunkel sein Verfahren zu erklären und damit ist Fehde. Er weiß aber, der Kunkel, schon aus den ersten Gesprächen mit dem Hennig Brand, dass das irgendwas mit Urin zu tun hat, was er da hergestellt hat. Und irgendwas damit, dass man Urin destillieren muss, einkochen muss. Und er hat wohl offenbar auch diesen Destillierapparat, den ich dir eben da auch gezeigt habe auf dem Bild, den hat er wohl offen bar bei ihm gesehen. Und beginnt jetzt, wenn der Brand mir es nicht verraten will, dann versuche ich es halt selber, ob ich draufkomme, und experimentiert selbst und findet wohl irgendwie heraus, wie das mit dem Zeug und dem Herstellen von dem Zeugs geht.
[00:21:57] Martin Eigentlich ist ja ganz einfach.
[00:22:00] Marko Also ganz so einfach ist es nicht. Du musst jetzt schon auf die Idee kommen, dass du es unter Luftausschluss machst. Wir werden später noch dazu kommen, das es sehr kompliziert eigentlich sogar ist.
[00:22:10] Martin Also es ist nicht einfach, also nur weil es vielleicht stinkt oder so, also ohne diesen Luftabschluss funktioniert das auch gar nicht.
[00:22:16] Marko Nein. Und an alle da draußen bitte nicht nachmachen. Also jetzt nicht irgendwie in einen Kochtopf pinkeln, das Zeug auf dem Herd stellen und jetzt glauben, dass da so ein leuchtendes Wunderzeug rauskommt. Macht das bitte nicht, ihr werdet gleich noch erfahren, warum. Aber Kunkel schafft es irgendwie, sich so ein bisschen was von diesem Wunder-Zeug, diesem leuchtenden Wunderzeug zu besorgen. Vielleicht hat er es auch in der Tat vom Brand schon bekommen so ein bißchen, experimentiert dann weiter. So genau weiß man es nicht. Er gibt später auf jeden Fall selber vor, dass er es selber auch herstellen könnte und tingelt jetzt auch damit durch die Gegend und behauptet, das wäre medizinisch sinnvoll. Man könnte damit Krankheiten heilen. Und das ist letztendlich auch ein Irrweg in der Geschichte, denn wie wir später herausfinden werden, ist es nicht gut, wenn man es isst. Aber er geht damit zum Kurfürsten von Brandenburg und bewirbt sich dort, auch als Alchemist, er will die Stelle wechseln. Er war ja im Dienst beim Kurfürstens von Sachsen, jetzt möchte er sich aber woanders bewerben. Und da bewirbte er sich tatsächlich beim Kurfürsten von Brandenburg. Und da bewirbt er sich als Erfinder von diesem leuchtenden Zeug.
[00:23:21] Martin Ganz kurz, nochmal nur für meine Vorstellungskraft, wie muss man sich das vorstellen? Du sagst, das hat so ein bisschen so eine salzartige, also kristalline Form gehabt.
[00:23:30] Marko darauf an, wie weit du den Urin einkochst. Also es gibt ein Vorprodukt wohl offenbar, was auch schon leuchtet, was aber nicht so ganz kristallin am Kolbenrand absetzt. Das hat was eher Pastöses und dann gibt es diese Kristalle. Diese Kristalle neigen schon dazu, dass sie sich selbst entzünden. Das ist sozusagen die am reduzierteste, am eingekochteste Version. Dieses Pastöse kannst du dir teilweise auch schon auf die Haut schmieren und es passiert nichts.
[00:23:59] Martin Und es leuchtet so ein bisschen.
[00:23:59] Marko Und es Leuchtet ein bisschen, genau. Und mit diesem Leuchtezeug, das ist natürlich schon sehr beeindruckend, wenn man sowas hat. Also da bewirbt sich jetzt der Kunkel als Alchemist im Brandenburg und kriegt offenbar auch die Stelle. Eine Riesensauerei ja eigentlich, ne?
[00:24:13] Martin Ja, also das heißt, der erschleicht sich die Stelle letztendlich mit Zeug, was er selber nicht herstellen kann, aber irgendwo halt vielleicht von dem Brand bekommen hat.
[00:24:22] Marko Vielleicht kann er es auch herstellen, aber nicht so toll. Man weiß es nicht so genau. Da sind die Quellen sehr uneins. Was macht nun Kraft? Also der, der jetzt wirklich das Rezept hat, wie es geht und der auch von Brand den gesamten Stoff, den er bis jetzt hergestellt hat, mitgegeben kriegt? Der sagt: Pass auf, ich mach mich jetzt mal auf die Suche und gucke, ob wir einen Geldgeber finden und dann müssen wir in die Forschung ganz groß einsteigen. Jetzt tingelt dieser Kraft tatsächlich durch die Fürstentümer und preist diesen Stoff als „ignis perpetus“, ewiges Feuer.
[00:24:55] Martin Marketing ist alles, ne?
[00:24:56] Marko Ja, man muss gute Namen für das Zeug finden und hofft damit tatsächlich auch Gold herstellen zu können und sagt sozusagen, guck mal hier, das leuchtet schon. Das kann eigentlich nur so, entweder ist es die Vorstufe zum Stein der Weisen oder vielleicht ist er es auch schon. Wir müssen nur rausfinden, wie es geht. Wir müssen noch ein bisschen mehr forschen. Wir brauchen Geld.
[00:25:14] Martin Das ist im Prinzip nicht anders als heute auch, wo die Leute sagen, wir haben jetzt so ein bisschen was rausgefunden, aber wir wissen noch nicht genau wie und jetzt brauchen wir richtig Geld, damit wir auch das noch lösen können. Und dann haben wir es aber.
[00:25:28] Marko Wrackigerweise ist natürlich der Kraft jetzt auch nicht gerade so, dass er sagt, das hat der Brand erfunden in Hamburg, sondern er tingelt halt durch die Gegend. Also das ist auch eine kuriose Figur, dieser Kraft. Also der ist in Mieltenberg geboren in Franken, war dann Arzt lange im Bergamt in Zellerfeld im Harz und ist dann wirklich viel gereist, muss man sagen. Der war in Holland, der war in England, der aber auch in Nordamerika. Das heißt, der ist viel rumgekommen. Der ist auch eloquent. Und wenn der an einen Fürstenhof kommt, dann hört man dem auch zu. Das sind Qualitäten, die der Brand wahrscheinlich nicht gehabt hätte. So kriegt der Kraft, Doktor Kraft, wie er sich auch nennt, der kommt eine Menge rum und kriegt auch von dem einen oder anderen Fürsten schon mal ein bisschen was Geld zugesteckt, wenn er ein bisschen etwas von dem Zeug dalässt, was er natürlich dann bereitwillig macht. Natürlich gibt er dem Herrn Brand in Hamburg davon nichts ab. Der kriegt es ja auch nicht mit, weil er ist allein unterwegs.
[00:26:26] Martin Aber für die Fürsten, die dann dafür bezahlt haben, war das einfach so ein bisschen Kuriosum, Spektakel. Da ist so eine leuchtende Substanz, toll, wenn man davon ein bisschen besitzt.
[00:26:37] Marko Also man muss sich das schon so vorstellen, dass der Kraft da durch die Gegend zieht und der macht jetzt, der macht da schon eine Show draus. Also es gibt einen Bericht davon, wie das abgelaufen ist in Hannover. Dort residiert der Herzog von Braunschweig-Lüneburg, Johann Friedrich. Und vor Johann Friedrig macht er also auch so eine Präsentation von seinem Ignis Perpetuus. Vielleicht magst du mal lesen.
[00:27:01] Martin liest Leibniz-Zitat Dr. Kraft zeigte zwei Phiolen. In der einen war eine Flüssigkeit, welche in der Nachte beinahe wie die Leuchtwürmer beständig leuchtet. Und sehr angenehm ist es, dass sie diese Wirkung auch außerhalb des Glases vollbringt, wenn man sie auf irgendeinen Gegenstand bringt. Wenn man das Gesicht, die Hände und die Kleider damit bestreicht, leuchtete alles ebenso, was in der Gesellschaft des Nachts ganz hübsche Wirkungen hervorbringt. Dabei ist noch das Gute, dass die Kleider nicht davon verdorben werden. Aber es besteht dieser Unterschied, dass wenn diese Flüssigkeit auf irgendeinen Gegenstand außerhalb der Phiole angebracht wird, das Licht unmerklich in kurzer Zeit verschwindet und sich wie ein Rauch, der einen sehr starken Schwefelgeruch besitzt, zerstreut. In der anderen Phiole war etwas von demselben Stoffe, aber trocken. Dieser leuchtet nicht immer. Aber dafür wirft er von Zeit zu Zeit starke und glänzende Blitze. Kein Zweifel, dass ein großes Stück dazu dienen kann, ein ganzes Zimmer zu beleuchten. Aber man sagt, es sei schwierig, eines von beträchtlicher Größe herzustellen, weil, wie Herr Kraft sagt, die Zubereitung schwierig ist.
[00:28:19] Martin Also Blitze, Leuchten, ein ganzes Zimmer beleuchten.
[00:28:23] Marko #Tolles Zeug, oder?
[00:28:24] Martin Tolles zeug, super.
[00:28:25] Marko Würde man auch haben wollen.
[00:28:26] Martin Ja, kann man auf die Kleidung streichen, leuchtet, verdirbt die Klamotten aber nicht, super.
[00:28:29] Marko Stinkt ein bisschen.
[00:28:33] Martin Ja, ja, ja.
[00:28:33] Marko Das andere ist offenbar dieses Kristallinezeug, das wirft Blitze und fängt auch an manchmal zu brennen. Das sind also offenbar verschiedene Stadien dieses Zeugs. Wenn man jetzt daran weiterforschen würde, könnte man doch da was vielleicht erreichen? Man weiß es nicht.
[00:28:48] Martin Also ein Schwefelgeruch.
[00:28:50] Marko Ja.
[00:28:51] Martin Aber es ist nicht Schwefel.
[00:28:53] Marko Es ist kein Schwefel, nein. Der übrigens diesen Bericht geschrieben hat, den könntest du kennen. Gottfried Wilhelm Leibniz.
[00:29:00] Martin Ha, ich hab eben noch gedacht, als du den Namen des Herrschers von Braunschweig, wie war das?
[00:29:06] Marko Lüneburg.
[00:29:06] Martin Lüneberg genannt hast, dachte ich mir, das könnte doch auch in der Zeit von Leibniz gewesen sein.
[00:29:11] Marko Es ist genau in der Zeit von Leibniz. Und Leibniz nimmt sich jetzt diesem ganzen Phänomen an. Er ist hoch interessiert daran. Man muss kurz erklären, wer war Leibniz? Also eigentlich eins der letzten Universalgenies, dass wir kennen. Philosoph, Mathematiker, Historiker, Politikberater, alles Mögliche.
[00:29:27] Martin Wir haben eben über Newton gesprochen. Leibniz war sozusagen der Intimfeind von Newton, weil sie beide die Infinitisimalrechnung erfunden haben, beide auf ihrem eigenen Wege. Und dann war die Frage, wer war der Erste? Gab es einen großen Streit. Also das ist alles diese Zeit – Aufkommen der Naturwissenschaften, aber eben noch so mit halbem Bein im Aberglauben und mit halbem Bein tatsächlich in der Rationalität, in der Wissenschaft.
[00:29:52] Marko Nun unterhält Leibniz natürlich auch großen Briefkontakt. Ich glaube, es gibt niemanden, der so viel Briefe geschrieben hat wie Leibniz. Heute schreiben ja überhaupt nur noch Leute Mails. Aber allein von ihm sind, ich glaube, über 15.000 Briefer erhalten. Und aus diesen Briefen von Leibniz wissen wir eigentlich auch die meisten Dinge. die sich da so mit dem Herrn Kraft abgespielt haben. Und alles, was wir über das Leben von Hennig Brand wissen, wissen wir eigentlich aus der Feder dieses Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz. So, und der schafft es jetzt tatsächlich, diesen Dr. Johannes Daniel Kraft mal so ein bisschen auf die Seite zu nehmen und zu fragen, wie stellen wir das denn jetzt her? Also wir würden da schon ganz gerne einsteigen in dieses Geschäft. Wir finden das ganz interessant. Also auch mein Herrscher findet das ganz interessant. Und dann muss wohl Kraft sagen, ja, da gibt es einen in Hamburg.
[00:30:45] Martin Muss er die Hosen runterlassen.
[00:30:47] Marko Der weiß am besten, wie es geht. Und so kriegt Leibniz spitz, okay, eigentlich gibt es da einen Hennig Brand in Hamburg. Und was macht er? Er macht sich auf den Weg nach Hamburg.
[00:30:59] Martin Von Hannover nicht so weit.
[00:31:01] Marko Na ja, gut, damals schon eine ordentliche Reise, aber er fährt dahin und trifft also tatsächlich auf den Hennig Brand. Und der sagt ihm: Ja, er hätte ja nicht nur dieses leuchtende Mittelchen, sondern er stehe auch kurz davor jetzt Silber in Gold verwandeln zu können und wir könnten ja mal vielleicht irgendwie zusammenarbeiten. Ja, ja, ja kann ich mir schon ganz gut vorstellen. Und Leibniz schließt dann zunächst also in der Tat mit Hennig Brand eine Art Vertrag.
[00:31:29] Martin liest Vertrag zwischen Leibniz und Brand Herr Gottfried Wilhelm Leibniz, Hannoverischer Hofrat, hat auf Befehl seines gnädigen Herrn sich mit Herrn Dr. Brand in Hamburg folgendermaßen verglichen. Erstlich solle Herr Dr. Brand ihm sein Feuer samt anderen ihm bewussten Kuriositäten kommunizieren. Fürs andere solle Herr Dr. Brand mit ihm, Herrn Leibnizen, fleißig Korrespondenz pflegen. Und was er entweder zur Perfektion seines Feuers oder sonsten laboriere und entweder vor sich oder durch Kommunikation ander in diesen und anderen Dingen finden wird, fleißig und getreulich kommunizieren.
[00:32:10] Marko Ja.
[00:32:10] Martin Also das heißt, er soll forschen und alles, was er so an Ergebnissen findet, dann fleißige kommuniziere an den Herrn Leibniz.
[00:32:19] Marko Genau. Und dafür gibt es Geld. Tatsächlich. Darauf einigen Sie sich. Aber es ist so, dass da schon andere auch auf dem Plan stehen. Also, der Hennig Brand ist ja auch weiter in Hamburg mit dem Zeug tingeln gegangen. Und tatsächlich scheint da ein Herr Dr. Becher, der übrigens auch so ein bestallter Alchemist ist, diesmal des Herzogs von Mecklenburg-Güstrow, das liegt an der Elbe. Und der will ihm das auch abkaufen. Und jetzt muss Leibniz eine Entscheidung treffen, ne: Was macht er jetzt? Dass er ihm jetzt alle Geheimnisse da kommuniziert, darauf will er sich nicht ganz verlassen, sondern überlegt sich so, vielleicht kann ich ja meinem Dienstherrn so ein bisschen mehr Geld aus den Rippen leiern und wir holen den nach Hannover.
[00:33:02] Martin Also den Herrn Brand aus dem fernen Hamburg nach Hannover bringen, damit man ihm da auch auf die Finger gucken kann.
[00:33:08] Marko Ja, genau. Und deshalb schreibt Leibniz an seinen Dienstherren.
[00:33:12] Martin Außerdem habe ich ihm Hoffnung gemacht, dass Eure Hoheit ihn an seinem Licht und an seinem Prozess der Goldherstellung in Hannover werde arbeiten lassen, sodass er im Falle des Erfolges sich wohl gut dabei stehen würde. Auch ist dies das einzige Mittel, ihn daran zu hindern, seinen Prozess hier jedermann und vielleicht dem Dr. Becher zu verkaufen. Das möchte ich besonders deshalb nicht, weil Dr. Becher der Mann ist, um es in alle Welt hinaus zu posaunen und es allen Mächten der Erde zum Kauf anzubieten. Deshalb erwarte ich Befehle, ob ich ihn so schnell als möglich nach Hannover kommen lassen soll. Sein Licht…
[00:33:52] Marko Gemeint ist es das leuchtende Zeug?
[00:33:54] Martin Sein Licht allein verdient es schon, denn er hat mir gesagt, dass er bis zu einem Pfunde machen will, was sicherlich eine sehr wertvolle Sache wäre, wenn Euer Hoheit eine sehr große Quantität von dem Stoffe sammeln lassen will, den er nötig hat, nämlich Urin.
[00:34:15] Marko Genau.
[00:34:15] Martin Also, für eine große Menge von diesem leuchtenden Zeug braucht man auch eine große Menge Urin. Und die Blase des Herrn Brand ist dafür zu klein.
[00:34:24] Marko Na ja, und weil die Blase des Herrn Brand so klein war, haben sich Leibniz und sein Herzog in Hannover was ausgedacht. Und mein Experte, der Apotheker, Medizinhistoriker und Germanist Thomas Richter, der war schon ziemlich erstaunt, wie geschäftstüchtig da zu Werke gegangen wurde.
[00:34:40] O-Ton Thomas Richter Bevor der jetzt von anderen Fürsten abgeworben wird, wollen wir den hier in Hannover haben. Und da gab es einen grandiosen Plan. Also Leibniz war also tatsächlich nicht nur ein trockener Philosoph, sondern auch irgendwie unternehmerisch interessiert. Sie wollten tatsächlich im Harz eine Art Manufaktur bilden und haben zu dem Brand gesagt, du kriegst von uns 50 Tonnen Urin, also 50.000 Kilogramm Urin. dass du dann für uns den Stein der Weisen herstellen kannst und vielleicht ist es ja dann für uns die große Einnahmequelle oder vielleicht gibt es ja tatsächlich auch da noch Gold.
[00:35:21] Martin 50 Tonnen Urin, das ist eine ganze Menge. Wo findet man die? Also wo kriegt man die her, so in Summe?
[00:35:28] Marko Das Wort „Heer“ war schon gar nicht schlecht.
[00:35:30] Martin Vom Heer?
[00:35:31] Marko Also in der Tat, der Herzog von Braunschweig-Lüneburg, Johann Friedrich I., weist ab jetzt seine Soldaten an, nur noch in Behältnisse zu pinkeln und die Pisse auch aufzubewahren. Es wird jetzt tatsächlich in Hannover, es wird nämlich nicht der Harz – in der Tatsache, sie gehen also nach Hannover – vor den Toren der Stadt wird jetzt Pippi gesammelt.
[00:35:51] Martin Also Austreten im Gleichschritt, könnte man sagen.
[00:35:53] Marko So könnte man es sagen. Ich meine, es wurde ohnedies damals ja viel Urin gesammelt, denn Urin wurde ja auch benutzt zum Beispiel zum Färben.
[00:36:01] Martin Färben, Bleichen? Nee, Färben.
[00:36:03] Zum Färben, zum Gerben auch, bei Leder und so. Also man war ohnedies schon auf diesen Stoff angewiesen und er wurde eh nicht so, wie wir uns heute weggekippt, sondern der wurde schon verwahrt und jetzt wurde halt sozusagen für den großen Auftritt des Lichtbringers aus Hamburg Pippi gespart. Und so lässt er sich auch tatsächlich überreden und stellt diesen Stoff her. Und am Hofe entsteht jetzt also auch ein neuer Name für dieses Zeug. Es wird nämlich Lichtträger genannt. Lichttrräger bedeutet auf Griechisch Phosphor.
[00:36:36] Martin Ah, da haben wir es.
[00:36:38] Martin Auf dieses tolle Zeug, auf diesen Phosphor, diesen Lichtträger, werden jetzt auch tolle Gedichte geschrieben. Und weil der Leibniz ja ein Universalgenie ist, dichtet er auch. Und du darfst jetzt ein Gedicht von Leibniz über den Phosphor vorlesen.
[00:36:55] Marko Ein längeresa Gedicht. Okay, so…
[00:36:55] Martin liest Leibniz`Gedicht über den Phosphor Ein Feuer wie Phosphor ward nie gesehen / Es ist kalt und es kann im Wasser bestehen / Dann sieht es dem hellen Bernstein gleich / Einem Stein aus dem Mineralienreich.
[00:37:13] Martin Ei, ei, ei. Also, ein großer Philosoph mit dem Dichter, naja, gut.
[00:37:20] Marko Man muss jetzt zu seiner Ehrenrettung sagen: Das Gedicht ist eigentlich auf Latein und wurde dann im 19. Jahrhundert übertragen ins Deutsche. Aber auf Latein wollte ich es dich jetzt nicht lesen lassen. Also wahrscheinlich reimt es sich auf Latein schöner.
[00:37:33] Martin Schöner – OK. Na, dann machen wir mal weiter.
[00:37:33] Martin Okay, dann machen wir mal weiter.
[00:37:36] Martin liest das Leibniz-Gedicht über Phosphor Der Natur war der Phosphor sonst unbekannt / Ein Feuerkünstler ihn erst jüngst erfand. / Zum Schauspiel, oh Fürst, ist er dir beschieden / Sonst wäre er nie entdeckt hinieden. / Den Dingen teilt mit er sein Körperlicht / Bestreicht man mit ihm das Angesicht / So wird es leuchtend, und man geht einher / Wie Moses umgeben vom Flammenmeer.
[00:38:02] Marko Toll, oder?
[00:38:03] Martin Super!
[00:38:04] Martin liest Leibniz-Gedicht Zu stark bewegt von fester Hand / Gerät er voll Zorn gar leicht in Brand. / Doch ruhig liegend verbirgt er die Kraft / Kaum fühlt man die Wärme als Eigenschaft. / Sein Glanz nur zeigt, dass ihm Leben nicht fehle / Ein Sinnbild ist er der glücklichen Seele.
[00:38:25] Marko Toll, oder?
[00:38:25] Martin Nee, wats schön. Ach du lieber Himmel. Wunderbar. Nee, schön. Also das hat Herr Leibniz aber dann zum Glück auf Latein gedichtet. Dann versteht man’s nicht so.
[00:38:34] Marko Ja, ich habe ja eben schon gesagt, er war ein eifriger Briefeschreiber und von dieser tollen Erfindung des Phosphors, darüber korrespondiert er jetzt auch fleißig, und schickt also auch Proben rum, die sie jetzt da hergestellt haben, von frisch hergestellten Phosphor, zum Beispiel an den Physiker Heugens in Paris, der damals Studien über das Licht betreibt, aber auch dem Herzog von Chevreuse – mit dem Hinweis, ach man könnte sich doch mal so an der Forschung auch finanziell vielleicht beteiligen. Es könnte ja auch für irgendwas anderes noch Nutze sein. Da kommen übrigens die ersten Ideen auf, ob man vielleicht mit Phosphor auch Krieg führen könnte. Wäre vielleicht auch ein tolles Mittel, um eine Waffe herzustellen, so die ersten Dinge kommen da schon.
[00:39:14] Martin Ja, das ist ja immer interessant. Das ist dann immer so mit gleich die erste Anwendungsmöglichkeit, die einem einfällt: Krieg, super.
[00:39:20] Marko Ja, also all das kursiert jetzt schon.
[00:39:24] Martin Aber er schreibt Briefe und schickt da Proben sozusagen in alle Weltgeschichten. Der schreibt aber nicht rein, wie man es macht. Das behält er wahrscheinlich auch schön für sich.
[00:39:32] Marko Das behält er erst mal für sich. Genau. Es gestaltet sich ohnedies ein wenig schwierig. Der Hennig Brand muss ein etwas komplizierter Charakter gewesen sein. Also so ganz reibungslos waren diese ersten fünf Wochen, waren es nämlich nur, die Hennig Brand in Hannover verbracht hat, offenbar nicht. Und da Leibniz immer jemand ist, der auch an seinen Herzog dann Bericht erstattet, haben wir jetzt hier einen Bericht über die Charaktereigenschaften des Herrn Brand.
[00:40:02] Martin liest Leibniz Bericht an seinen Herzog über Hennig Brand: Dr. Brand hat nicht die Fähigkeit zu beurteilen, was er leisten kann, noch auch sich geltend zu machen. Nicht etwa, dass er nicht oft eingebildete und eitle Dinge redete, aber wie jeder Mann hat er seinen eigenen Charakter, nämlich er lässt sich leicht gängeln, hat eine geringe Urteilskraft und führt einen unregelmäßigen Lebenswandel.
[00:40:25] Was mag das wohl heißen?
[00:40:27] Martin liest Leibniz Bericht an seinen Herzog über Hennig Brand: Aber er ist rasch im Handeln und sehr geschickt beim Arbeiten. Kurz so, wie man ihn für eine solche chemische Sache brauchen kann. Ich bemerke oft, dass er sehr viel Lärm um Kleinigkeiten schlägt, aber nicht viel Leben aus Dingen macht, die es verdienen. Er sucht große Geheimnisse und Hirngespinste, aber er rechnet gar nicht auf seine kleinen Erfahrungen, die sein Leben besser gestalten könnten.
[00:40:53] Martin Also, schwieriger Charakter, sagt man, glaube ich.
[00:40:56] Marko Ein schwieriger Charakter – und in der Tat fühlt sich Hennig Brand auch in Hannover nicht besonders wohl. Also, ich sagte es ja eben schon, fünf Wochen ist er nur da. Und er ist der festen Überzeugung, der Herzog ist zu geizig. Er verdiene mehr Geld. Er selber schreibt: „Meine Haushaltung tue das Jahr nicht mit tausend Talern.“ Tausend Taler pro Jahr. Na gut, er hat eine reiche Frau geheiratet. Offenbar lebt er auch auf großem Fuße. Aber mal zum Vergleich: Herr Leibniz, und der ist ein Top-Wissenschaftler seiner Zeit, verdient 554 Taler im Jahr. Das ist die Relation.
[00:41:32] Martin Du hast eben gesagt: 200 Taler, was ihm mal angeboten worden sind, ist ein halbes Jahresgehalt.
[00:41:37] Marko Ja, ungefähr ein halbes Jahresgehalt von einem Herrn Leibniz, nicht von einem Schuster. Drum kam ich auch drauf. Also er rechnet jetzt vor, dass er eigentlich komplett unterbezahlt sei und dass er seine Frau und seine Kinder ja durchbringen müsse. Er scheint mehrere zu haben.
[00:41:56] Martin Das war der unstete Lebenswandel von vorhin.
[00:42:00] Marko Ich glaube, der unstete Lebenswandel bezieht sich eher darauf, dass er offenbar ganz gerne auch mal einen hebt. Also das berichten mehrere. Es gibt auch einen Brief von Kraft, wo das, glaube ich, drinsteht, dass er eigentlich ganz gern auch mit Spiritus zu tun hat. So, aber jetzt beschwert sich erst einmal Herr Brand.
[00:42:19] Martin liest Hennig Brand Was soll ich sagen? Ich bin dadurch ins Elend geraten und muss sehen, wie mir Gott daher durchhilft, denn ich sehe, auf Fürsten sich zu verlassen, ist sehr gefährlich. Der Herr Hofrat Leibniz versprach mir, dass mein allergnädigster Fürst und Herr mir würde so viel geben, dass ich mein Auskommen mit den Meinigen haben würde, und darauf bin ich mit dem Herrn nach Hannover gereiset. Dagegen sollte ich meine Wissenschaft, so ich wüsste, keine Menschen mehr offenbaren, welches unmöglich auf solche Art geschehen kann und mir kein ehrlicher Mann verdenken wird, dass ich den meinigen Brot verschaffen. Hat es der Herr Hofrath getan, mir zu helfen aus gutem Herzen, so vergebe es ihm Gott. Hat er es aber getan aus Arglistigkeit, mir zu beleidigen, so lass ihn Gott nicht von der Welt scheiden und keine Ruhe in seinem Gewissen, bis er erkennen muss, was er an mir getan hat. Gottbefohlen. Verbleibe des Herrn Diener Hennig Brandt, Anno 1678, 5. Oktober in Hamburg.
[00:43:20] Martin Na, der ist stinkig.
[00:43:21] Marko Der ist stinkig, genau. Und so geht es dann hin und her. Die beiden wechseln also zahlreiche Briefe. Irgendwann mischt sich auch seine Frau noch ein und sagt: Jetzt ist mein armer Mann krank geworden. Hey, Herr Leibniz, das ist alles Ihre Schuld. Diese anstrengende Arbeit in Ihrem Labor, das hat ihn völlig ruiniert. Schicken Sie mal ein bisschen was Geld. Also es wird ganz viel und laut gejammert und Leibniz versucht dann so ein bisschen, die Wogen zu glätten und tatsächlich schafft er es, ihn zu überzeugen, noch mal nach Hannover zu kommen und dann soll alles besser werden und die Überschriften und die Anreden werden auch wieder netter. Dann schreibt Brandt auch wieder „Wohledler und hochgelehrter Herr, gesonders günstiger Freund und Helfer“. So, das renkt sich wieder ein. Und Brand kommt tatsächlich wieder nach Hannover. Er soll diesmal aus 100 Tonnen Urin Phosphor herstellen und soll weiter experimentieren. Nur was passiert dann? Der Herzog stirbt.
[00:44:17] Martin Ach, tja, ist aber unangenehm.
[00:44:20] Marko Ja, sehr unangenem. Und ja, damit stirbt leider auch die Bezahlung für Herrn Brand.
[00:44:25] Martin Ach, der Nachfolger des Herzogs, hat da wohl keine…
[00:44:29] Marko …kein so großes Interesse und Brand offenbar muss krank wieder abreisen. In einem Brief beklagt er sich darüber bei Leibniz.
[00:44:39] Martin liest Brief von Brand Ich hoffe und zweifel nicht, der Herr Hofrath wird sein Bestes hierin tun und mir behülflich sein, denn Herr Hofrat ist wissend, wie ich kränklich aus der Stadt geführet, bei nachtschlafender Zeit ward auf den Wagen dragen, und mein seliger Herr gab Order, das Tor zu öffnen, und ward also nach Hamburg geführet. Das kriegt ich gleichwohl von der schweren Arbeit: Und ich sollte nun so bezahlt werden! Das wäre gar schlecht. Hätte ich das Meinige damals fordern können, so hätte ich es ohne Zweifel bekommen. Das war meine Krankheit schuld. Bitte zu schreiben seine Meinung hierüber. Gott befohlen.
[00:45:19] Marko Also Leibniz soll jetzt irgendwo das Geld auftreiben, damit er noch mal ordentlich bezahlt wird. Wohlgemerkt, jemand, der das Doppelte von ihm selbst verdient. Aber egal. Herr Brand ist offenbar…
[00:45:29] Martin …ist ein Spitzenforscher.
[00:45:31] Marko Er ist halt auch spitze im Jammern, aber das ist auch das Letzte, was wir von ihm hören.
[00:45:35] Martin Ah, ja.
[00:45:36] Marko Wir wissen sein weiteres Schicksal nicht. Es gibt noch ein Zeugnis, dass er 1692 mit Sicherheit noch gelebt habe. Das schreibt nämlich Leibniz in einem Brief. Und er ist sich 1710 nicht einmal sicher, ob er schon gestorben sei. Aber damit verschwindet eigentlich Hennig Brand, der Entdecker des Phosphors im eigenen Urin, aus der Geschichte. Eigentlich ist er auch kaum mehr bekannt, muss man sagen.
[00:46:02] Martin Das heißt, es gibt auch kein Grab, wo irgendwelche Lebensdaten draufstehen oder so, sondern es ist in der…
[00:46:07] Marko Selbst die Straße, in der er mal gewohnt hat, existiert heute nicht mehr in Hamburg. Was vielleicht auch mit seiner Erfindung zu tun hat, denn Hamburg wurde ja schwer bombardiert, unter anderem auch mit Phosphorbomben. Aber da kommen wir noch später zu. Wie geht es weiter mit diesem Phosphor? In der Tat hatte ja Leibniz einige Proben in der Weltgeschichte herumgeschickt. Und auch Herr Kraft war ja noch unterwegs. Du erinnerst dich, der tingelte ja auch von Fürstenhof zu Fürstenhof.
[00:46:31] Martin Dem kann das ja nur gar nicht gefallen haben, dass da in seiner Abwesenheit der Herr Brand da ein eigenes Ding gemacht hat und zwar offensichtlich ja im großen Maßstab, also das dürfte dem ja zu Ohren gekommen sein.
[00:46:40] Marko Das ist ihm natürlich zu Ohren gekommen, aber nun Gott, ich meine, er hatte es sich ja auch angeeignet. Und auf jeden Fall hat er es sogar bis England geschafft. Er ist mit dem Phosphor bis nach England gekommen und ist dort auf Robert Boyle gestoßen. Der ist eigentlich ein früher Chemiker, muss man sagen. Also der ist schon ein wenig weiter als die üblichen Alchemisten damals. Man könnte ihn schon als einen Urvater der Chemie vielleicht bezeichnen. Und der macht sich jetzt in der Tat auch daran und versucht aus Urin, Phosphor heraus zu kochen. Und jetzt, weil der es wirklich aufschreibt, wie er es macht, und auch sehr, sehr gewissenhaft aufschreibt, wissen wir auch, dass es nicht so einfach ist. Also, nicht in den Kochtopf pinkeln, nicht einfach eindampfen. Das stinkt nur. Das ist nicht gerade…
[00:47:31] Martin Das klingt fast so, als hättest du es mal versucht.
[00:47:38] Marko Nein. So, also hier aber das Rezept für alle, die es nachkochen wollen. Also so könnt ihr es machen.
[00:47:44] Martin Das ist ein langes Rezept.
[00:47:46] Marko Genau .
[00:47:46] Martin liest Boyle Man nimmt Harn, der lange Zeit aufbewahrt ist, und dampft ihn zur Sirup-Konsistenz ein.
[00:47:52] Marko Also abgestandenen Urin, nicht frischen. Wichtig.
[00:47:56] Martin liest Boyle Diesen Sirup füllt man in eine Retorte und destilliert ihn, bis alles Phlegma und flüchtige Salz verschwunden ist und rote Tropfen erscheinen.
[00:48:08] Marko Also kochen, bis es rot wird.
[00:48:09] Martin Retorte?
[00:48:11] Marko Ja, ein Glasgefäß.
[00:48:14] Martin liest Boyle Dann legt man eine Vorlage an, um das Öl aufzufangen, worauf die Retorte zerbricht, um das Caput Mortuum. Caput-Mortuum?
[00:48:25] Marko Das ist ein alchemistischer Spezialausdruck.
[00:48:29] Martin Caput mortum.
[00:48:30] Marko Ja, das heißt „toter Kopf“ übersetzt – in der Alchemie und in der frühen Chemie wird damit ein Nebenprodukt genannt, was irgendwie unnütz ist.
[00:48:39] Martin liest Boyle Ok, also das Öl wird aufgefangen, die Retorte zerbricht, um das Caput Mortuum, dessen unterer Teil salzartig, hart und unbrauchbar zur Phosphor-Bereitung ist und dessen oberer Teil eine schwarze, schwammige, weniger feste Masse ist. Diese Masse bewahrt man auf. Dann bringt man das aus der ersten Destillation gewonnene Öl von neuem in die Retporte. Nachdem man alles Wässerige verdampft hat, bleibt eine schwarze Masse übrig, der der ähnlich ist, welche man von dem Caput Mortuum der ersten Destillation getrennt hat.
[00:49:17] Marko Also einmal was wegschmeißen und das, was man dann sozusagen übrig behält, so weit einkochen, bis es aussieht, wie das Zeug, das man eben weggeschmissen hat.
[00:49:26] Martin Interessant. Man verarbeitet diese vereinten Stoffe zusammen. Man bringt zum Beispiel 12 Unzen von dieser Masse in eine mäßig-große, irdene Retorte, vor welche man eine Vorlage legt und gut verkittet. Man feuert allmählich bis zur Rotglut der Retorte und treibt das Feuer sehr stark, 16 Stunden lang, an.
[00:49:47] Marko Also du hast jetzt luftdicht abgeschlossen, das ist wichtig. Und jetzt feuerst du nochmal.
[00:49:52] Martin liest Boyle 16 Stunden ordentlich, besonders während der letzten 8 Stunden. Man erhält zuerst Dämpfe oder weiße Wölkchen, dann eine klebrige Masse und zuletzt geht ein Körper von fester und dichter Konsistenz über, der sich an die Wände der Vorlage in Gestalt von Zucker anlegt.
[00:50:11] Marko Also das ist die Kristalline, die Kristalle ….
[00:50:14] Martin In dieser Masse liegt die größte Kraft des Phosphors. Wenn man die Destillation im Dunkeln macht, so wird die Vorlage während der Arbeit leuchten. Alles, was während der Arbeit herauskommt, ist außerordentlich leuchtend, aber besonders der trockene Teil, der der wirkliche Stoff des Phosphors ist, welcher Schießpulver, Papier, Leinwand in Brand setzt.
[00:50:38] Marko Genau.
[00:50:39] Martin Also das ist das Rezept für Phosphorherstellung. Macht man auch nicht mal eben so, in der Tat. Also das war doch ein bisschen mehr als Luftabschluss und dann kochen wir es ein.
[00:50:49] Marko Deswegen sind die anderen auch nicht drauf gekommen. Also es gibt sicherlich mehrere Wege, das ist nicht der einzige, aber das ist sozusagen das, was ein seriöser Wissenschaftler da offenbar beschreibt und wie es funktioniert. Aber auch hier hast du ja schon diese Idee, dass man damit ja eventuell Schießpulver anzünden könnte. Also auch da wird schon mitgedacht, wozu ist dieses Zeug vielleicht Nutze zum Krieg führen? Also Gold kann man offenbar – daran glauben jetzt nur noch ganz wenig – kann man damit nicht machen. Wir haben ja noch den Johannes Kunkel, der ist ja auch noch unterwegs.
[00:51:20] Martin Kunkel, das war der von ganz vom Anfang, womit der Brand zum ersten Mal korrespondiert hat und der eigentlich stinkig ist auf dem Brand.
[00:51:27] Marko Richtig, richtig. Der hatte aber als erster eine Idee, wie er das Zeug vermarkten kann.
[00:51:33] O-Ton Thomas Richter Kunkel war wahrscheinlich Apotheker, also hatte da eine Ausbildung. Kunkel hat dann eine kleine Schrift publiziert: „Vom phosphor mirabilis und dessen leuchtenden Wunderpilulae“. Also Kunkel hat dann tatsächlich Phosphorpillen hergestellt und angeboten. Und die hat er in den Apotheken als Schutz vor Infektionskrankheiten und als Phosphor-Leuchtsteine versucht, auf den Markt zu bringen. Und tatsächlich soll es in Leipzig die Apotheke zum Güldenen Löwen im 17. Jahrhundert gegeben haben, in denen diese Phosphorpräparate vertrieben wurden. Also Kunkel hatte natürlich den Vorteil der akademischen oder der pharmazeutischen Ausbildung und hat das Ganze versucht, dann in die Apotheken zu bringen.
[00:52:22] Martin Ja, hatte der irgendeine Idee, warum das helfen sollte? Also, ich meine, oder hat er sich das einfach aus seinem Allerwertesten gezogen, diese Idee?
[00:52:31] Marko Ich glaube…
[00:52:31] Martin Irgendwie muss man es verkaufen.
[00:52:32] Marko Der hat sich was überlegt. Man muss ja sagen, das ist die Zeit, man nennt das Iatrochemie. Das ist sozusagen die Kunst, Iatros Arzt, griechisch auch wieder, mit Chemie Krankheiten zu heilen. Das hat man damals versucht mit Quecksilber, übrigens auch hochgiftig.
[00:52:51] Martin Ja, fallen einem die Zähne aus.
[00:52:53] Marko Ja, und so hat man halt auch mit Phosphorum herumexperimentiert. Könnte doch helfen, wenn so ein leuchtender Stoff irgendwie… Ich meine, wenn du heute irgendwas leuchten lässt, könnte doch auch gesund sein. Es gibt bestimmt Spinner, die es fressen. Also das ist ja immer so.
[00:53:10] Martin Da gibt es ja auch heute diverse Angebote, wo man sich fragt, woher und irgendeine medizinische Beweislage ist da nicht von Nöten.
[00:53:18] Marko Ja, also angeblich so hat Kunkel behauptet, helfe das Zeug gegen Infektionskrankheiten. Aber er hatte ja dann auch diesen wunderbaren, und das ist ja das Wichtige, Markennamen.
[00:53:31] O-Ton Thomas Richter „Phosphor mirabili“, also wunderbarer Phosphor, letztendlich hat man natürlich, so was war spannend und so was, ich meine, die Leute waren im 17. Jahrhundert nicht viel anders getaktet als heute. Wenn sie heute was bewerben wollen, auch Arzneimittel, müssen sie irgendwie auffallen und irgendwie was Besonderes, ja. Und es war natürlich was Besonderes: Pillen aus irgendeinem leuchtenden Element herzustellen.
[00:53:56] Marko Ich meine, Thomas Richter muss es wissen, der ist Apotheker.
[00:54:03] Martin Der plaudert da aus dem Nähkästchen. Ja, klar, ich meine, dass das natürlich auch wie ein Wunder wirkt, wenn das aus sich selbst heraus leuchtet, das ist natürlich klar in einer Zeit, in der es außer Kerzen und Kaminfeuer nichts gibt, was so erstmal von sich selber leuchtete. Also Elektrizität, das Phänomen kannte man, aber nicht als etwas, was wirklich Licht spendet.
[00:54:23] Marko Die Hoffnung des Menschen klammert sich auch an so einen leuchtenden Phosphor, wenn sie krank sind und offenbar macht er damit einigermaßen Geschäft. Nur muss man sagen, es hat sich nicht durchgesetzt. Trotzdem gab es bis in die 50er Jahre offenbar in Apotheken auch noch Phosphor zu kaufen.
[00:54:40] Martin Wie, was, in den 1950er Jahren?
[00:54:43] Marko 1950er Jahre.
[00:54:44] O-Ton Thomas Richter Phosphor war auch in den 50er-Jahren in den Apotheken noch eingelagert. Und dass es eben sich nicht entzündet, hat man das in solchen Flüssigkeiten abgefüllt. Und die Apotheken hatten früher einen Phosphorschrank. Aber in dem Augenblick, wo sie den Phosphor, den elementaren Phosphor ans Licht bringen, ja, weg aus dem Wasser, dann fängt es eben an zu brennen. Phosphor-Latwerge hat man da hergestellt in der Apotheke. Unglaublich. Zur Schädlingsbekämpfung.
[00:55:13] Marko Latwerge sind so Mehlkügelchen. Dann macht man Mehl als Rattenköder und tut eben ein bisschen Phosphor dazu. Und da Phosphor hochgiftig ist, sind die Ratten natürlich gestorben. So. Macht man heute nicht mehr.
[00:55:26] Martin Aber, um nochmal zu Herrn Kunkel zurückzukommen, wenn der das als Heilmittel und anti-infektiöses Wundermittel verkauft hat, gibt es Berichte darüber, wenn es ja nun hochgiftig ist, dass die Leute daran gestorben sind?
[00:55:39] Marko Die Dosis macht das Gift. Man weiß ja nicht, wie viel da von dem Phosphor drin ist, aber es musste wohl schon leuchten, sonst hätte es ja nicht funktioniert. Auf der anderen Seite, die Leute haben ja auch Quecksilber zu sich genommen, um irgendwas zu heilen, also dass man mit Gift-Gift bekämpfen kann. Ja, so ist das halt. Wenn man dann halt stirbt, hat man halt Pech gehabt. Also ich meine, so ist es.
[00:55:59] Martin Hat man nicht genug genommen wahrscheinlich.
[00:56:01] Marko Ja. Man weiss es nicht. Nun muss man sagen, auch in dir befindet sich viel Phosphor. Also es ist nicht so, dass der menschliche Körper phosphorfrei wäre.
[00:56:09] Martin Na ja, irgendwie muss es ja in den Urin reinkommen.
[00:56:12] Marko Richtig. Und deine Knochen bestehen zu 15% aus Phosphor.
[00:56:17] Martin 15%?
[00:56:17] Marko Ja, ja, ja. Also es gibt Phosphor in Reinform eigentlich in der Natur nicht. Also, es ist meistens gebunden in Salzen. Aber in deinen Knochens stecken 15% Phosphor, was natürlich dann auch dazu geführt hat, dass man mit Knochenmehl zum Beispiel lange Jahre auch gedüngt hat. Denn Phosphor lagern auch Pflanzen ein und sind für das Pflanzenwachstum sehr wichtig. Deswegen ist Phosphor als Dünger sehr wichtig. Man muss sagen, obwohl Phosphor ein Element ist, übrigens das erste Element, was tatsächlich dann entdeckt worden ist. Das erste Element war Phosphor, hat, wenn du heute ins Periodensystem der Elemente guckst, die Ordnungszahl 15 und ist das erste Element, was in dieser Reinform tatsächlich beschrieben worden ist. Aber obwohl es ein Element ist, liegt es in verschiedenen Formen vor. Also du kannst dir das vorstellen, Kohlenstoff ist ja auch ein Element, das kann Kohle sein. Aber es kann auch ein Diamant sein. Und so ist es bei Phosphor auch. Also es gibt sogenannten weißen Phosphor. Das ist also der, den Henning Brand zum Großteil hergestellt hat, der ist in der Tat hochreaktiv, entzündet sich an der Luft selbst und ist auch hochgiftig. Die erste wirklich sinnvolle Anwendung von weißem Phosphori war übrigens diese.
[00:57:36] Martin Streichholz.
[00:57:36] Marko Genau. Also die ersten Streichhölzer, die hatten tatsächlich weißen Phosphor als Zündmittel. Das ist heute verboten. Heute nimmt man dafür, für die Reibfläche, roten Phosphor. Das ist der zweite Zustand, in dem Phosphor vorliegen kann. Da ist er stabiler, nicht mehr selbstentzündlich und deshalb auch ungefährlicher. Es gibt auch noch schwarzen Phosphor, der wird in der Nano-Elektronik benutzt. Und violetten Phosphoren, da hat man auch keine Anwendung für, aber den gibt es auch noch. Und letztendlich muss man sagen, brauchen wir Phosphor bis heute in ganz vielen Dingen. Also ich habe eben schon gesagt, Dünger ist eins, das ist sicherlich auch der Großteil sozusagen, wo Phosphor heute eine Rolle spielt. Es ist als Zusatzstoff in Lebensmitteln teilweise drin. In Coca Cola zum Beispiel ist auch Phosphor. Sicherlich nicht der weiße, giftige Phosphore, sondern wahrscheinlich in einem anderen Zustand. In vielen Backwaren ist es drin, es wird bei der Stahlproduktion benutzt, in der Chemie und in der Pharmaindustrie wird teilweise auch Phosphor verwendet. Halbleiter- und Batterieproduktion…
[00:58:37] Martin Tausendsassa…
[00:58:37] Marko Also es ist schon bei vielen Dingen sehr, sehr wichtig. Und jetzt kommen wir vielleicht zu dem, wo es am schlimmsten benutzt worden ist, es ist nämlich natürlich auch irgendwann als Waffe benutzt worden. Im Ersten Weltkrieg bereits wurden die ersten Phosphorbomben entwickelt und auch eingesetzt. Und, naja, im Zweiten Weltkrieg sind ein Großteil der deutschen Städte, so auch übrigens die Heimatstadt des Mannes, der ihn erfunden hat, Hennig-Brand, durch Phosphorbomben eingeäschert worden.
[00:59:07] Martin Ja und wenn ich das recht in Erinnerung habe, Phosphor ist ja ein ganz widerliches Zeug, weil es ja brennt und nicht so einfach zu löschen ist oder fast gar nicht zu löschen ist.
[00:59:20] Marko Du kannst es mit Wasser nicht löschen, du kannst den Brand mit Sand abdecken und löschen, aber wenn der Sand wieder wegkommt, dann brennt es leider weiter. Du kannst die Reaktion dann nur ganz schwer stoppen. Deswegen waren die Feuerwehren im Zweiten Weltkrieg auch völlig überfordert, einen solchen Phosphorbrand zu löschen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es auch in Deutschland noch große Mengen an Phosphormunitionen und die wurde natürlich entsorgt. Und wo wurde sie entsorgt?
[00:59:47] Martin Ja, ich habe so eine Ahnung, dass das mit dem Anfang unserer Folge zu tun hat. Irgendwo vergraben wahrscheinlich am Strand, im Sand oder im Wasser versenkt.
[00:59:55] Marko Sie wurde versenkt. Der Zweite Weltkrieg ist jetzt rund 80 Jahre her. Solange ist das auch her mit der Entsorgung dieser Bomben. Das heißt, die eigentlichen Hülsen rosten langsam durch. Der Phosphor wird freigesetzt. Und das Ergebnis ist, dass er an den Strand gespült wird. Und da er sehr ähnlich aussieht zu Bernstein, wird er natürlich gerne aufgehoben und in die Hosentasche gesteckt. Dort erwärmt er sich auf über 30 Grad, Körpertemperatur, und dann entzündet er sich selbst. Und dann kannst du ihn auch nicht löschen. Und deswegen kommen immer wieder Strandurlauber mit Phosphor in Verbindung. Und das ist das Bild, was wir eben hatten. Der verbrannte Fuß, die verbrannten Oberschenkel, weil sie es in die Hosentasche reingesteckt haben. Und so schließt sich der Kreis zum Anfang, wo Leute einen Stein in die Hosentrasche stecken und sich darüber wundern, dass er anfängt zu brennen.
[01:00:50] Martin Der vorgebliche Bernstein, der sich dann eben als Phosphor-Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg herausstellt.
[01:00:57] Marko An einigen Stränden hat man in der Tat mittlerweile sogar schon Warnhinweise aufgestellt, wo also auf Schildern steht: Wenn ihr hier Bernstein sammeln wollt, dann sammelt das in Metallbehältern. Wenn es sich dann nämlich entzündet, dann hast du es zumindest nicht am Körper.
[01:01:14] Martin Von der Suche nach dem Stein der Weisen anhand von Urin zum Phosphor, zum Zweiten Weltkrieg, der ganz große Rundumschlag. Als du das Thema übernommen hast, hast du gedacht, dass das so aufmacht, dieses Thema, was du da vorgesetzt bekommen hast?
[01:01:29] Marko Nee, ehrlich gesagt nicht. Und ich finde es bis heute total spannend, wie viele Aspekte dieses Element Phosphor, also rein geschichtlich, was es für Geschichten drum herum gibt, bis hin zum Phosphormangel. Wir haben vorige Woche über die Toilettensituation geredet mit Irene Geuer, wo es darum ging, rgendwie: Sollten wir eigentlich unsere Pipi, sollten wir unsere Fäkalien aufbewahren? Könnten wir nicht daraus Dünger herstellen? Das spielt bis heute eine Rolle, weil Phosphor auch ein endliches Produkt ist, oder wenn man es herstellen will, dann ist es einfach auch sehr energieintensiv und als Dünger würde sich ja auch was anderes eignen. All das spielt ja da eine Rolle, man könnte ein ganzes Buch über dieses Element schreiben, es könnte eine Wissenschaftsgeschichte sein, es könnte ein Krimi sein. Der Stein der Weisen wäre ein eigenes Thema für sich, also können wir ja mal machen irgendwann. Aber heute sind wir durch.
[01:02:18] Martin Dafür sind wir ja die Geschichtsmacher und wenn euch diese Folge gefallen hat, dann…
[01:02:24] Marko Sagt es allen, die vielleicht jetzt schon angefangen haben, ihren Eigenurin einzukochen.
[01:02:29] Martin Allen, die trotzdem immer noch auf der Suche nach dem Stein der Weisen sind.
[01:02:33] Marko Und allen, die ihn gefunden haben.
[01:02:35] Martin Wenn euch diese Folge nicht gefallen hat, dann sagt es bitte uns.
[01:02:39] Marko Aber auch bitte nur uns unter www.diegeschichtsmacher.de findet ihr alle Möglichkeiten, mit uns in Kontakt zu treten, und ihr findet noch ganz viele andere Folgen. Wenn es um Urin geht zum Beispiel kann ich die Carmen Thomas Folge empfehlen.
[01:02:53] Martin Stimmt, oder eben die eben erwähnte Trockentoilettenfolge mit Irene Geuer. Auch da lohnt es sich, rein zu horchen. Und wenn euch das alles total gut gefällt, dann hinterlasst Kommentare da, wo das möglich ist. Und vielleicht kommt ihr sogar auf die Idee, dass ihr das, was wir hier tun, unterstützen könnt über Steady oder auch über eine einmalige Unterstützungszahlung. Darüber würden wir uns auch freuen. Die Kontodaten, die schreiben wir in die Shownotes rein und sind auch auf unserer Internetseite einzusehen. Wir würden uns freuen, damit wir noch viel mehr über den Stein der Weisen, über Urin, über Trockentoiletten und viele andere Themen berichten könnten, die Geschichte geschrieben haben.
[01:03:37] Marko So, und jetzt auf zum Strandspaziergang. Tschüss.
[01:03:40] Martin Aber nur die wirklichen Bernsteine sammeln nicht das andere. Tschüss.
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